Das erste Bild: ein schwarzer Gartenzwerg. Deutschland ist in den vergangenen Jahrzehnten durch Einwanderung bunter, vielfältiger geworden. Im Film waren Menschen mit dunkler Hautfarbe dennoch lange Zeit absolute Exoten. Bis heute spielen People of Color (PoC) häufig Flüchtlinge, Afroamerikaner und jedenfalls Menschen, die kein akzentfreies Deutsch sprechen können – als gehörten sie nicht dazu. Immerhin hat der deutsche Faible für Krimis aller Art eine gewisse Pionierarbeit geleistet, denn „Der Alte“ verkaufte sich im Ausland gut. Und so erreichte Charles Huber, der von 1986 bis 1997 einen Kommissar in der ZDF-Reihe spielte, „als erster Seriendarsteller mit afrikanischen Wurzeln außerhalb der USA (…) in 120 Ländern Bekanntheit“, schreibt Wikipedia. Und seit 2019 hat endlich auch der ARD-„Tatort“ eine afrodeutsche Kommissarin (Florence Kasumba), die von ihrer Kollegin Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) bei der ersten Begegnung für eine Putzfrau gehalten wurde.
Mit ähnlichen Erfahrungen beginnt auch die Dramödie „Herren“: Wenn Ezequiel (Tyron Ricketts) auf der Parkbank sitzt, wirft ihm ein Passant einen Euro in den Kaffeebecher, an der Auslage eines Obst- und Gemüseladens soll er einer Kundin Ware einpacken. Damit sind der aus Gedankenlosigkeit und der aus vermeintlich wohlmeinenden Motiven entspringende Alltagsrassismus eingeführt. Später treten noch rassistische Schlägertypen in Erscheinung, doch damit hat es sich im Wesentlichen. Das Thema Rassismus ist in den Geschichten von Ezequiel und anderen Menschen mit dunkler Hautfarbe präsent, aber nicht dominierend. Es sind ganz alltägliche, allgemeingültige Geschichten: Von einem Vater, der gerade keine Arbeit hat und an sich selbst zweifelt. Von seiner Frau, die als Nachtschwester im Krankenhaus arbeitet und zunehmend besorgt ist, dass das Geld nicht reicht. Von seinem Sohn, der eigene Wege will. Von drei Männern, die ihren Platz in der Gesellschaft suchen.
Dass das Drehbuch von Stefanie Kremser (mehrere BR-„Tatorte“) konsequent aus der Perspektive von Menschen mit dunkler Hautfarbe erzählt (weiße Darsteller sind hier ausschließlich Nebenfiguren), ist entscheidend: Wie People of Color auf ihr Leben in Deutschland blicken, steht im Zentrum und wird nicht von Außenstehenden erläutert, analysiert, diskutiert. Und weil Dirk Kummer („Zuckersand“, „Warten auf’n Bus“) die Figuren in seiner empathischen Inszenierung leuchten lässt, weil die Schauplätze originell, die Dialoge unverkrampft und die Rollen klasse besetzt sind, kommt gar nicht erst das Gefühl auf, einen Lehrfilm über den Alltag von PoC in Deutschland zu sehen. Zumal die Musik von Johannes Repka leichtfüßig durch Berlin schwingt und noch entspannter klingt als an einer gewissen brandenburgischen Endhaltestelle. Dass alle Schauspielerinnen und Schauspieler keinen künstlichen Akzent sprechen müssen, versteht sich in einem Film, der mit Respekt und Präzision vorgehen will, eigentlich von selbst, ist aber als leuchtendes Beispiel hervorzuheben.
Kremser entwickelte ihr Buch aus dem Roman „Gents“ des in Südafrika geborenen Briten Warwick Collins. Der handelt von drei Putzkräften, Einwanderern mit jamaikanischen Wurzeln, die in London eine öffentliche Toilette, einen Treffpunkt der Schwulenszene, zu putzen haben – und homophobe Einstellungen offenbaren. Auch der aus Brasilien stammende Ezequiel hat ein ziemlich traditionelles Rollenbild mitgebracht: Dass sein Sohn Stevie (Pablo Grant) nach seinem Abitur nicht studieren, sondern eine Ausbildung zum Friseur beginnen will, kann er gar nicht verstehen. Der Vater gerät mit Stevies neuem Chef aneinander, schimpft auf die „Clowns“ und „Schwuchteln“ im schicken Friseurladen und fährt seinen Sohn an: „Ich dachte, du wärst ein richtiger Mann.“ Ezequiel selbst ist ein Meister der einst von afrikanischen Sklaven nach Brasilien mitgebrachten Kampfkunst Capoiera. Er hat aber als Lehrer an der Capoiera-Schule gekündigt, weil er den Posten des alten Chefs nach dessen Pensionierung nicht erhalten hatte. Nun verkauft er brasilianische Flip-Flops und Fußballtrikots. Sein verletzter Stolz und die alltäglichen Erfahrungen als Schwarzer lassen ihn an seinem Leben in Deutschland zweifeln. „Nichts ist gut genug für dich“, wirft ihm seine Frau vor. Marta (wunderbar: Dalila Abdallah) arbeitet als Nachtschwester im Krankenhaus und macht ihrem Mann Druck, denn das Geld wird knapp.
Neben dem lebensnahen Familiendrama ist „Herren“ vor allem ein herzerfrischendes Roadmovie und eine filmische Ballade auf das nächtliche Berlin. Ezequiel meldet sich auf ein Stellenangebot als „Fahrer beim Denkmalschutz“, muss aber feststellen, dass es sich dabei nicht um qualifizierte Restauratoren handelt, sondern um eine zweiköpfige Putzkolonne, die historische Urinale säubert. Die stehen zwar tatsächlich unter Denkmalschutz, aber Ezequiel hält den Putzjob für eine typische Drecksarbeit, die man Schwarzen in einem weißen Land einzig zugesteht. Auf den nächtlichen Touren lernt er freilich seine neuen, ebenfalls dunkelhäutigen Kollegen schätzen. In den Gesprächen und Erlebnissen mit seinem freundlichen, kommunikativen Chef Reynaldo (klasse: Komi Mizrajim Togbonou) und dem jungen Jason (Nyamandi Adrian), der davon träumt, mit der Musik seiner Band „Kreuzberg Deluxe“ erfolgreich zu sein, geht es auf unterhaltsame Weise – mal ernsthafter, mal komisch – um Erfahrungen und Selbstverständnis von Menschen mit verschiedenen Hautfarben und unterschiedlichen kulturellen Identitäten. Berlin ist hier voller origineller Typen, gewöhnlicher und ungewöhnlicher Schauplätze: Dornröschen in der Pförtnerloge, Herr Fritz und seine Clique an der Straßenecke, die multiethnische Schnauzbart-Brigade, eine pompöse Luxus-Toilette und Reynaldos kleines Schrebergarten-Idyll (mit schwarzem Gartenzwerg!).
Das Klischee vom ultimativen Ort deutschen Spießertums wird ins Gegenteil verkehrt. Reynaldo zählt die verschiedenen Nationalitäten im Schrebergartenverein auf: Vietnamesen, Griechen, Ukrainer und sogar Bayern („Die sind neu hier“). „Je gemischter die Gemeinde, desto weniger Probleme“, sagt Reynaldo, ein Berg von Mann und der Fels in der Brandung, den alle mögen. Der gebürtige Kubaner ist in der DDR aufgewachsen. Statt nach Kuba zurück zu gehen, ließ er sich nach dem Mauerfall von einer Taxi-Fahrerin West-Berlin zeigen. Noch heute sind beide, der schwarze Ossi-Kubaner und die weiße Wessi-Chauffeurin ein Paar – man glaubt es sofort. Wobei: Ein bisschen märchenhaft-harmonisch kommt einem manches schon vor, aber vielleicht stehen einem da nur die eigenen Vorurteile im Wege. Der Film regt dazu an, Ressentiments zu überprüfen und beschwört – was auch sonst? – die Möglichkeit eines friedlichen Zusammenlebens auf Augenhöhe. Die Vielfalt gibt es allerdings auch in diesem Film nicht uneingeschränkt. Zwar treten starke Frauenfiguren (und Darstellerinnen) in Erscheinung, aber die weibliche Perspektive spielt zweifellos eine untergeordnete Rolle.
„Herren“, da verspricht der Titel nicht zu viel, ist schon ein Film über Männer. In einer zentralen Szene schüttet Ezequiel seinen neuen Freunden das Herz aus. Manchmal möchte er einfach abhauen, sagt er. Einen Mann mache aus, „dass er sich um seine Familie sorgt und ein Vorbild ist“. Aber es reiche einfach nicht: „Es ist nicht genug.“ Schließlich formuliert er, warum er sich in Deutschland nicht zu Hause fühle: „Die sehen uns nicht, wir sind unsichtbar.“ Wie zum Beweis rennt er plötzlich auf die Straße vor die fahrenden Autos. Etwas mehr Sichtbarkeit, dazu trägt der Film hoffentlich bei. (Text-Stand: 4.9.2020)