Es ist vermutlich gar nicht so einfach, relevante medizinische Themen unterhaltsam zu verpacken und dennoch einen gewissen Anspruch zu erfüllen. Jürgen Werner gelingt das mit „Engel der Gerechtigkeit“ immer wieder. Kein Wunder: Das Spektrum des ungemein produktiven Autors, der in manchen Jahren bis zu zehn Drehbücher produziert, reicht von einem „Tatort“ über Neofaschismus („Hydra“) bis zum „Traumschiff“; wer die Extreme des Fernsehfilms kennt, findet auch den goldenen Mittelweg. Natürlich gehorchen die Geschichten, die er sich im Auftrag von „Traumschiff“-Produzent Wolfgang Rademann für die Medizinerin und Anwältin Patricia Engel (Katja Weitzenböck) ausdenkt, den Regeln des Genres, aber die Mixtur aus Melo, Sentiment & Zuversicht funktioniert jedes Mal aufs Neue.
In der Episode „Geld oder Leben“ stehen Engel & ihr Vater, der Star-Chirurg Brenner (Robert Atzorn), ausnahmsweise mal auf derselben Seite. Geschickt stellt Werners wendungsreiches Drehbuch die Weichen für eine sanfte Neuausrichtung der Reihe, denn Brenner ist wie seine Tochter empört über die Strategie der Klinik, ihre Patienten lieber einmal zu viel als einmal zu wenig zu operieren. Opfer dieser Geldgier ist ein kleiner ukrainischer Junge, dessen Eltern bereits Unsummen für Operationen ausgegeben haben. Später wird Brenner feststellen, dass sich das Kind einen Parasiten eingefangen hat, den man mit Medikamenten behandeln kann. Im selben Aufwasch wird auch noch die Unsitte angeprangert, dass sich „Patientenschlepper“ für ihre Vermittlerdienste von beiden Seiten teuer bezahlen lassen. Alexander Held fügt mit der entsprechenden Figur seiner langen Liste von Schurkenrollen eine weitere hinzu.
Während man auf dieser Erzählebene gern bereit ist, den Zorn zu teilen, ist der zweite medizinische Handlungsstrang ethisch komplexer: Es geht um die Frage, wann das Leben endet. Protagonist ist ein älterer Herr, dessen Frau sich schon geraume Zeit im Wachkoma befindet. Ginge es nach dem Sohn, sollten die Ärzte ihr Leben nicht künstlich verlängern. Der Ehemann aber kann nicht loslassen und kümmert sich liebevoll um seine Frau, und weil Peter Weck den Gatten sehr menschlich und anrührend verkörpert, ohne dabei auch nur einen Hauch zu dick aufzutragen, ist man ähnlich wie die Anwältin hin- und hergerissen. Dass sie erst vom Sohn, dann vom Vater engagiert wird, treibt ihr Dilemma auf die Spitze.
Wie stets gibt es einen dritten Strang, der dem Privatleben vorbehalten ist, für das Patricia aber eigentlich ohnehin keine Zeit hat: Ihr Mann Thomas (Nicki von Tempelhoff) ist von einem dreimonatigen Aufenthalt in Norwegen zurückgekehrt, hat sich dort in eine andere Frau verliebt, wird noch mal Vater und will die Scheidung. Mit diesem Konflikt macht es sich Werner etwas einfach; hier müssen die üblichen Versatzstücke herhalten, allen voran ein Streit Patricias mit ihrer pubertierenden Tochter (Anna-Lena Schwing), die der arbeitsfreudigen Mutter vorwirft, sie habe ihren Mann vernachlässigt. Nach der Pilcher-Verfilmung „Ein einziger Kuss“ (6.4.2015) spielt Weitzenböck also schon wieder eine erfolgreiche Mutter, die angeblich schuld am Zerbrechen ihrer Familie ist; Ermutigungen für jene Mitglieder der Zielgruppe, die Kinder und Karriere unter einen Hut bringen wollen, sehen anders aus.
Die routinierte Regie des Films besorgte wie stets „Donna Leon“-Regisseur Sigi Rothemund, der gemeinsam mit seinem Stammkameramann Dragan Rogulj für professionelles Handwerk ohne Allüren steht; selbst wenn Szenen wie jene, in der Patricia von der Vaterschaft ihres Mannes erfährt, auch dank der musikalischen Ausrufezeichen etwas überinszeniert und daher „soapig“ wirken. Wie immer in den Produktionen Rademanns ist die Besetzung zum Teil fast zu namhaft. Roman Knižka als Brenners potenzieller Nachfolger, der sich dank einer Provisionsregelung gern den Operationsvorgaben des Klinikverwalters (Walter Kreye) unterwirft, hätte allerdings in Zukunft eine wichtige Rolle spielen können, erst recht, wenn Professor Brenner noch öfter an der Seite seiner Tochter für medizinische Gerechtigkeit gestritten hätte. Derzeit sind laut ZDF allerdings gar keine weiteren Filme geplant.