Doktor Ballouz

Merab Ninidze, Richter, Bobyleva, Lubeck, Menck/Osthus. Schenken macht glücklich

Foto: ZDF / Stefan Erhard
Foto Tilmann P. Gangloff

Dass die zentrale Figur einer Arztserie nicht nur Idealist und Philanthrop, sondern auch eine medizinische Koryphäe ist, versteht sich von selbst. Trotzdem ist der melancholische Titelheld von „Doktor Ballouz“ (ZDF/X Filme) kein TV-Arzt wie jeder andere. Das hat einerseits viel mit dem Hauptdarsteller Merab Ninidze zu tun; andererseits ist den sechs Folgen anzumerken, dass die kreativen Köpfe hinter der Produktion eine Serie im Sinn hatten, die Trost spenden und Mut machen soll. Viele der nur scheinbar auf den ersten Blick durchschaubaren Figuren offenbaren eine zweite Seite. Auch die in sich abgeschlossenen Geschichten nehmen gern eine unerwartete Wende. Überaus sympathisch ist der Humor, den das Autorinnenteam rund um Conni Lubek immer wieder beiläufig einstreut. Den Regisseuren Andreas Menck und Philipp Osthus gebührt große Anerkennung für die ausgezeichnete Arbeit mit dem Ensemble.

Mehr noch als im Krimi gibt es in medizinischen Dramen viel Erklärungsbedarf, schließlich haben die Patienten in der Regel nicht bloß einen grippalen Effekt. Umso angenehmer ist es, wenn dann an anderer Stelle nur wenig Worte gemacht werden. Oder, wie in diesem Fall, gar keine: Ein Mann fährt mit seinem Trabant eine Landallee entlang, stellt seinen Wagen ab und beginnt ein Gespräch mit einer attraktiven Frau in einem auffälligen roten Kleid. Dass sie wie aus dem Nichts aufgetaucht ist, lässt erahnen, was am Ende des Prologs durch eine schlichte Plakette an einem Baum bestätigt wird. Neben seiner Trauer wird Amin Ballouz (Merab Ninidze), die Titelfigur dieser sechsteiligen ZDF-Serie, auch mit der ersten Patientin nach seiner Auszeit konfrontiert: Auf der Allee ist eine hochschwangere Radfahrerin angefahren worden. Der Doktor begleitet sie in die nahegelegene Uckermark-Klinik.

Doktor BallouzFoto: ZDF / Stefan Erhard
Kann gut mit Kindern – und dabei phantasievoll und spontan sein. Doktor Ballouz (Merab Ninidze) versucht, Floris (Mavie Meschkowski) Vertrauen zu gewinnen.

„Doktor Ballouz“ ist also eine Krankenhaus- und Arztserie. Ähnlich wie im Krimi geht es auch hier um Leben und Tod, aber in den meisten Fällen gewinnt das Leben; das dürfte die Beliebtheit des Genres erklären. Gegenspieler der Hauptfiguren sind nicht irgendwelche Schurken, sondern Krankheiten; das Böse, das in den Menschen lauert, hat nichts mit ihrem Charakter zu tun. Trotzdem müssen die Ärztinnen und Ärzte gewissermaßen detektivisch vorgehen, weil äußerliche Symptome nicht immer eindeutige Rückschlüsse auf die Ursache zulassen; von dieser Spannung leben zum Beispiel die medizinischen Freitagsfilm-Reihen im „Ersten“. Dort gibt es zum Ausgleich stets auch eine persönliche Ebene, weil die Heldinnen von „Praxis mit Meerblick“ oder „Die Inselärztin“ ausnahmslos in einem ungeklärten Beziehungsstatus leben. Diese Frage stellt sich beim verwitweten Ballouz nicht; dennoch gehören die gelegentlichen Zwiegespräche mit seiner verstorbenen Frau (Clelia Sarto), die er offenkundig nicht loslassen kann, zu den schönsten Momenten der einzelnen Folgen.

Auch wegen dieser Szenen ist „Doktor Ballouz“ anzumerken, dass Produzent Uwe Urbas und die leitende Autorin Conni Lubek eine besondere Arztserie im Sinn hatten, selbst wenn einige Figurenentwürfe auf den ersten Blick bekannt wirken: Der junge Vincent (Vincent Krüger) arbeitet als Putzmann im rosa Kittel seine Sozialstunden ab und hält den Chefarzt bei der ersten Begegnung für eine Küchenhilfe, entwickelt sich aber zum guten Geist der Klinik. Assistenzärztin Michelle (Nadja Bobyleva) hat zunächst eine Affäre mit Ballouz’ feschem, aber auch etwas schnöseligen Stellvertreter (Daniel Fritz), der wiederum nicht begeistert über die Rückkehr des Chefs ist. Und selbstverständlich hat Oberschwester Irina (Monika Anna Wojtyllo) Haare auf den Zähnen, aber als sie selbst zur Patientin wird und Michelle, die ohnehin zunehmend an ihrer Berufung zweifelt, in ein Loyalitätsdilemma stürzt, zeigt sich, dass „Doktor Ballouz“ gern einen Schritt weiter geht als vergleichbare Produktionen.

Doktor BallouzFoto: ZDF / Stefan Erhard
Auch die Episodenrollen haben es in sich – und deren Darsteller sind durchweg hochkarätig und sehenswert. Andrea Sawatzki als vermeintlich herzlose Ehefrau. Viele der auf den ersten Blick durchschaubaren Figuren offenbaren eine zweite Seite.

Das gilt auch für die medizinischen Herausforderungen. Ein Junge (Lennart Betzgen) mit Multipler Sklerose verliebt sich in ein Mädchen (Farina Flebbe) im Rollstuhl. Selbst die Krankheiten scheinen das junge Glück nicht trüben zu können; bis sich herausstellt, dass MS eine Fehldiagnose war. Bei der schwangeren Frau aus dem Prolog ist nur auf den ersten Blick alles in Ordnung. Zu den Komplikationen gesellt sich ein weiteres Problem: Die Adoptivtochter hat Angst, dass die Pflegeeltern nach der Geburt des Kindes keinen Bedarf mehr für sie haben. Einen unerwarteten Twist gibt es auch in der Episode mit einer scheinbar herzlosen Gattin (Andrea Sawatzki), die mit Hinweis auf die Patientenverfügung die lebensrettende Operation ihres Mannes verweigert, weil sie keine Lust auf einen Pflegefall hat.

Soundtrack: Daughter („A Hole In The Earth“), The National (“Green Gloves”), Roxette (“It Must Have Been Love”), Family Of The Year (“Hero”), Charlotte Day Wilson (“Work”)

In all’ diesen Fällen wissen Ballouz und seine Kollegin Barbara Forster (Julia Richter) Rat und Tat, zumal beide ausschließlich für ihren Beruf leben. Der Arzt erfüllt sogar höchstpersönlich den letzten Wunsch eines alten Mannes (Holger Franke), der sich von seiner Katze verabschieden will. Kein Wunder, dass die Serie mitunter märchenhaft wirkt: Die Klinik liegt inmitten einer verträumten Landschaft zwischen Bäumen an einem See. Der Direktor (Michael Kind) weist seinen Freund und Angelpartner Ballouz zwischendurch mal darauf hin, dass er nicht alles selber machen soll, käme jedoch offenbar nie auf die Idee, ihn zu unnötigen, aber lukrativen Operationen zu überreden. Damit die idyllische Szenerie nicht komplett unrealistisch anmutet, gibt es zwischendurch aussichtslose Fälle wie den eines jungen Vaters, bei dem sich ein harmloser Armbruch als Folge einer unheilbaren Krankheit entpuppt; und die vom Ehemann verlassene Barbara verliebt sich ausgerechnet in einen sterbenden Feuerwehrmann. Die letzte Folge ist ähnlich tragisch, weil eine junge Frau mitten aus dem Leben gerissen wird. Trotzdem endet sie versöhnlich, zumal der Aufruf zur Organspende geschickt als positive Botschaft verpackt ist: Schenken macht glücklich.

Doktor BallouzFoto: ZDF / Stefan Erhard
Detektivischer Blick. Welche Krankheiten lauern in den Patienten? Doktor Ballouz (Merab Ninidze) liebt die Natur der Uckermark und sucht dort Entspannung.

Natürlich sind diese Geschichten als Motor der Handlung nicht nebensächlich, aber was „Doktor Ballouz“ neben dem unaufgeregten Tonfall sehenswert macht, sind die Hauptfigur und ihr Darsteller. Wer immer auch die Idee hatte, die Serie Merab Ninidze anzuvertrauen, hat eine vortreffliche Wahl getroffen. Der gebürtige Georgier hat zuletzt unter anderem die „Usedom-Krimis“ (als Geliebter der von Katrin Sass verkörperten ehemaligen Staatsanwältin) durch stille Präsenz bereichert. Er verleiht Ballouz, dessen Migrationsgeschichte angedeutet, aber nicht vertieft wird, eine melancholische Würde, die den Arzt umgehend sympathisch macht; ganz zu schweigen von Szenen wie jener, als er sich ganz selbstverständlich mit seinem Schokoladekuchen unter einen Tisch setzt, um das Vertrauen des adoptierten Mädchens zu gewinnen. Später wird er eine Röntgenaufnahme vom Kuschelhasen des Kindes machen; dank einer verblüffenden Idee zeigt das Bild tatsächlich einen Knochenbruch.

Dass der Chefarzt nicht nur Idealist und Philanthrop, sondern auch eine medizinische Koryphäe ist, versteht sich von selbst. Allerdings war die Klinik wohl auch schon vor dem Tod seiner Frau der Mittelpunkt seines Lebens, wie eine Anekdote verdeutlicht: Sie hat heimlich schwimmen gelernt, um ihn damit im Urlaub zu überraschen; aber er hat diesen Urlaub Jahr um Jahr verschoben. Schon allein die Beiläufigkeit, mit der Buch und Regie Informationen wie diese einstreuen, ist eine Freude. Den Regisseuren Andreas Menck und Philipp Osthus gebührt zudem große Anerkennung für ihre Arbeit mit dem Ensemble. Bei den erfahrenen Schauspielerinnen und Schauspielern mag das nicht weiter überraschen, aber auch die jungen Mitwirkenden machen ihre Sache ausgezeichnet; sogar die Katze scheint sich den Anweisungen gefügt zu haben. Ihre anfangs eher distanzierte Beziehung zu Ballouz ist das einzige horizontale Element in dieser Serie, deren Trost spendende und Mut machende Geschichten ansonsten in sich abgeschlossen sind. Vorbild für die Hauptfigur ist ein aus dem Libanon stammender Landarzt gleichen Namens, der tatsächlich in der Uckermark praktiziert; der Journalist Jasper Fabian Wenzel hat ihn in seinem Buch „Deutschland draußen“ porträtiert. Das ZDF zeigt die Serie donnerstags in Doppelfolgen. (Text-Stand: 17.3.2021)

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

tittelbach.tv ist mir was wert

Mit Ihrem Beitrag sorgen Sie dafür, dass tittelbach.tv kostenfrei bleibt!

Kaufen bei

und tittelbach.tv unterstützen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Serie & Mehrteiler

ZDF

Mit Merab Ninidze, Julia Richter, Nadja Bobyleva, Daniel Fritz, Vincent Krüger, Monika Anna Wojtyllo, Barbara Philipp. (2) Andrea Sawatzki, Holger Franke (3) Lennart Betzgen, Farina Flebbe (4) Anna Hausburg, Anton Spieker (5) Jörg Schüttauf (6) Inka Friedrich

Kamera: Julian Landweer, Christof Wahl

Szenenbild: Jurek Kuttner

Kostüm: Gitti Fuchs

Schnitt: Claudia Klook, Julia Dupuis, Mark Broszeit

Musik: Boris Bojadzhiev

Redaktion: Bastian Wagner, Anna Ellmann

Produktionsfirma: X Filme Creative Pool

Produktion: Uwe Urbas

Headautor*in: Conni Lubek

Drehbuch: Kerstin Laudascher, Silja Clemens – nach Jasper Fabian Wenzel: „Deutschland draußen. Das Leben des Dr. Amin Ballouz“

Regie: Andreas Menck, Philipp Osthus

Quote: (1+2): 4,87 Mio. Zuschauer (15,1% MA); (3+4): 4,62 Mio. (14,4% MA); (5+6): 4,51 Mio. (14,3% MA)

EA: 08.04.2021 20:15 Uhr | ZDF

Spenden über:

IBAN: DE59 3804 0007 0129 9403 00
BIC: COBADEFFXXX

Kontoinhaber: Rainer Tittelbach