Schon die Grundidee ist grandios, auch und gerade weil sie wie ein Witz beginnt: Geht ein Nazi zur Wohnungstür, weil es geklingelt hat, steht ein kleines schwarzes Mädchen davor. Der Wuschelkopf mit den Jim-Knopf-Augen ist das Ergebnis einer mehrere Jahre zurückliegenden flüchtigen Begegnung; die Afrikanerin, entschuldigt sich Thomas später bei seinem Mitbewohner Kai, sei damals heller gewesen. Weil die Frau in ihre eritreische Heimat ausgewiesen wird, muss sich jetzt Thomas um seine Tochter kümmern; das hat er nun von Parolen wie „Ausländer raus“. Während sich bei Kumpel Kai unter der rauen Schale bloß ein weicher Keks verbirgt, hat Thomas ein weiches Herz, und das wird von der kleinen Lara erobert; nicht im Blitzkrieg, aber mit der typischen Beharrlichkeit einer Sechsjährigen. Weil Regisseur Marcel Hübner die kleine Nomie Laine Tucker gut geführt hat, gibt es auch keinen Zweifel an der Glaubwürdigkeit der kurzen Geschichten. Beim Kleinen Fernsehspiel, in dessen Formatlabor Quantum die Serie entstanden ist, geht man, wie es Redaktionsleiterin Claudia Tronnier formuliert, ohnehin „davon aus, dass Hass niemals standhält, wenn man erst mal kennen lernt, was man hasst. Wir hoffen, dass es mit der Serie gelungen ist, die Symbole und Codes, mit denen sich rechte Ideologien schmücken und identifizieren, durcheinander zu wirbeln und durch Zweckentfremdung ein wenig unschädlich zu machen.“
Die acht Folgen dauern jeweils nur fünf Minuten und ähneln eher „Webisodes“, aber es schadet nicht, sich alle Folgen am Stück anzuschauen (das ist möglich am 16.2. um 0.15 Uhr): Die Website familiebraun.zdf.de geht am 1. Februar online. Die Reihe ist ein Musterbeispiel dafür, dass auch mit kleinem Geld Großes möglich ist. Bis auf wenige kurze Ausflüge vor die Tür des heruntergekommenen Wohnsilos spielt sich die Handlung ausschließlich in der liebevoll als Nazi-Refugium gestalteten Zweiraumwohung (Szenenbild: Philipp Eggert) der beiden gewaltbereiten Rechtsextremisten ab; selbst auf dem Knopf für die Klospülung prangt ein Hakenkreuz. Da Lara in typisch kindlicher Unbefangenheit diverse Fragen zur eigentümlichen Einrichtung hat (unter anderem will sie wissen, warum Adolf Hitler so traurig guckt), kommen die beiden geistigen Tiefflieger in manche Erklärungsnöte.
Foto: ZDF / Christiane Pausch
„Die Konstellation zwischen Lara, Thomas und Kai ist bewusst metaphorisch vereinfacht und satirisch überhöht, das liegt schon an der Prämisse. Aber die Geschichte hat einen zweiten Fokus: Die Beziehung der beiden Jungs. Während rechtes Gedankengut etwas ist, das – zum Glück – nicht jeder nachvollziehen kann, ist Freundschaft universell. Thomas spürt, dass er Kai als Freund verlieren wird, wenn er sich auf seine Tochter einlässt. Und stellt sich und dem Zuschauer damit die Frage: Wie echt kann eine Freundschaft sein, die nur auf leeren Ideologien basiert?“ (Autor Manuel Meimberg)
Zunächst jedoch wollen Thomas und Kai das Mädchen so schnell wie möglich wieder loswerden. Der Versuch, sie für 99,99 Euro bei eBay zu verkaufen – „Süßes schwarzes Kind, wie neu, komplett mit Klamotten und Kuscheltier (Selbstabholung)“ – scheitert jedoch mangels Nachfrage. Also setzen sie das Kind kurzerhand mit passender Pappe („Afrika oder anderes Ausland“) an einer vielbefahrenen Straße aus, aber Lara wird umgehend von der Polizei wieder nach Hause gebracht. Nun kommt es zu einem logischen Bruch: Folge zwei endet damit, dass Kai sie vor die Tür schickt, aber in Folge drei ist sie wieder da. „Familie Braun“ ist eben auch ein Märchen, und deshalb darf der kleine Unschuldsengel den Einfall haben, beim Kostümtag in der Schule als Hitler zu gehen; mit einem weißen Zahnpastabärtchen auf der Oberlippe. Thomas schlägt ihr vor, sich als Marienkäfer zu verkleiden, und zerschneidet dafür die Hakenkreuzflagge; auch wenn das als Zeichen fast schon des Guten zuviel ist. Als sie wegen des Kostüms von einem Mitschüler gemobbt wird, muss der Junge das bitter büßen. Mit solchen Momenten sorgen Manuel Meimberg (Buch) und Maurice Hübner (Regie) immer wieder dafür, dass man diesen Thomas nicht zu nett findet, auch wenn sich die Gewaltexzesse zumeist eher unvermittelt ereignen.
Foto: ZDF / Christiane Pausch
Andererseits liegt gerade in den unerwarteten Entwicklungen der kurzen Handlungsstränge der Reiz der Serie. Als Lara einen Besuch ihres Lehrers ankündigt, wird die Wohnung umgehend nazifrei, was unter anderem zur lustigen Verfremdung eines riesigen Posters mit Adolf-Hitler-Briefmarke führt (aus „Deutsches Reich“ wird „Deutsche Eiche“); und dann entpuppt sich der Lehrer zu Thomas’ Verblüffung als Bruder im Geiste, der Lara nicht in seiner Klasse haben will. Selbst solche Überraschungen schmückt Meimberg, der die Bücher gemeinsam mit dem Producer Uwe Urbas entwickelt hat, noch mit einem witzigen I-Punkt.
„… mich die Herausforderung gereizt, in einem ungewöhnlichen Format arbeiten zu können. Kurz und knackig, lässt es sich kaum in eine Genreschublade stecken. Diese Freiheit gibt Raum für viele Möglichkeiten des Erzählens. Klischees an manchen Stellen bewusst zu bedienen & sie an anderen konsequent zu vermeiden, war ein wichtiger Bestandteil unserer Vision.“ (Regisseur Maurice Hübner)
Über die zentralen Scherze hinaus gibt es immer wieder Kleinigkeiten am Rande, die belegen, mit wie viel Liebe und Sorgfalt „Familie Braun“ gestaltet ist. Allein mit den Auftritten der beiden Dumpfbacken in ihrem YouTube-Kanal ließe sich ein eigenes Programm gestalten. Zu Beginn führen sie vor, wie man mit Kartoffeldruck Jutebeutel mit der Aufschrift „I love 88“ versehen kann („love“ natürlich als Herz). Ein Pappschild fordert die Zuschauer auf „Subscribe ‚Kai-sehr-reich’“. Leider kommen sie später nicht mehr dazu, vorzuführen, wie man aus Essstäbchen SS-Stäbchen macht, denn Thomas hat Lara einen Spieleabend versprochen, und Kai stellt die Gretchenfrage: „Kumpel oder Neger?“ Weil es sich mittlerweile um Folge sieben handelt und die zu Beginn sehr düstere Wohnung immer bunter geworden ist, liegt die Antwort auf der Hand, weshalb Kai seine ungezügelte Wut an einem unbescholtenen Passanten auslassen muss. Ein kleiner Knüller ist schließlich das Ende mit Gaststar Sina Tkotsch („Ein Fall für zwei“) als vermeintliche Bewerberin für Thomas’ WG-Platz. Auch diesmal kommt es gänzlich anders, als Kai, angesichts der hübschen jungen Frau schon besoffen vor Glück, sich das denkt; erneut gelingt es Meimberg und Hübner, die Aussicht auf den erwartbaren Schlussgag noch zu übertreffen.