Die Staatsanwältin Charlotte Reinke ist hin und her gerissen. Ein Vater wird bei einer Vorvernehmung seiner achtjährigen Tochter durch eine ermittelnde Gerichtspsychologin des sexuellen Missbrauchs beschuldigt. „Papa hat sich auch ausgezogen“, sagt das Mädchen. Der Fall scheint eindeutig. Nur weshalb umarmt dann Laura nach der Verhandlung ihren Vater so ohne jeden Argwohn? Und tatsächlich, bei der Hauptverhandlung wendet sich das Blatt. Die Verteidigung beißt sich an einem Satz nach der ersten Vernehmung fest: „Hab ich alles richtig gesagt?“, hat Laura ihre Mutter gefragt. Und mehr noch: Das Mädchen widerruft seine Anschuldigungen. Die Staatsanwältin schafft es gerade noch, den Fall zu vertagen. In dieser Zeit setzt der Vater sein Umgangsrecht juristisch durch. „Er bekommt sie keine Sekunde allein – eher bringe ich ihn um“, wettert die Ehefrau, die ausgerechnet an dem Tag die Anzeige gegen ihren Mann erstattete, als seine neue Beziehung bekannt wurde. Der Staatsanwältin gelingt es, den Vater zu überzeugen, den Nachmittag mit der Tochter zu einem Nachmittag mit der „Familie“ zu machen. Doch der endet im Streit und mit dem Verschwinden Lauras.
Man kann spekulieren, weshalb „Einfach die Wahrheit“ zwei Jahre bis zur Ausstrahlung warten musste: ein zu brisantes Thema für einen Degeto-Film (da ruft man nicht sofort: „senden!“) oder zu oberflächlich für ein solches sogenanntes „brisantes Thema“. Beides ist wohl richtig. Die großartige Besetzung bis in die kleinste Nebenrolle kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Film keine angemessene Haltung zu seinem Thema findet, sondern stattdessen den Kindesmissbrauch in eine uninspirierte Und-dann-und-dann-Dramaturgie einbindet, die sich nur für die „Äußerlichkeiten“ der Handlung interessiert. Sowohl der von Heiner Lauterbach gespielte Vater als auch Ursina Lardis Mutter dürfen nicht zu tief ausgelotet werden, weil sie sonst über sich zu viel verraten und dem Fall die Spannung nehmen würden. So bleibt „Einfach die Wahrheit“ ein vordergründiges Justizdrama, das sich allein auf die Frage konzentriert, ist der Vater ein Pädophiler oder nicht (und hat vielleicht die Frau noch irgendeinen Grund, auf Rache aus zu sein)? Dass die ermittelnde Heldin auch so ihre Probleme hat mit Nähe und Liebe, dass sie auch einmal eine Tochter hatte und deshalb gelegentlich befangen wirkt, wird nach einer Stunde in einem intimen Beziehungsgespräch nachgereicht, besitzt aber keine essentiellen Auswirkungen auf irgendeine Psychologie.
Foto: Degeto / Marco Nagel
Ab und an zweifelt die Heldin an ihrer Kompetenz. Denn bis vor Kurzem war sie noch im Wirtschaftsressort zuhause. Nun hat es sie zur Sitte verschlagen. Einen tieferen Sinn hat das eher nicht, wohl aber den, dass sie dadurch offenbar einen Freibrief für naives Befragen von Pädagogen und Psychologen hat – und Drehbuchautor Hardi Sturm so noch ein paar Gemeinplätze zum Thema „Woran erkenne ich einen Pädophilen?“ oder „Wie kann ich den Missbrauch stichhaltig beweisen?“ in die Handlung einbauen kann. So ein bisschen was hat jene Charlotte Reinke mittlerweile auch mitbekommen: „Kinder lieben ihre Eltern, egal, was sie ihnen antun.“ Fazit: unbedarfte, grob gestanzte Figuren, lineare Oberflächen-Dramaturgie, man könnte das Themenmissbrauch nennen, auf jeden Fall aber ist „Einfach die Wahrheit“ nicht intelligenter als eines jener vermeintlich themenorientierten TV-Movies, die die Kommerzsender in den 1990er Jahren massenweise produzierten. (Text-Stand: 26.2.2013)