„Die Kinder leiden oft noch mehr als der erwachsene Alkoholiker in der Familie“, sagt Margarethe von Trotta („Die bleierne Zeit“). In ihrem zweiten Fernsehfilm für den WDR, „Dunkle Tage“, durchleuchtet sie deshalb nicht nur die Psychologie der oft bagatellisierten Krankheit, sondern zeigt auch, wie eine Alkoholikerin ihre eigenen Kinder ins Verderben reißen kann. In der Hauptrolle überzeugt Suzanne von Borsody, die unlängst als „Mörderin“ bestach.
Der Vater ist der ruhende Pol der Rinsers. Als der plötzlich stirbt, springt das Leben von Mutter Angela aus den Fugen. Sie ist der Typ, der sich auffressen lässt von den Zwängen ihrer Umwelt. Und so wird aus dem zunächst beiläufigen Griff zum Glas („meine Medizin“) der zitternde Griff zur Flasche. Die Folge: sie verliert immer öfters ihre Haltung und bald auch ihren gutbezahlten Job als Chefsekretärin. Die Kinder können nicht helfen. Sie wollen die Fassade aufrechterhalten. Sie holen nachts den „Nachschub“ von der Tankstelle und müssen sich immer neue Ausreden für Nachbarn und Freunde ausdenken.
Kritik: „Dunkle Tage“
„Das Schlimmste war, dass wir nie wussten, wie sie abends nach Hause kommen würde. Ob sie uns anschreien, schlagen oder mit uns fröhlich sein würde.“ Eine Alkoholikerin zur Mutter zu haben ist ein schweres Schicksal. Margarethe von Trotta zeigte dies in „Dunkle Tage“ bis an die Grenze des Unerträglichen. Suzanne von Borsody lieferte ein eindringliches Trinker-Porträt. „Ich bring‘ mich um, ich schwöre es Dir!“ Was gibt es da für eine Tochter zu tun? Mittrinken und gemeinsam untergehen oder sich aus dem Bann der krankmachenden Mutter befreien, auf die Gefahr hin, den Rest des Lebens mit einer Schuld zu leben?!
Dass „Dunkle Tage“ nicht glücklich endet, ist einerseits konsequent, entspricht der Trinker-Biographie der Heldin. Ihr Tod, mit dem der Film beginnt, ist außerdem die beste Möglichkeit, die Alkoholikerin nicht zum Monster werden zu lassen. Der Zuschauer muss sich deren Tod nicht mehr wünschen und kann so Mitleid mit der Person haben, die beinahe noch ihr Kind mit ins Verderben reißt. Das in Moll gehaltene, nicht leicht zu goutierende Fernsehspiel ist das, was man früher als „Problemfilm“ bezeichnete. Gut recherchiert, baut es viele Wahrheiten über Trinker-Familien zu einer Geschichte zusammen. Besonders mit der realistischen Perspektive der Koabhängigkeit könnte der Film zu einem Klassiker werden. tit.
„Die Kinder sind hin- und hergerissen: mal hassen sie, mal lieben sie ihre Mutter“, so von Trotta. „Tochter Felicitas wird zur Mutter ihrer Mutter. Und sie schwankt ständig zwischen Fürsorge für die Mutter und dem Ekel vor der Trinkerin.“ Die Filmemacherin, die selbst das Drehbuch schrieb und dafür monatelang recherchierte, Alkoholiker-Biografien las, Gespräche mit Ärzten führte und sich in Entzugskliniken umsah, berichtet von einer authentischen Geschichte: von einer Frau, die ihre alkoholkranke Mutter als junges Mädchen bekämpft hatte, „sich aber schließlich nicht mehr anders zu helfen wusste, als mit ihrer Mutter zu trinken“.
Wie viele mäßig chargierende Trunkenbolde haben wir nicht schon im Fernsehen gesehen? Umso beeindruckender ist die Leistung von Suzanne von Borsody, die in „Dunkle Tage“ ein kleines schauspielerisches Wunder vollbringt. Beängstigend präzise vollzieht sie vor unseren Augen den langsamen Verfall ihrer Figur: Zunächst sind es nur die neuerdings so unwirschen Gesten gegenüber den Kindern, bald kommen die etwas zu ausladenden Gesten hinzu, mit denen sie im Büro die Akten aus dem Regal zieht. Schritt für Schritt, Schluck für Schluck verändert sich der Habitus der Borsody, bis sich in ihren entglittenen Gesichtszügen der Blutalkohol schließlich tatsächlich widerzuspiegeln scheint. (Klaudia Brunst – heute Wick – in der Berliner Zeitung)
„Dunkle Tage“ konnte nur ein trüber Film werden. Einem Zwischenhoch in der Klinik folgt der tiefe Fall – und von Borsodys Sonnenbrille wird wieder größer, die Haare fettiger, die Bewegungen unkoordinierter. „Es wird schon wieder“, das ist nicht von Trottas Haltung. Es würde eben nicht, wenn der Kranke nicht aus eigener Kraft etwas unternehme. „Ich wollte nicht mit hübschen Bildern die Probleme zukleistern. Man muss die Folgen der Krankheit körperlich spüren, die Kotze auf dem Boden förmlich riechen.“ Das war von Trotta wichtig.
Mit der spielfreudigen Suzanne von Borsody traf sie auf die Richtige. „Solch eine Figur, die eine psychologische Entwicklung hat, ist geradezu ein Leckerbissen für einen Schauspieler“, sagt sie. Und wie hat sie sich die Rolle angeeignet? „Fast wissenschaftlich. Ich habe mich gefragt, was passiert mit ihr körperlich? Wie bewegt sie sich in welchen Momenten? Wann setzt die Motorik aus?“ Und beim Dreh, lauter düstere Gesichter? „Ach, was, die schrecklichsten Szenen sind beim Drehen oft die lustigsten.“