Intellektueller Hausmann liebt das Bewährte, seine Manager-Gattin das Leben
Was der Auszug der Tochter mit ihrer Ehe zu tun haben soll, will Matthias Winter (Walter Sittler) einfach nicht verstehen. Seine Frau Tanja (Susanna Simon) kann diese Ignoranz nicht länger ertragen. Der wegen Herzproblemen frühpensionierte Lehrer hat sich zwar die letzten Jahre liebevoll um die gemeinsame Tochter Marie (Sinje Irslinger) gekümmert, führt dafür aber zuhause in Strickjacke und Schlappen ein selbstherrliches Regiment: Den Großteil der Wohnung nimmt dieser Mann mit seiner Sammelleidenschaft für sich in Beschlag. Da er seiner Frau auch jetzt, nachdem sich die Tochter nach Berlin verabschiedet hat, kaum mehr Raum in der Wohnung zugesteht, sucht sich die erfolgreiche Managerin eine Wohnung für sich allein, schön hell, geräumig – und bald hat sie auch den passenden Mann (Bernd Christian Althoff) für dieses Ambiente gefunden. Dem verlassenen Matthias, für gewöhnlich nicht um eine Antwort verlegen, verschlägt es die Sprache, gleich doppelt: denn auch die Tochter hat plötzlich ihren eigenen Kopf, sie will plötzlich nicht mehr studieren – und outet sich als lesbisch. Geblieben sind ihm außer Maries Papagei nur die eigene Unordnung, seine Selbstlügen und das ärztlich verordnete Fitnesstraining. Dafür macht die Pumpe wieder mit. „Kaum bist du weg, da schlägt mein Herz wieder normal“, ätzt er seiner besseren Hälfte hinterher. Und dann gibt ihm ausgerechnet sein Papagei Nachhilfe in Sachen Anmache.
Der Mann redet, die Frau handelt – bis aus dem Sammler wieder ein Jäger wird
Wenn die Kinder das Haus verlassen, beginnt auch für die Eltern ein neuer Lebensabschnitt. Die Trilogie „Eltern allein zu Haus“ erzählt von Beziehungen auf dem Prüfstand, von eingeschlafenen Gefühlen, von Ehen, bei denen „Reparaturen“ zu spät kommen oder noch etwas zu retten ist, von amourösen Neuanfängen und davon, dass Eltern auch Eltern bleiben, selbst wenn sie getrennt leben und ihre Kinder (fast) erwachsen sind. In „Die Winters“, dem zweiten Film dieses bemerkenswerten ARD-Projekts, erzählt Nina Bohlmann, die die Drehbücher zu allen drei Filmen geschrieben hat, von einem (Ex-)Paar, das so gar keine Gemeinsamkeiten zu haben scheint. Wie sind dieser schluffige Studienrat und diese energiegeladene Frau wohl zusammengekommen? Weil sich Gegensätze anziehen? Auch Tanja Winter versteht ihre Ehe in der Rückschau nicht. Noch weniger versteht der Noch-Gatte, der linkisch versucht, seine Frau zurückzugewinnen. Weil der Mann etwas retten will, was längst nicht mehr zu retten ist, verharrt der Film nach einem amüsanten Auftakt zwischenzeitlich in einer etwas zähen Tragikomödie eines lächerlichen Mannes. Die Monologe des Verlassenen, der im sich selbst etwas vormachen eine glatte Eins verdient, mögen in der Exposition ihren Sinn haben als Signale intellektueller Selbstverliebtheit und pädagogischer Belehrungslust, in der Folge aber ermüden sie und weil zumeist ein entsprechender Gegenpart fehlt, sind diese Monologe mehr Zeichen für Larmoyanz als Quellen des Witzes (was bei einem Walter Sittler natürlich schade ist). Erst als der sich in der Vergangenheit suhlende Sammler aus seiner Komfortzone heraus begibt, den Jäger in sich entdeckt, gewinnt die Komödie wieder deutlich an Unterhaltungswert. Und mit der unverhofften Kehrtwende, dem Entdecken alter Leidenschaften, kommt bei dem Besserwisser plötzlich auch sprachlicher Esprit ins Spiel.
Der Trilogie-Faktor: die „gemeinsamen“ Szenen der drei Filme
„Eltern allein zu Haus“ sind drei Einzelstücke, angesiedelt zwischen Komödie & Dramödie, die nicht thematisch zusammengehören und deren Geschichten auch konkret korrespondieren. So gibt es mehrere Szenen, beispielsweise die Abi-Feier, das Treffen in einem Konzert, im Fitnesscenter oder des Öfteren im Krankenhaus, in denen Charaktere aller drei Filme sich begegnen. Die Perspektive wird jeweils bestimmt von den Titelgebern. Bei „Die Schröders“ registriert man den Trilogie-Faktor interessiert, bei „Die Winters“ sind die sich überschneidenden Szenen schon ein bisschen aufschlussreicher und im dritten Film, „Frau Busche“, lassen sich dann auch die letzten dezenten Fragezeichen beantworten. Diese gefühlten zehn, zwölf „gemeinsamen“ Minuten eines jeden Films sind ein spielerischer Mehrwert für den Zuschauer. Wer nur eine Episode sieht, mag zwar etwas „verpassen“, ist sich dessen aber nicht bewusst; unverständliche Momente gibt es für den „Einzeltäter“ jedenfalls nicht. Besonders für den Unterhaltungssendeplatz am ARD-Freitag, an dem als Reihe bisher allenfalls „Hotel Heidelberg“ überzeugen konnte, ist diese Format- und Themenidee doppelt wertvoll. Und so gibt es bei allen drei Filmen für das kluge Degeto-Konzept einen halben ttv-Stern obendrauf!
Geschickt die Waage gehalten zwischen tragischen und komischen Momenten
„Die Winters“ erzählt von einer kaputten Ehe und zwei Neuanfängen, einem rasanten und einem mit Verzögerung. Wie bei „Die Schröders“ wählte Autorin Bohlmann auch für diese zweite Episode von „Eltern allein zu Haus“ die Form der Dramödie. Da gibt es auf der einen Seite die herben Desorientierungsphasen des Mannes und Anflüge von Melancholie bei der Frau („Ich hab’ als Mutter versagt“), und da gibt es auf der anderen Seite eine tragikomische Solo-Sitzung bei der Psychotherapeutin, bei der der Verlassene sich freiwillig um Kopf und Kragen redet und sich als Egomane outet, da gibt es komische Euphemismen („Ich strukturiere gerade etwas um“ oder „Ich muss mal wieder aufräumen“ als Umschreibungen für Chaos) und immer wieder die Schlagfertigkeit eines Angeschlagenen. So macht ihm die Ex-Frau lange nach der Trennung Vorhaltungen über Vorhaltungen; die Pointe aber geht an den Kritisierten: „Du kannst dich ja noch mal von mir trennen.“ Und in Watzlawickscher Tradition gibt Pohlmann dann auch schon mal eine Anleitung zum Unglücklichsein: Da ruft Winter bei seiner Ex mitten am Tag an, sagt aber, es sei nichts, sie solle es vergessen, dass er angerufen habe. Doch wie soll das gehen bei jemandem, der diesen Mann geliebt hat und sich sicher manchmal noch um ihn, den Herzpatienten, sorgt. Mit jedem „Vergiss es“ wird es nur noch schlimmer. Auch auf der Zielgeraden wechseln sich tragische und komische Momente ab – ohne jede Tonlagen-Kollision. Trifft sich ein ehemaliges Paar mit seinen neuen Partnern in der Sauna… das allein hört sich schon nach einem Witz an. Treffen die Tochter und ihr Vater, der ihr gerade noch versprochen hat, um seine Frau zu kämpfen, wenig später in der Wohnung einer allein lebenden Frau ganz zufällig aufeinander… das klingt nicht nach Witz.
Einladung zur Selbsterkenntnis – spielerisch, unverkrampft, hoffnungsfroh
Alltagsnähe ist die Rezeptur dieser ARD-Trilogie. Damit besitzen ihre Geschichten für die meisten Zuschauer einen großen Wiedererkennungswert und eine außerordentlich hohe Anschlussfähigkeit. Erfreulicherweise funktionieren die drei Filme nur bedingt über das Muster Sympathie/Antipathie. Statt dessen darf man als Betrachter den Protagonisten von höherer Warte aus, mit launiger Distanz, bei ihren tragikomischen Kommunikationsproblemen zuschauen. Und dabei definiert weniger die Psychologie des Einzelnen als vielmehr das allgemeine Interaktionsmuster die Beziehung. Während Simons kühle Karrierefrau die am wenigsten zugängliche Figur der Trilogie ist, wurde aus Sittlers Ehemann mit seinen stark karikierenden Zügen aber auch keine uneingeschränkte Identifikationsfigur. Dass der Zuschauer bzw. die Zuschauerin emotional stärker bei dem Mann andocken wird, dürfte in erster Linie an Sympathieträger Sittler liegen und dem Zuschauerherz für liebenswerte Außenseiter. Dennoch gilt auch für diese Episode von „Eltern allein zu Haus“ die altbekannte Psychotherapeuten-Weisheit: Zu jeder Beziehungskrise gehören immer zwei. Wird auch keine der Figuren von vornherein disqualifiziert, so dürfte dennoch jeder Zuschauer seine „Favoriten“ haben. Das sagt – genauso wie die Präferenz für einen der drei Filme (dem Kritiker gefällt „Frau Busche“ am besten) – auch viel über die Neigungen und Erfahrungen des jeweiligen Zuschauers aus. Insofern lädt diese mehr als respektable TV-Trilogie spielerisch, unverkrampft und hoffnungsfroh zur Selbsterkenntnis ein. Und wer glaubt, ihn würde das alles nichts angehen, der wird auch seinen Spaß haben. (Text-Stand: 27.2.2017)