Menschen, die in Büchern Sätze markieren, werden an diesem Film ihre helle Freude haben: Das Drehbuch von Friedemann Fromm ist geradezu gespickt mit Bemerkungen, die wie in Stein gemeißelt klingen. Dass sie trotzdem nie deklamiert oder dogmatisch wirken, ist ebenso bemerkenswert wie die Tatsache, dass es dem mehrfachen Grimme-Preisträger gelungen ist, ein hochbrisantes Thema als packenden Thriller zu verpacken. Am beeindruckendsten ist jedoch ein anderer Umstand: „Todesmut“ kommt wie gerufen. Der Film ist von brennender Aktualität und dennoch zeitlos gültig: Die Infiltration hiesiger Bewegungen und ihrer medialen Sprachrohre durch ausländische Mächte wird eher noch zunehmen. Für die unbegrenzten Manipulationsmöglichkeiten digitaler Informationen durch Künstliche Intelligenz gilt das erst recht. Natürlich müssen Fachbegriffe wie „Deep Fake“ erläutert werden, aber Fromm hat die Erklärungsanteile so geschickt integriert, dass sie sich zu keiner Zeit wie filmische Fußnoten anhören. Und noch etwas ist erstaunlich: Obwohl es um Leben und Tod geht, erzählt Fromm, vielfach als Autor und/oder Regisseur ausgezeichnet (unter anderem für „Unter Verdacht“ und „Die Wölfe“), nebenbei zwei Liebesgeschichten.
Foto: ZDF / Georges Pauly
Das Finale startet bereits mit dem Prolog, als Helen Dorn (Anna Loos) gemeinsam mit einer jungen Frau durch die Nacht rennt. Die Flucht endet mit einem Schuss, das Bild wird schwarz; das Schicksal der LKA-Kommissarin scheint besiegelt. Die nun folgende Rückblende beginnt ebenfalls mit einer Hinrichtung, als in Athen ein Mann während eines Videogesprächs mit der jungen Frau aus dem Prolog und ihrer Mutter (Helena von Have, Erika Maroszan) erschossen wird. Die griechische Polizei bittet um Amtshilfe und schickt einen Kollegen nach Hamburg. Dorn hat weder Lust noch Zeit, für Vasilis Georgiou (David A. Hamade) das Kindermädchen zu spielen: Auf einer zweiten Ebene handelt „Todesmut“ vom Prozess gegen zwei Neonazis, die eine junge Syrerin vergewaltigt und ermordet haben sollen. Rechtsmedizinerin Isabella Alighieri (Nagmeh Alaei) tritt als Gutachterin auf, wird jedoch mit Hilfe eines zwar cleveren, aber abstoßenden Schachzugs der Verteidigerin als befangen erklärt.
Wie es Fromm nun gelingt, diese beiden Handlungsstränge nicht bloß miteinander zu verknüpfen, sondern plausibel als zwei Seiten derselben Medaille zu offenbaren, ist beste Drehbuchkunst. Ohne je in eine mysteriöse Verschwörungserzählung abzudriften, entwirft der Film ein höchst beunruhigendes Szenario: Das Mordopfer hatte umfangreiche Beweise für ein aus Russland gesteuertes Netzwerk, es geht um die Mafia, Geldwäsche und politischen Einfluss. Das Material ist jetzt im Besitz von Mutter und Tochter, die prompt ebenfalls in Lebensgefahr schweben. Deshalb kommt es im Verlauf der Handlung mehrfach zu Schießereien mit den vermummten Schergen des Syndikats, wobei Dorn gegen die Sturmgewehre der Killer hoffnungslos unterlegen ist. Dass der Grieche, wie sich rausstellt, keinesfalls in offizieller Mission unterwegs ist und zudem in erheblichem Maß emotional involviert ist, macht die Sache nicht leichter.
Foto: ZDF / Georges Pauly
Fromms Drehbuch hat ohnehin derart viele Subthemen zu bieten, dass die Geschichte in anderen Händen vermutlich hoffnungslos überfrachtet wirken würde. So erfährt Dorns verliebter kriminaltechnischer Kollege Weyer (Tristan Seith) von Alighieris Mutter (Renan Demirkan), warum er aus Sicht der Rechtsmedizinerin bloß ein, aber nicht der Freund sein kann. Für die Betroffenen hat diese Nebenebene großes Gewicht, dennoch streut Fromm sie gleichsam beiläufig ein, weil andere Dinge im Moment einfach wichtiger sind, allen voran ein weiteres Mutter/Tochter-Verhältnis, das die Handlung noch stärker prägt: Cordula Frank (Leslie Malton) leitet die Q.S.-Mediengruppe, zu der auch ein Internet-TV-Sender gehört. Ihre Tochter (Pina Kühr) ist die Verteidigerin der mutmaßlichen Vergewaltiger, und es wird kein Zufall sein, dass die Juristin bei flüchtigem Hinschauen an AfD-Chefin Alice Weidel erinnert. Q.S. flankiert den Prozess mit einer Kampagne, die nicht nur die Rechtsmedizinerin, sondern das gesamte LKA diskreditieren soll, allen voran dessen Leiter. Menschen wie er und Alighieri, deren Eltern aus dem Iran stammen, dürften keine Fehler machen, belehrt Nedjo Kristic (Stipe Erceg) die Kommissarin; im letzten Film („Der kleine Bruder“, 2023, ebenfalls von Fromm), ging es unter anderem um seine Sinti-Wurzeln.
Kristic ist es auch, der die Relevanz des Films repräsentiert: „Divide et impera“, teile und herrsche, erläutert er die mediale Strategie der Rechtsnationalisten. Früher agierten sogenannte Fünfte Kolonnen im Untergrund, heute betreiben sie ihr Werk in aller Öffentlichkeit, um mit Hilfe von „Fake News“ und Manipulation die Glaubwürdigkeit der Menschen in die Institutionen zu untergraben, das Volk zu spalten und die eigenen Anhänger zu radikalisieren. Wenn die Lügen oft genug wiederholt und auch noch durch nur mit großem Aufwand als Fälschungen zu entlarvende Fotos untermauert werden, gelten sie irgendwann als wahr. Der LKA-Chef nutzt eine Metapher des Klimawandels: „Unsere Gesellschaft schwimmt auf einer Eisscholle von gemeinsamen Werten. Diese Eisscholle wird täglich kleiner; und dann kommen Menschen wie Cordula Frank und verkaufen uns ihre Rettungsboote.“ Dank Fromms famoser Arbeit mit dem Ensemble trägt der auch bildgestalterisch (Kamera: Heinz Wehsling) und musikalisch (Ina Meredi Arakelian) herausragende Film diese Botschaft jedoch nicht vor sich her – mit einer umso plakativeren Ausnahme: Nach einem Interview mit Mutter und Tochter Frank wechselt die Bildschärfe, nun ist im Hintergrund „1933“ zu lesen.