Nicht weniger als der größte Medienknüller der westdeutschen Nachkriegs-Ära, ach was: der deutschen Geschichte sollte es werden. Als sich die Tagebücher Adolf Hitlers jedoch als Fälschung entpuppten, wurde der „stern“ zur Lachnummer. Von dieser Blamage hat sich die bis dahin zwar als „Wundertüte“ betrachtete, aber durchaus ernst genommene Illustrierte nie wieder erholt. Helmut Dietl hat aus dem Skandal mit „Schtonk!“ (1992) einen der besten Filme der Neunzigerjahre gemacht. An diesem Maßstab muss sich die sechsteilige Serie „Faking Hitler“ messen lassen. Das gelingt ihr scheinbar spielend, denn Autor und Produzent Tommy Wosch hat einen anderen Ansatz gewählt. Dietl hat die Dinge damals auf die Spitze getrieben (und zum Teil auch darüber hinaus), weshalb zum Beispiel der von Götz George als Geck mit Ticks angelegte „stern“-Reporter Gerd Heidemann fast zur Karikatur wurde. Wosch und sein Drehbuchteam (Annika Cizek, Dominik Moser) begnügen sich dagegen knapp vierzig Jahre später mit dem realsatirischen Potenzial der Geschichte. Deshalb verzichten Lars Eidinger (als Heidemann) und Moritz Bleibtreu (als Fälscher Konrad Kujau) auch konsequent auf klamaukige Elemente: Zum Lachen sind nicht die Figuren, sondern die Umstände.
Der Star-Journalist wird zwar als Großkotz mit Luxuskarosse samt Autotelefon eingeführt, ist im Grunde jedoch ein Getriebener, dessen Ruhm langsam verblasst, weshalb er unbedingt einen Knüller liefern muss. Die zufällige Entdeckung eines Hitler-Tagebuchs ist die perfekte Lösung seines Problems. Während sich der Reporter auch dank Eidingers vielschichtigem Spiel zur beinahe tragischen Figur wandelt, ist Kujau ein Schlitzohr, das Sammler mit NS-Devotionalen versorgt. Dass er diese Leute mit gefälschten Gemälden aus Hitlers eigener Hand übers Ohr haut, macht ihn erst mal sympathisch. Auch die Beziehungen zu Gattin (Britta Hammelstein) und Geliebter (Hanna Plaß) sorgen für heitere Momente, und auch sein Dialekt lässt ihn harmlos erscheinen. Schon in „Schtonk!“ hat Uwe Ochsenknecht dafür gesorgt, dass nicht der Fälscher, sondern der Reporter der Antagonist der Geschichte war. Auch bei Wosch scheinen Kujau die Geister, die er rief, über den Kopf zu wachsen. Dass dies dank seiner Tagebücher anscheinend auch auf den Diktator zutraf, ist die Voraussetzung dafür, dass die Historie umgeschrieben werden müsse, wie sie beim „stern“ bald tönen.
Foto: RTL / Wolfgang Ennenbach
SOUNDTRACK
1. Folge: Joachim Witt („Goldene Reiter“), Simon & Garfunkel („The Sound of silence“), Ideal („Monotonie“), Siouxsie and the Banshees („The Passenger“), The Crusaders & Randy Crawford („Street Life“), Cindy Lauper („All Through The Night“), The Foundations („Build me up Buttercup“), Ashley Benjamin Rigby & Charles Sergei Forster („Redlights We keep Runnin“)
2. Folge: Lou Reed („Walk on the wild side“), Frank Zappa („Bobby Brown“), Berluc („No Bomb“), Bucks Fizz („The Land of Make Believe“), The Rolling Stones („Angie“), David Bowie („Let’s Dance“), Depeche Mode („Just can’t get enough“), Hero („Soulmate“)
3. Folge: Charles Wright & The Watts 103rd Street Rhythm Band („Express Yourself“), Santana („Samba Pa Ti“), Dead or Alive („You spin me round“), Eurythmics („Sweet Dreams“)
Folge 4: Ricchi e Poveri („Sera Porque Te Amo“), Blondie („Call Me“), Katharina Heyer & Robert Matt („Happy Birthday“), Robert Matt („La Paloma“), The Human League („Don’t you want me“), Lou Reed („Perfect Day“), Simple Minds („Don’t you forget about me“), Soft Cell („Tainted Love“), Richard Wagner & Arr Bashiri („Ride of the Valkyries“)
5. Folge: Louis Prima („Just a Gigolo / I ain’t go nobody“), Rick Cassmann & Vyvyan Hope Scott („Tea at the Ritz“), Beach Boys („Wouldn’t It Be Nice“), Vyvyan Hope Scott („A touch of class“), Stevie Wonder („Signed, sealed, delivered I’m yours“), Leo Nissim („Dinner with Frederic“), Das Traumstern-Orchester („The winner takes it all“), Paul Canning („The winner takes it all“)
6. Folge: Steve Martin („Dateline News Instrumental“), Angela Morley („Quickies 5“), Joachim Witt („Goldener Reite“), Simon & Garfunkel („The Sound of Silence“), Lord Huron („The Night we met“), Ollie Mayo („Foreboding“), Plastic Bertrand („Ca Plane Pour Moi“), John Denver („Some Days are Diamonds Some Days are stone“), Leo Nissim („Poem Dinner“), Rick Cassmann & Vyvyan Hope Scott („Lost in love“), Scala & Kolacny Brothers („Sweet Dreams Are made …“)
Foto: RTL / Wolfgang Ennenbach
Außerdem gibt es noch eine dritte Hauptrolle. Bei Dietl waren die Frauen letztlich bloß Dekoration, selbst wenn Veronica Ferres als Muse des Fälschers sicherlich stärker in Erinnerung geblieben ist als durch viele ihrer späteren Filme. Wosch hat mit einer jungen „stern“-Redakteurin eine Figur geschaffen, die mehrere Funktionen übernimmt: Elisabeth Stöckel (Sinje Irslinger, „Es ist alles in Ordnung“ / „Breaking even“) sucht nach Beweisen für die Behauptung, dass „Derrick“-Darsteller Horst Tappert bei der Waffen-SS gewesen sei. In den entsprechenden Unterlagen stößt sie zu ihrem Entsetzen auf den Namen ihres Vaters. Hans Stöckel, von Ulrich Tukur mit dem nötigen Format versehen, ist ein hochangesehener Juraprofessor, dessen Karriere schlagartig zu Ende wäre. Sie lässt sich überzeugen, dass er als Jugendlicher keine andere Wahl hatte, und vernichtet die Beweise, wird dabei allerdings beobachtet: Leo Gold (Daniel Donskoy) arbeitet für eine jüdische Organisation, die Alt-Nazis in wichtigen Funktionen aufstöbert, er hat der Redaktion die SS-Listen überlassen; Elisabeth soll ihm helfen, die Veröffentlichung der Tagebücher zu verhindern.
Auf den ersten Blick scheint die Journalistin mit der eigentlichen Handlung kaum mehr zu tun zu haben, als Mitglied der „stern“-Redaktion zu sein, aber sie ist die einzige Figur mit moralischer Integrität. An ihrem Beispiel zeigt sich zudem der Sexismus jener Jahre, weil ein Kollege (Tristan Seith) ständig Witze auf ihre Kosten macht. Selbst in der klar männlich dominierten Redaktionskonferenz fallen entsprechende Sprüche. Damals wurden solche Typen verharmlosend als „Chauvi“ bezeichnet; tatsächlich verkörpert der Mann die pure Frauenfeindlichkeit. Die dritte Funktion gilt der Zielgruppe: Natürlich dient Elisabeth als Identifikationsangebot für junge Zuschauerinnen.
Foto: RTL / Martin Valentin Menke
Das ältere Publikum darf sich dagegen vor allem über die Zeitreise freuen. Wer heute um die sechzig ist, hat die frühen Achtziger als Zeit des Aufbruchs und den Beginn eines Spaßjahrzehnts in Erinnerung. Dieses Lebensgefühl vermittelt „Faking Hitler“ (der Titel ist eine Anlehnung an einen gleichnamigen „stern“-Podcast) zu Beginn vor allem durch Hits der Neuen Deutschen Welle. Auch im weiteren Verlauf nimmt die Popmusik deutlich mehr Raum ein als die eigentliche Filmmusik (Helmut Zerlett, Robert Matt) – was schade ist, weil der flotte Jazz ausgezeichnet zur Geschichte passt. Im Unterschied zu vielen historischen Produktionen lässt die Inszenierung zudem Kostüm und Szenenbild nie wie ein Ausflug ins Museum wirken; ähnlich wie in amerikanischen Produktionen bewegen sich die Mitwirkenden natürlich und ungezwungen in den aufwändig rekonstruierten Kulissen.
Interessant ist auch die Auswahl der beiden Regisseure. Wolfgang Groos („Pastewka“) hat zuletzt fürs ZDF die Serie „Mein Freund, das Ekel“ inszeniert, Tobi Baumann hat einst mit „Ladykracher“ sein Gesellenstück gemacht und später mit Produktionen wie „Zwei Weihnachtsmänner“ oder „Add a Friend“ (Grimme-Preis) seine Meisterstücke folgen lassen. Bei „Faking Hitler“ verzichten jedoch beide konsequent auf Comedy-Effekte. Die Inszenierung steht einzig und allein im Dienst der Geschichte und des wunderbaren Ensembles, aus dem dringend noch Hans-Jochen Wagner als Ressortchef zu nennen ist. Trotzdem gibt es einige bemerkenswerte Szenen, etwa den spektakulären Auftakt, als sich Heidemanns Auto überschlägt, die Kamera jedoch stur beim Fahrer bleibt. Momente wie diese dienen ähnlich wie die gelegentliche Erotik in erster Linie als Augenfutter, lenken aber nicht vom Kern der Serie ab. Der besteht für Wosch ausdrücklich in den aktuellen Bezügen der Handlung: „Fake News“, Wettlauf der Medien um Aufmerksamkeit und Verharmlosung des Nationalsozialismus bewegen sich heute in ganz anderen Dimensionen als vor vierzig Jahren, selbst wenn die Achtziger als Dekade des Scheckheftjournalismus’ auch in dieser Hinsicht Maßstäbe setzten, weil sich zahlungskräftige Magazine wie „stern“ und „Bunte“ einen Wettbewerb um Exklusivinterviews lieferten. Die Serie ist übrigens in enger Zusammenarbeit mit dem Magazin entstanden. Der Bertelsmann-Konzern, zu dem sowohl RTL (dort wird die Serie voraussichtlich im Januar zu sehen sein) wie auch die Produktionsfirma UFA gehören, beweist mit „Faking Hitler“ nicht nur Größe, sondern auch Mut zur Selbstironie.