Mit „Ewige Jugend“ feiert die vor fast 20 Jahren gestartete Reihe ein kleines Jubiläum; der Film ist die 25. ARD-Adaption eines Venedig-Romans von Donna Leon. Die Behauptung, seit 2000 hätten sich die Krimis im Grunde nur hinsichtlich des Hauptdarstellers geändert, wäre zwar weder fair noch korrekt; aber gänzlich falsch wäre sie nicht. Seit 2003 („Venezianisches Finale“) verkörpert Uwe Kockisch den eher in sich gekehrten sympathischen Commissario Guido Brunetti. Noch länger, nämlich seit der dritten Episode („In Sachen Signora Brunetti“, 2002), sind sämtliche Filme von Sigi Rothemund und seinem Stammkameramann Dragan Rogulj gedreht worden. Vor rund 15 Jahren wechselte die Produktionsfirma, seither wird „Donna Leon“ von UFA Fiction (damals noch teamWorx) hergestellt. Die neuen Produzenten sorgten für eine andere Ästhetik, die Optik wurde ansprechender, und natürlich hat sich die Filmsprache seither weiterentwickelt; aber im Grunde ist die Reihe, positiv gesehen, ein schönes Beispiel für Kontinuität. Weniger wohlwollend ließe sich konstatieren: Fernsehen von gestern. Das ist zwar ein gern genutztes Totschlagargument, wenn es darum geht, Sendungen von ARD und ZDF als verstaubt zu diskreditieren, aber ein großer Teil des Stammpublikums hat offenbar gar nichts dagegen, wenn Filme und Serien einen gewissen nostalgischen Effekt auslösen. Das gilt nicht nur für eine altbackene Reihe wie „Rosamunde Pilcher“, sondern auch für die erfolgreichen Wiederholungen von Klassikern in den Spartenkanälen.
Foto: Degeto / Nicolaas Maack
Trotzdem bietet selbst ein vorgegebener Rahmen einen gewissen Spielraum; viele Donna-Leon-Verfilmungen waren durchaus sehenswert, spannend und von einer reizvollen Ästhetik. „Ewige Jugend“ ragt aus den bislang 25 Episoden allerdings nicht weiter heraus, selbst wenn für diese Filme andere Maßstäbe gelten als beispielsweise für einen „Tatort“. Dass sich die Spannung in Grenzen hält, werden viele Zuschauer vermutlich sogar begrüßen, ebenso wie das überschaubare Tempo, weil die Aufnahmen von Venedig mindestens so wichtig wie die Handlung sind. Die Autoren, in diesem Fall Jens-Frederik Otto bei seinem ersten Drehbuch für die Reihe, müssen daher stets bedenken, dass die Stadtansichten nicht zu kurz kommen. Das gilt nicht nur wie bei den anderen ARD-Auslandskrimis für die gern als Kapiteltrenner eingesetzten Panoramaschwenks; würde sich jemand den Spaß erlauben, alle Szenen zu sammeln, die Brunetti und seinen treuen Sergente Vianello (Karl Fischer) auf den Straßen, Plätzen und vor allem Kanälen zeigen, wäre das Ergebnis vermutlich abendfüllend.
In „Ewige Jugend“ gibt es ebenfalls viele Einstellungen, in denen Kockisch unterwegs ist. Das lässt zwar auch diesen Film etwas formelhaft wirken, hat aber trotzdem einen gewissen Reiz. Übertrieben formuliert wäre es völlig egal, wo Rogulj seine Kamera aufstellt, weil Venedig dank seines morbiden Charmes überall ein Erlebnis ist. Auf den schleichenden Tod der „Serenissima“ bezieht sich auch ein Subthema, dass Donna Leon ein besonderes Anliegen ist. Eine der Hauptfiguren dieser Episode, die achtzig Jahre alte Contessa Lando-Continui (Hildegard Schmahl), hat eine Stiftung gegründet, um Venedig vor dem Aussterben zu bewahren: Weil immer mehr Eigentümer ihre Häuser in Ferienwohnungen umwandeln, können sich die Einheimischen die Mieten nicht mehr leisten. Der Tag, an dem die Stadt bloß noch eine Kulisse für Touristen sein wird, lässt sich errechnen. Im Rahmen eines Stiftungsempfangs bittet die Contessa den Commissario, einen 15 Jahre alten Fall aufzurollen. Damals ist ihre 14jährige Enkelin nachts überfallen und in einen Kanal gestoßen worden. Sie konnte zwar gerettet werden, doch ihr Gehirn hat in Folge des Sauerstoffmangels erheblich gelitten. Heute ist Manuela (Nadja Bobyleva) eine erwachsene Frau auf dem geistigen Niveau eines Kindes. Die Contessa, die ihre Familie mit matriarchalischer Strenge regiert, war überzeugt, ihr Sohn (Andreas Pietschmann) habe sich am eigenen Kind vergangen, das sich daraufhin das Leben nehmen wollte; deshalb hat sie dafür gesorgt, dass die Polizei die Ermittlungen einstellt, obwohl der Retter des Mädchens damals versicherte, er habe gesehen, wie ein Mann Manuela ins Wasser gestoßen habe. Mittlerweile weiß er sogar, wer es war, aber er nimmt das Geheimnis mit ins Grab: Jemand hat ihn erstochen.
Foto: Degeto / Nicolaas Maack
Weil Venedig auch für Schauspieler eine Reise wert ist, zeichnen sich die Filme fast immer durch eine namhafte Besetzung aus. Das macht das Ermitteln für Couch-Kriminalisten naturgemäß schwieriger. Die sonst übliche Formel, dass prominente Episodenhauptdarsteller stets auch die Täter sind, funktioniert bei „Donna Leon“ meistens nicht; diesmal aber schon, woraus Otto auch keinen Hehl macht, weil die Geschichte schließlich auf ein Kräftemessen zwischen dem Commissario und dem siegessicheren Hauptverdächtigen hinausläuft. Auf seine Spur kommen die Ermittler mit Hilfe des Fernsehens: Manuelas Lebensretter konnte mit seinem altersschwachen Apparat nur noch einen Lokalsender empfangen. Brunetti ist überzeugt, dass der Mann dort seinen Mörder gesehen hat, weshalb der ohnehin für anspruchsvolle Aufgaben nicht verwendungsfähige Alvise (Dietmar Mössmer) die letzten 48 Programmstunden sichten muss. Die Idee ist originell, setzt jedoch voraus, dass der Täter, ein nicht ganz unwichtiges Mitglied der Gesellschaft, vorher öffentlich quasi nicht in Erscheinung getreten ist. Die Geschichte enthält aber noch einen weitaus größeren Stolperstein: Vor ihrem Sturz ins Wasser hatte Manuela ein traumatisches Erlebnis. Einerseits ist es gut möglich, dass sie ihren Peiniger bei späteren Begegnungen nicht wiedererkannt hat; andererseits fädelt Brunetti zum Schluss eine Konfrontation mit diesem Dämon der Vergangenheit ein, der dank Roguljs wie stets erlesener Bildgestaltung tatsächlich geisterhafte Züge annimmt.
Nadja Bobylevas Spiel ist zwar nicht ganz so anrührend, wie es sicher wirken sollte, und einige der bekannten Nebendarsteller haben schlicht zu wenig zu tun. Hildegard Schmahl ist mit ihrer kontrollierten Mimik allerdings die perfekte Besetzung für die Contessa, zumal sie mit jeder ihrer sparsamen Gesten das Motto „Adel verpflichtet“ ausstrahlt. Annett Renneberg ist als Signorina Elettra elegant und charmant wie eh und je. Gut integriert ist auch Brunettis Familie (Julia Jäger, Laura-Charlotte Syniawa, Patrick Diemling): Die erwachsenen Kinder überraschen die Eltern mit Auszugsplänen. Vor allem Sohn Raffi will sich abnabeln, muss dafür aber Venedig verlassen, weil er sich hier – nun schließt sich der Kreis zum Subthema – keine eigene Wohnung leisten kann. Kockisch hat auf dieser Ebene seine schönsten Szenen, weil er auch eine andere Seite des Commissarios zeigen darf, denn natürlich tut Brunetti nur so, als ginge ihn das alles nichts an. Trotzdem wirken die Gespräche mitunter, als ginge es in erster Linie um den großartigen Ausblick von der Dachterrasse der Familie.