Endlich Witwer – Forever young

Joachim Król, Gedeck, Lohmeyer, Seith, Anca Miruna Lazarescu. Besser spät als nie

Foto Rainer Tittelbach

Schon in „Endlich Witwer“ wurde es angedeutet: Dieser jahrzehntelang als Pantoffelheld dahinvegetierende Fachmann für Kunstrasen war nicht immer ein kreuzbraver Spießer. Der Mann, der 2019 in der erfolgreichen ZDF-Komödie (7,4 Mio. Zuschauer) sich vom mürrisch-egoistischen Griesgram zu einem sehr viel lebensbejahenderen Muffelkopp wandelte, war auch mal jung. In „Endlich Witwer – Forever young“ (Bavaria Fiction) steht nun die politische Sponti-Phase jenes Georg Weiser im Zentrum der Geschichte – und vor allem das, was aus den Idealen, den Träumen und der Liebe von damals geworden ist. Das Sequel von Anca Miruna Lazarescu besitzt weniger radikale Komödienelemente als der Vorgänger, dafür ist er emotionaler, bleibt dabei stets wahrhaftig, weil die Figuren die Geschichte bestimmen. Der Film hat nichts mit dem Genre Dramödie zu tun, wie es hierzulande oft verstanden wird: als halbgarer Mix aus aufgesetzter Heiterkeit und belangloser Konflikt-Routine. Gratmesser für die Qualität sind vor allem die Dialoge sowie die Besetzung: Und so sehr Martina Gedeck auch mit dazu beiträgt, dass das Vergangene nie kitschig wirkt, so werden doch vor allem die Szenen zwischen Król und Tristan Seith als Vater und Sohn in Erinnerung bleiben.

Witwer Georg Weiser (Joachim Król) begibt sich aus seinem Schneckenhaus. Er will nach Marokko. Davon hat er schon in jungen Jahren geträumt, bevor er die Firma seines Vaters übernahm. Jetzt endlich will er es wagen, befreit von den Fesseln einer unglücklichen Ehe. Er reist allein. Genau genommen war er ja Zeit seines Lebens allein. So fühlte er sich auch vor rund vierzig Jahren, als er, die schöne Petra (Marina Gedeck) und Hallodri Jürgen (Peter Lohmeyer) ein ungleiches Trio bildeten. Keine Beziehung, so die Devise der Freunde. Georg hielt sich dran, Jürgen nicht – und so fuhr der Gelackmeierte eine Retourkutsche: ein Verrat mit Folgen für das Paar, von denen Weiser nichts mitbekommen wollte. Jetzt auf dem Weg ins gelobte Land fallen ihm die zwei wieder ein. Sie leben auf einem alten Hof, und plötzlich steht er da, Blumen, Rotwein, Donuts in der Hand: „Ich dachte, ich komm‘ mal rum.“ Falsch gedacht: Das Pärchen, bei dem der Haussegen wegen der Finanzen sowieso schon schief hängt, hat kein Interesse an einem nostalgischen Wiedersehen. Wenigstens das Schicksal meint es gut mit Weiser: Zuerst gibt das Wohnmobil den Geist auf, dann bietet ihm ein freundlicher Gast (Susanne Bormann) in der „Ruhe-Oase“ seiner Ex-Freunde Hilfe an, und auf seine Kinder Susanne (Friederike Kempter) und Gerd (Tristan Seith) ist ja immer Verlass.

Schon in „Endlich Witwer“ wurde es angedeutet: Dieser jahrzehntelang als Pantoffelheld dahinvegetierende Fachmann für Kunstrasen war nicht immer ein kreuzbraver Spießer. Der Mann, der 2019 in der erfolgreichen ZDF-Komödie (7,4 Mio. Zuschauer) sich vom mürrisch-egoistischen Griesgram zu einem freundlicheren und lebensbejahenderen Zeitgenossen wandelte, ohne gleich zum Liebling aller Zuschauerinnen zu mutieren, war auch mal jung und hatte seine Anarcho-Zeiten. In „Endlich Witwer – Forever young“ steht diese politische Sponti-Phase von jenem Georg Weiser im Zentrum der Geschichte – und vor allem das, was aus den umweltbewegten und romantischen Träumen der späten 70er und frühen 80er Jahre geworden ist. Vielleicht war jene Petra ja tatsächlich Weisers große Liebe. Vielleicht hat er sie aber auch nur idealisiert wie so manches andere in jenen Jahren. Sein Ich von damals (Matti Schmidt-Schaller) gibt ihm heute Erinnerungs- und auch ein wenig Nachhilfe in Sachen Es diesmal besser machen. Und auch sein Sohnemann, der in die Fußstapfen des Vaters zu treten droht, könnte womöglich profitieren von dessen Wandlung. Doch anfangs rät der noch immer wenig selbstbewusste Weiser, eingedenk seiner eigenen Erfahrungen mit der Liebe, dem Sohn nachdrücklich ab von dieser Managerin, die ihr hochtouriges „System“ mit Schweigegelübden runterfahren muss: „Sinnlichkeit, Liebe, Sympathie – da kann man einiges verwechseln.“

Soundtrack: Rolling Stones („Paint It Black“, „Angie“), Santana („Samba PaTi“), Kansas („Dust In The Wind“), Fleetwood Mac („Albatross“), The Cream („Sunshine Of Your Love“)

Dieses Projektionsspielchen zwischen Vater und Sohn funktioniert prima – weil sich hier weder dieses häufig benutzte dramaturgische Mittel noch eine „Moral“ in den Vordergrund schiebt. Im Zentrum stehen die Charaktere, die in den komischsten Szenen vorzugsweise sitzen oder liegen: mal eingezwängt am Tischchen des Wohnmobils, mal in guter alter Laurel-&-Hardy-Manier nachts in der engen Schlafkoje. Über das Problem mit Frauen, die Probleme machen, kommen sich Vater und Sohn also nicht nur in der Handlung näher, sondern auch im Bild. Köstlich die visuelle Umsetzung: Das Wohnmobil ist ein perfekter Raum für dieses tragikomische Duett. Und Joachim Król und Tristan Seith sind das ideale Vater-Sohn-Paar. Beide lassen in jedem Augen-Blick, jeder Geste erahnen, was die Beziehung der beiden Männer auszeichnet: ein Sohn, der es seinem Vater recht machen will, allerdings das Versagergefühl dank der schönen Angie langsam loswird und dem „Alten“ bald auf Augenhöhe begegnet; und ein Vater, der seine eigene Unzufriedenheit und Unzulänglichkeit auf den Sohn abwälzt. Im Drama ergibt sich daraus oft ein unlösbares Dilemma mit bitterem Ausgang; in einer Dramödie allerdings ist mehr drin‘ als ein Weiterso. Erst recht wenn es sich um eine Character-Driven-Dramaturgie handelt. Und Einsicht und Vernunft gehören nun mal zu realitätsaffinen Figuren. So werden die Weisers zunehmend ihrem Namen gerecht.

Auch andere Zweierszenen bringen den Haupt- und Nebenplot komisch voran: wenn sich beispielsweise Weisers Sohn und jene „Super-Frau“ dem Sex bei strikter Einhaltung ihres Schweigegelübdes hingeben oder der erste und womöglich auch letzte Beziehungsstreit ins Haus steht. Köstlich absurd auch, wie kalte und warme Kommunikationstechniken, das religiös-therapeutische Schweigen und das Herumgesimse, kombiniert werden. Dank Król und Martina Gedeck sind auch die Erinnerungsszenen frei von den bei solchen „Aussprachen“ nach langer Zeit üblichen Klischee- und Kitschmomenten. „Ich wäre überall mit dir hingegangen.“ In diesem Film klingt ein solcher Satz wahr. Andere Wahrheiten bringt eine schöne nächtliche Dreierszene hervor: Der obligatorische Joint in Form eines Küchenrollen-Bong kreist und die Männer prahlen mit ihren Narben, die sie sich bei politischen Aktionen geholt haben – und sie erkennen, dass sie aufbegehrten, als die Revolte längst vorbei war. Die Drei haben sich rangehängt, sind Zuspätgekommene. Und auch wenn es jetzt nochmal vierzig Jahre später ist, wollen sie – vor allem Weiser – etwas zu Ende bringen, was sie damals nicht geschafft haben. Denn da ist noch eine alte Rechnung offen mit dem Chemiewerk-Besitzer Kornhalter (Felix von Manteuffel), der mit seinem Giftmüll seit jeher die Gegend verpestet.

„Endlich Witwer – Forever young“ besitzt weniger radikale Komödienelemente als der Vorgänger. Zwar wechseln in dem Film von Anca Miruna Lazarescu („Hackerville“ / „Wir sind die Welle“), die auch das Drehbuch schrieb, die Stimmungslagen der Charaktere und der Tonfall der Geschichte, doch für das Skurrile und Schwarzhumorige findet sich bei dieser ernsthaften inneren Reise der Titelfigur kein Raum. Die Ausgangssituation ist weniger bizarr, denn Weiser ist im Leben angekommen, will es als Rentner ohne finanzielle Sorgen noch einmal wissen. Auch wenn wir dem Menschen Weiser alles Gute wünschen auf seinem weiteren Lebensweg, als Komödienfigur hat er diesmal deutlich weniger Potenzial. Ein lächerlicher Mann ist allemal komischer als ein vernünftig gewordener älterer Herr. Der Film hat einen guten Mittelweg zwischen Eigensinn und Vernunft, zwischen Komödiengenre und Psychologie gefunden. Sich noch einsichtiger geben sollte sich dieser Georg Weiser allerdings in einer möglichen Fortsetzung nicht. Versöhnliche Dramödien dieser Art gibt es genug.

Wie bereits beschrieben, wird es in diesem Sequel emotional, die Interaktionen bleiben jedoch stets (psychologisch) wahrhaftig. Dieser Film hat rein gar nichts mit dem Genre Dramödie zu tun, wie es hierzulande häufig verstanden wird: als Mix aus aufgesetzter Heiterkeit und belangloser Konflikt-Routine. Ein Gratmesser für die Güte sind vor allem die Dialoge: Sie wirken unspektakulär, aber gerade auch das gehört zur Qualität: dass sie – eben unauffällig – ins Schwarze treffen. Ein scheinbar beiläufiges „Seit wann geht es im Leben darum, was man will“, ein schüchternes „Darf ich?“ oder ein „Ich sehe, du hast dich bemüht“, sind vermeintlich banale Sätze, in denen sich aber Weisers Charakter wunderbar spiegelt. Höhepunkte sind aber die oft lakonischen Dialogwechsel zwischen Vater und Sohn, die Król und Seith krönen mit perfektem Timing und genialer Körpersprache. „Wo kommst du gerade her?“, fragt der Vater herrisch. „Meine Erziehung ist abgeschlossen“, kontert der Sohn. Darauf Weiser: „Wann hab‘ ich das gesagt?! Als Vater trägt man immer Verantwortung.“

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Reihe

ZDF

Mit Joachim Król, Martina Gedeck, Peter Lohmeyer, Tristan Seith, Susanne Bormann, Friederike Kempter, Felix von Manteuffel, Matti Schmidt-Schaller

Kamera: Jan-Marcello Kahl

Szenenbild: Gabriele Wolff

Kostüm: Frank Bohn

Schnitt: Hansjörg Weißbrich

Musik: Martina Eisenreich

Redaktion: Pit Rampelt

Produktionsfirma: Bavaria Fiction

Produktion: Doris Zander

Drehbuch: Anca Miruna Lazarescu

Regie: Anca Miruna Lazarescu

Quote: 5,11 Mio. Zuschauer (18,3% MA)

EA: 11.04.2022 20:15 Uhr | ZDF

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