Ein Junge klaut einem Geschäftsmann am Flughafen ein Handy, der Mann verfolgt und stellt den kleinen Dieb in den Katakomben. Dort kommt dem Jungen seine Mutter (Cosmina Stratan) zu Hilfe und schlägt den Mann mit dem Feuerlöscher nieder. Sonderermittlerin Helen Dorn, die gerade die Einsamkeit in einem Häuschen im Wald sucht, trifft am Tatort auf Redl (Lutz Blochberger), einen ehemaligen Kollegen ihres Vaters Richard (Ernst Stötzner). Der Beamte hat die Leiche entdeckt. In einer Wohnung wird derweilen eine Frau gefoltert und erstickt: Anführer des üblen Trupps ist Hagen de Winter (Dominic Raacke). Bald stellt sich heraus, dass der Tote vom Flughafen als Kronzeuge gegen die Mafia aussagen sollte. Zudem ist eine Putzfrau mit kleinem Kind verschwunden. Und das BKA in Person von Frau Behrens (Christina Hecke) interessiert sich intensiv für den Fall. Für Helen Dorn bedeutet das: direkter Konfrontationskurs. Bei ihren Ermittlungen stößt sie auf eine falsche Zeugin, das organisierte Verbrechen und einem mächtigen Prostitutionsring mit illegal eingeschleusten Kindern.
Alexander Dierbach („Tannbach“), der bereits in der letzten, der fünften Episode der Reihe „Helen Dorn“ Regie führte, vertraut in „Die falsche Zeugin“ der verschachtelten Geschichte, setzt dabei nicht so sehr auf Tempo, inszeniert mit sicherem Gespür für Innen- und Außen-Szenen und er hält die Balance zwischen dialoglastiger Ermittlungsarbeit, Actionpassagen und Momenten, die ganz auf Helen Dorn zugeschnitten sind. Und davon gibt es eher zu viele als zu wenige. Anna Loos spielt eine starke Figur, aber – und dieses Manko zeigte sich auch schon zuletzt in „Gefahr im Verzug“ – ihr fehlt nach dem Abgang ihres Kollegen Matthias Matschke als Georgi ein adäquater Anspielpartner, ein Gegenpart, der ihrer Stimmung trotzt und den Krimi so facettenreicher macht. Ihr Vater Richard kann dies nicht leisten, er ist für die Momente des Ausheulens und Ratholens zuständig. Ihr Vorgesetzter Mattheissen (seit zwei Folgen Daniel Friedrich) ist auch nicht dieser Charakter. So spielt Helen Dorn nur mit und gegen sich selbst. Denn auch Bösewicht de Winter (aalglatt: Dominic Raacke) besitzt vom Drehbuch her zu wenig Möglichkeiten, sich mit der Dorn anzulegen.
Und so heißt es: Solo für Helen Dorn. Deren Psychologie ist weiter durchaus interessant. Sie schleppt eine Menge mit sich herum. Manches aus ihrer Vergangenheit wurde bereits aufgelöst, doch einiges scheint noch im Verborgenen zu liegen. Viel Raum und Stoff also für weitere Folgen. Die Dorn ist die wohl kühlste, unnahbarste und verschlossenste Kommissarin der deutschen TV-Landschaft. Sie schlägt sich durch die Unterwelt und ihr Privatleben. Sie ist rau und hart – im Ton und in ihren Gesichtszügen. Ein Anflug von Lächeln, wenn man das überhaupt so nennen kann, gibt es erst ganz am Ende von „Die falsche Zeugin“. Vorher gibt sie sich kämpferisch (in der Szene, als ein Mann im Hotelzimmer neben der Dorn seine Frau misshandelt), stutenbissig (gegenüber der BKA-Kollegin: „Ich möchte geküsst werden, bevor ich gefickt werde“), aber in den Passagen mit dem Jungen ist auch zu erkennen, dass tief in ihr eine feinfühlige, sensible Seele wohnt. Doch durch diese beinahe konsequent durchgehaltene raue Schale („Ich halte nicht viel von Regeln, das war schon immer mein Problem“) verliert Anna Loos an Spielmöglichkeiten, die Rolle lässt ihr zu wenig Luft.
Autor Mathias Schnelting entwickelt seine Geschichte vielversprechend. Man wird zu Beginn mit mehreren, voneinander unabhängigen Handlungssträngen konfrontiert. Das weckt die Neugier, man folgt Helen Dorn, weiß zu Beginn mehr als sie. Im Lauf der Story führt Schnelting die einzelnen Stränge geschickt zueinander. Doch er begeht den Fehler, den Fall inhaltlich zu überfrachten. Und es gelingt ihm deshalb auch nicht, sämtliche Aspekte der Handlung zur vollen Entfaltung zu bringen. Da sind der Junge und seine Mutter, Flüchtlinge, abhängig von Menschenhändlern. Dann das Roma-Imperium, das einen kleinen Staat im Staat errichtet hat. Der Nadelstreifen-Schurke de Winter, der sich aber auch noch selbst die Hände schmutzig macht (das irritiert bei dieser Figur etwas). Der leitet einen Kinderprostitutionsring, der jahrelang Klienten aus Verwaltung, Wirtschaft und Politik mit illegal in Deutschland lebenden Kindern versorgt hat. Doch davon sieht man nichts, darüber wird kurz geredet, um Helen Dorn ein wildes Finale inklusive Befreiung der gefangenen Kinder zu bieten. Schlüssig ist das alles nicht, der Krimi wirkt überfrachtet und durchschaubar, baut ein großes Thema auf, um eine kleine Auflösung zu bieten. Und für die sorgt die Dorn wieder im Alleingang. Sie ist der lonely wolve, die Eigenbrötlerin, marschiert allein in die gefährliche und männlich dominierte Roma-Siedlung, unerschrocken, wild. Sie ist die grauschwarze Farbe in diesem Krimi. Um die Täter zu überführen, verlässt sie ihre Rolle der einsamen Heldin aber. Kommissar Zufall kommt ihr zu Hilfe, wenn ganz plötzlich und unvermittelt im Hafen eine Wagenkolonne mit den Bösewichtern das Versteck der gefangenen Kinder ansteuert. So kann‘s gehen… Auf alle Fälle geht es weiter! Zwei neue Fälle mit „Helen Dorn“ wurden im Sommer abgedreht.