Die vierte Gewalt

Fürmann, Weisz, Bitzer, Brigitte Maria Bertele. Ein hochspannender Moral-Diskurs

Foto: NDR / Marc Meyerbröker
Foto Rainer Tittelbach

Eine Ministerin, die ihrem Bruder eine Organspende gekauft hat: Ein abgehalfterter Journalist wittert die große Story. Doch Widersprüche tun sich auf. Wollte hier vielleicht jemand die Politikerin nur diskreditieren? „Die vierte Gewalt“ klinkt sich ein in die Medien-Rituale und Automatismen der Berliner Machtzentren. Wer „nur“ einen spannenden Politthriller im Journalisten-Milieu sehen möchte, der kommt voll & ganz auf seine Kosten. Alles vom Feinsten: ein präzises, gut recherchiertes Buch, ein Top-Ensemble, eine Regisseurin, die wunderbar zwischen Tempo und magischen Momenten zu vermitteln weiß. Doch der Film bietet mehr – besonders für Insider. Er reflektiert nebenbei auch den Ist-Zustand der deutschen Presse. Kann diese in Zeiten der Online-Krise ihren Auftrag für die Demokratie noch erfüllen? Will sie es überhaupt? Was wird aus den (investigativen) Journalisten, die auf der Straße stehen? Und wo bleibt bei so viel materiellem Druck die Unabhängigkeit?

Die Geschichte: Ein freier Journalist wittert die ganz heiße Berlin-Story
Eine Ministerin, die ihrem Bruder eine exklusive Organspende ermöglicht hat, das könnte eine Riesen-Story werden. Und für den Berliner Freelancer Jan Schulte (Benno Fürmann), einst ein renommierter Auslandskorrespondent, könnte eine solche Story endlich wieder eine Festanstellung bedeuten. Doch ist seine Quelle glaubwürdig? Sein Chef (Oliver Masucci) lässt ihn erst einmal machen, allerdings nicht ohne sein Recherche-As Britta (Jördis Triebel) die brisanten Unterlagen prüfen zu lassen. Eine Panne kann sich ein Magazin wie „Die Republik“ nicht leisten. Britta kennt allerdings die zugespielten Informationen bereits; schließlich geht sie mit Schulte ins Bett. Berufsbedingt hat dieser nun ein Auge auf die junge Abgeordnete Katharina Pflügler (Franziska Weisz) gerichtet, eine Vertraute der Ministerin (Victoria Trauttmansdorff), die Gefallen an Schulte findet. Er verspricht ihr ein Porträt, dabei will er sie nur über ihre Chefin aushorchen. Doch offenbar ist alles umsonst. Die Dokumente seien gefälscht, haben Brittas Recherchen ergeben. Eine Story – obgleich nicht mit dieser Sprengkraft – könnte dennoch abfallen. Es bleibt interessant zu wissen, wer die Ministerin öffentlich diskreditieren möchte. Als die Unterlagen wenig später aus dem Redaktionssafe verschwunden sind und einem Boulevardblatt zugespielt wurden, ist die Bombe zwar geplatzt, aber im Wettlauf um die Wahrheit hat das seriöse Wochenmagazin nun die besseren Karten.

Die vierte GewaltFoto: NDR / Marc Meyerbröker
Die Strippenzieher unter sich: der Chefredakteur (Oliver Masucci) und der Herausgeber (Ulrich Matthes)

Packender Politthriller und aktuelle Bestandsaufnahme der Medienbranche
Bereits in den ersten Minuten geht es in Brigitte Maria Berteles Fernsehfilm „Die vierte Gewalt“ kräftig hin und her zwischen den Berliner Machtzentren. Wer Journalisten und Politiker zu den Protagonisten eines Films macht, noch dazu eines Politthrillers – der braucht seine Wendepunkte und die „Flexibilität“ seiner Charaktere nicht umständlich motivieren, der muss nicht künstlich Abwechslung schaffen und bekommt darüber hinaus problemlos eine Struktur in seinen Plot und Tempo in die Inszenierung. Und beide Branchen bringen es mit sich, dass pointiert und ironisch gesprochen werden kann, ja muss: ein Geschenk für jeden Autor! Dass es dennoch so wenige Filme hierzulande gibt, die diese Berufsgruppen ins Zentrum ihrer Geschichten stellen, überrascht deshalb. Das Image von zweiter und sogenannter vierter Gewalt ist hierzulande bekanntlich schlecht. Aber so schlecht?! In den USA ist der Journalistenthriller mit Filmen wie „Die Unbestechlichen“, „Wag the Dog“ oder dem diesjährigen Oscar-Gewinner „Spotlight“ seit jeher ein traditionsreiches Subgenre. In Deutschland gab es vor 24 Jahren „Schtonk“ und unlängst den furiosen TV-Politthriller „Der Fall Barschel“. Innerhalb eines halben Jahres ist nun der zweite herausragende Thriller mit einem Journalisten als Hauptfigur in der ARD zu sehen. Und dieser, knackig geschrieben und gut recherchiert von Jochen Bitzer (Grimme-Preis für das Doku-Drama „Der Fall Jakob Metzler“), ist mehr als „nur“ spannend: Der Film liefert gleichsam eine aktuelle Bestandsaufnahme der Medienbranche, die den realen Verhältnissen gemäß alles andere als beruhigend ausfällt. Die vierte Gewalt kann ihren demokratischen Pflichten nicht mehr hinreichend nachkommen, insbesondere der privatwirtschaftlichen Presse, finanziell gebeutelt durch die Online-Krise, fehlt es an den nötigen Mitteln, um investigativ zu arbeiten. Was das für den Berufsstand und den Sozialstatus des Einzelnen bedeutet, zeigt Bitzer auch. Der ehemalige „Financial-Times“-Korrespondent ist hoch verschuldet, jobbt zwischenzeitlich als Ausfahrer und alle Welt will ihn gnädig zum Essen einladen. Schlechte Voraussetzungen für die Unabhängigkeit eines Journalisten. Und so bekommt er denn mehr als nur ein unmoralisches Angebot. Auch von Seiten der Politik. Und einen guten Rat gibt’s gleich noch oben drauf: „Was nützt die Festanstellung bei einem Blatt, das jeden Tag pleite gehen kann?!“

Die vierte GewaltFoto: NDR / Marc Meyerbröker
Welche Schlüsse wird die junge Abgeordnete Katharina Pflügler (Franziska Weisz) aus den Vorfällen ziehen? Gehört sie etwa zur „Generation der neuen Ehrlichkeit“?

Die Dramaturgie von Aufstieg & Fall ersetzt die Frage nach der Wahrheit
Politikverdrossenheit und „Lügenpresse“ (wie der Begriff die letzten Jahre gebraucht wird) spielen in „Die vierte Gewalt“ keine Rolle. Eher sind es neben den Mechanismen der Macht die Automatismen in der Medienberichterstattung, die Simulierung eines Skandals, der Scoop als oberstes Ziel, als Traum jedes Medienkonzerns und jedes narzisstisch gekränkten Journalisten, von denen der Film erzählt. Und er zeigt, dass die Dramaturgie von Aufstieg und Fall längst die Frage nach der Wahrheit ersetzt hat? Mag diese Botschaft auch übertrieben, die Handlung verdichtet und die Darstellung überspitzt sein – so ist doch die Analyse durchaus richtig. Bitzer hatte im Übrigen Lutz Hachmeister, Ex-Journalist, Grimme-Institutsleiter, Medien-Forscher und Dokumentarfilmer, sowie den ehemaligen „Financial-Times“-Redakteur Helmut Monkebusch als Berater. Und umgesehen haben er und Regisseurin Bertele sich in der Redaktion des Spiegels, der deutlich Vorbild des fiktiven Magazins „Die Republik“ ist. Dass „Die vierte Gewalt“ aber über den diskursiven Wert hinaus auch als Unterhaltungsfilm bestens funktioniert, macht ihn doppelt wertvoll. Und dass der Held im Beruf zwar ein Bluthund ist, der sich in seine Story und sein Opfer verbissen hat, privat aber ein sanfter, herzensguter, alleinerziehender Vater (dessen Teenager-Tocher als liebende Kontrollinstanz mitwirkt am Moral-Diskurs) – das mildert ein wenig den bitteren Zynismus, der in der Geschichte steckt. Auf eine heldenhafte, hundertprozentige Läuterung wartet der Zuschauer am Ende dennoch vergebens. Man kann sagen: Bitzer hat den bestmöglichen Schluss gewählt. Ein bisschen Moral, etwas Ironie und ein Ende, das noch einmal Vieles von der ambivalenten Realität eines Journalisten der 2010er Jahre widerspiegelt: Schulte denkt nach, liest die Zeichen, entwickelt Konzepte, kennt sich in den gesellschaftlichen Systemen aus, hat Visionen, aber keinen, der sie bezahlt. Und es kommt auch noch mal die Botschaft durch: Das Image ist die Message.

Die vierte GewaltFoto: NDR / Marc Meyerbröker
Die Ministerin (Victoria Trauttmansdorff) und der Herausgeber (Ulrich Matthes). Zwei, die sich seit Jahren mögen. Beim Geschäft aber hört die Freundschaft auf. Die Automatismen im Machtspiel zwischen zweiter und vierter Gewalt sind unerbittlich.

Eine Filmsprache, die zwischen Tempo & Magic Moments zu vermitteln weiß
Die wendungsreiche, vielsagende und packende Geschichte lässt einen übersehen, dass „Die vierte Gewalt“ mit einem überschaubaren Personal auskommt. Aus der moralischen „Flexibilität“ der Charaktere und einigen dramaturgischen Kniffen, die (nimmt man es ganz genau) gelegentlich die Psycho-Logik der Plot-Konstruktion unterlaufen, entsteht ein gefühlt handlungsintensiver Film. Die damit einhergehende Dringlichkeit der Erzählung ist ungewöhnlich für die Regisseurin. Brigitte Maria Bertele wusste bisher mit Filmen zu begeistern, die den Moment, die Atmosphäre („Begierde – Mord im Zeichen des Zen“), die filmische Poesie („Grenzgang“), den Schmerz („Der Brand“), die feinen Nuancen der Interaktion („Ellas Entscheidung“), auskosten. Aber auch in diesem Thriller findet sie die passenden Zwischentöne für die Geschichte. Trotz der vielen Wendungen besitzt der Film nichts Atemloses, hinterlässt nicht den Eindruck des Flüchtigen. Dafür sind die einzelnen Szenen zu prägnant und zu konzentriert gestaltet. Die Handelnden sind ganz bei sich, fokussiert auf ihre nicht immer lauteren Absichten, die sie in diesem Spiel verfolgen. Das Genre mag in Richtung Auflösung drängen, die wahre Spannung liegt aber auch in Berteles siebtem Langfilm in den Momenten – zwischen dem Journalist und der jungen Abgeordneten, zwischen ihm, dem Freelancer, und seinem Chef oder der Redakteurskollegin, die nicht nur mit ihm das Bett teilt, zwischen dem Vater und der Tochter, zwischen dem Herausgeber und der beschuldigten Politikerin. Fast jede Interaktion besitzt etwas Bemerkenswertes. Mal bewegt eine Szene tief, mal umreißt sie deutlich die (Macht-)Positionen, mal sorgt sie für einen Wohlfühlkick, da genügt dann ein Lächeln, ein Bild, damit sich diese Szene beim Zuschauer einprägt. Auch den Rhythmus der Hauptstadt fangen die Bilder von Kameramann Ngo The Chau und David J. Rauschnings Schnitt spürbar, aber unprätentiös ein: Das (medien)politische Tagwerk ist kein Roman, kein „Grenzgang“ hoch empfindsamer Seelen.

Die Schauspieler mit ihren (be)merkenswerten Dialogen sind das i-Tüpfelchen
Es ist kein Zufall, dass Bertele, die auch ein Schauspielstudium vorzuweisen hat, größten Wert auf die Arbeit mit den Schauspielern legt: Claudia Michelsen, Lars Eidinger, Hanno Koffler, Petra Schmidt-Schaller, Melika Foroutan – es hat den Anschein, dass diese Ausnahme-Mimen bei ihr ganz besonders gut in ihre Rollen finden. Wie der Journalisten-Thriller nicht unbedingt ein Genre ist, das man mit ihrem Namen verbindet, so ist Benno Fürmann kein Schauspieler, der typisch wäre für einen Bertele-Cast. Dennoch, er ist ideal für diese Rolle: Er kann in diesem Thriller nicht nur seine Physis und Attraktivität einbringen, auch das Zwielichtige einiger seiner Rollen findet sich bei seinem Journalisten wieder, der so nah am existentiellen Abgrund balanciert. Dass er glaubwürdig einen Journalisten verkörpern kann, zeigte er bereits in „Der blinde Fleck“, das Doku-Drama über das Oktoberfest-Attentat. Wichtig für diese Rolle ist aber auch die sensible Seite seines Journalisten als Vater und guter Zuhörer. Treffend besetzt ist auch Franziska Weisz, Möhrings neue „Tatort“-Partnerin, als charmante, etwas biedere und fürs politische Geschäft offenbar zu anständige junge Politikerin. Aber auch alle anderen des achtköpfigen Teams sind passgenau mit Hochkarätern wie Jördis Triebel (Grimme-Preis für „Ein guter Sommer“), Oliver Masucci („Er ist wieder da“) oder Devid Striesow („Das weiße Kaninchen“) besetzt. Die kleinsten Rollen sind dabei fast die markantesten: Ulrich Matthes als mehrgesichtiger Herausgeber und Victoria Trauttmansdorff als Ministerin. Sie hat den nachhaltigsten Auftritt in der vielleicht besten Szene des Films. Sie im vertraulichen Gespräch mit dem Journalisten, der sie schlachten will, an ihrer Seite ihr Pressechef. Ihr gehört ein fundamentaler Augen-Blick und eine ganz wesentliche Aussage kommt aus ihrem Mund: „Ich soll eine Schuld auf mich nehmen, die ich gar nicht habe? Schreiben Sie, dass ich eine Affäre mit dem Kardiologen hatte. Schreiben Sie, dass seine verstorbene Frau meine engste Freundin war. Es ist alles richtig. Und jeder wird die niederträchtigsten Schlüsse daraus ziehen, genauso wie Sie es tun. Aber wenn sich dann irgendwann herausstellt, dass Sie sich getäuscht haben, damit müssen Sie dann später leben.“

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Fernsehfilm

Arte, NDR

Mit Benno Fürmann, Franziska Weisz, Jördis Triebel, Oliver Masucci, Nicole Mercedes Müller, Devid Striesow, Victoria Trauttmansdorff, Ulrich Matthes

Kamera: Ngo The Chau

Szenenbild: Andreas Olshausen

Kostüm: Cornelia Streiter

Schnitt: David J. Rauschning

Musik: Julian Maas, Christoph M. Kaiser

Produktionsfirma: Cinecentrum Berlin

Drehbuch: Jochen Bitzer

Regie: Brigitte Maria Bertele

Quote: ARD: 3,66 Mio. Zuschauer (11,9% MA)

EA: 26.08.2016 20:15 Uhr | Arte

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