Zumindest vom Schauplatz her hätte dieser Film auch in die ZDF-Sonntagsreihe „Fluss des Lebens“ gepasst: Die Handlung trägt sich größtenteils auf der Moldau zu. Während es in „Fluss des Lebens“ jedoch meist recht dramatisch zugeht, weil die Hauptfiguren mit existenziellen Herausforderungen konfrontiert werden, ist „Ein Sommer an der Moldau“ ein romantisches Melodram mit viel Landschaft und ausführlicher Prag-Hommage: Ein Großelternpaar will dem Mann der verstorbenen Tochter das Sorgerecht für die Enkelin entziehen. Die Berliner Privatdetektivin Sophie (Alina Levshin) soll beweisen, dass der womöglich auch noch gewalttätige tschechische Vater das elfjährige Mädchen nicht gut behandelt. Der erste Eindruck scheint die Vermutung zu bestätigen: Tomasz (Marko Cindrić) bietet mit seinem etwas in die Jahre gekommenen Schiff Flusskreuzfahrten auf der Moldau an. Während er hinter dem Steuer steht, muss Katka (Ziva Marie Faske) sämtliche Arbeiten an Bord verrichten und die wenigen Gäste bei Laune behalten. Außerdem hat der Mann seine Gefühle nicht immer Kontrolle. Aber je besser Sophie die beiden kennen lernt, umso mehr bröckelt dieses Bild: Vater und Tochter haben ein äußerst liebevolles Verhältnis.
Foto: ZDF / Stanislav Honzik
Eigentlich erzählt das Drehbuch (Axel Melzener und Julia Nika Neviandt haben die ursprüngliche Fassung von Daniel Call überarbeitet) jedoch eine ganz andere Geschichte. Im Grunde ist der Film eine Heldinnen-Reise, in deren Verlauf Sophie ihre eigene Haltung zum Leben überdenkt: Kurz vor der Abreise nach Tschechien hat ihr Freund Florian (Steve Windolf) sie mit einer gemeinsamen Wohnung überrascht; Kinderzimmer inklusive. Aber Sophie liebt ihre Arbeit und kann mit Kindern nichts anfangen, deshalb hatte sie den Moldau-Auftrag eigentlich schon abgelehnt; nun nutzt sie ihn, um kurzerhand aus der Beziehung zu flüchten. Die Flussfahrt hat allerdings einen allmählichen Sinneswandel zur Folge, denn während sie beobachtet, wie Tomasz und Katka gegenseitig Verantwortung füreinander übernehmen, werden Erinnerungen an ihre eigene Kindheit wach. Dank Hauptdarstellerin Alina Levshin besitzt dies selbst auf dem „Herzkino“-Sendeplatz noch eine gewisse Tiefe.
„Ein Sommer an der Moldau“ ist der erste Fernsehfilm von Sarah Winkenstette. Im Frühjahr ist ihr Regiedebüt „Zu weit weg“ in die Kinos gekommen, ein mehr als sehenswerter Familienfilm über zwei Jungs, die auf unterschiedliche Weise ihre Heimat verloren haben. Auch ihr „Herzkino“-Beitrag belegt, dass sie offenbar ein gutes Händchen für junge Darsteller hat. Ziva Marie Faske spielt hier ihre erste größere Rolle und macht das ganz ausgezeichnet, zumal Katka eine sehr komplexe Figur ist: Bei der Arbeit an Bord und im Austausch mit den Gästen wirkt sie fast erwachsen, aber wenn sie mit Sophie über den Tod ihrer Mutter spricht, ist sie noch ganz Kind. Der Serbe Marko Cindrić ist als viriler Typ mit melancholischem Blick in seiner ersten größeren deutschen Rolle ebenfalls eine gute Besetzung für Tomasz, der seine Tochter anscheinend als billige Arbeitskraft ausbeutet, ihr in Wirklichkeit aber ein denkbar liebevoller Vater ist.
Foto: ZDF / Stanislav Honzik
Eher undifferenziert und auch nicht immer glaubwürdig gespielt sind dagegen die Rollen der beiden weiteren Passagiere. Marianne (Franziska Walser) und Paul (Rudolf Kowalski) streiten wie ein altes Ehepaar, sind aber zunächst per Sie und haben offenkundig rein dramaturgische Funktionen: Sie dient als mütterliche Ratgeberin für Sophie, er ergänzt die Handlung um ein weiteres Drama, dessen Wurzeln in die Tages des Prager Frühlings zurückreichen; ein allzu durchschaubarer Versuch, etwas Historie unterzubringen. Das ist bei anderer Gelegenheit, als Tomasz die Geschichtskenntnisse seiner Tochter abfragt, ungleich besser gelungen. Nicht ganz konsequent ist auch der Umgang mit den Einheimischen, die tatsächlich Tschechisch sprechen dürfen; Untertitel sind für einen Sonntagsfilm im ZDF ziemlich ungewöhnlich. Als es jedoch gegen Ende zu einem längeren Dialog zwischen Tomasz und einem Mitarbeiter des Jugendamts kommt, verständigen sich die beiden Männer auf Deutsch, was wenig glaubwürdig ist, selbst wenn Sophie (die kein Tschechisch versteht) daneben steht.
Aus Sicht der Zielgruppe dürften diese kleinen Schwächen durch die prachtvoll anzuschauenden herbstlichen Landschafts- und Flussaufnahmen sowie die verschiedenen Landausflüge zu Burgen und Schlössern mehr als ausgeglichen werden; von Prag, dem Treiben auf den Straßen, selbstverständlich auch bei Nacht, kann die Kamera ebenfalls nicht genug kriegen. Bildgestalter Christian Almesberger hat zudem für eine derart kuschelige Atmosphäre gesorgt, dass selbst der Maschinenraum des Schiffs, in dem sich Tomasz und Sophie ein bisschen näherkommen, romantisch wirkt; in den Berliner Rückblenden ist das Licht selbstredend längst nicht so heimelig. Die eingängige Musik (Ulrich Reuter) sorgt für die perfekte Abrundung der schönen Bilder wie auch der ernsten Szenen. Der Film kommt übrigens ganz ohne Bedřich Smetanas Klassiker „Die Moldau“ aus; dafür darf Karel Gott den Fluss mit seinem Lied „Vitava“ (wie die Moldau auf Tschechisch heißt) besingen.
Foto: ZDF / Stanislav Honzik