Susanne Landauer (Rosalie Thomass), eine Kommissarin der Vermisstenstelle, wird aufs Land gerufen. Eine schizophrene Patientin ist aus einer Klinik verschwunden. Wenig später ist sie tot – ertrunken in einer Bergschlucht. Dem Chefarzt Dr. Mangold (Friedrich von Thun) ist es ein völliges Rätsel, weshalb diese Frau, die seit Jahren ihre Umwelt kaum wahrgenommen hat, geflüchtet ist – und wie sie überhaupt ausbrechen konnte, da sie für gewöhnlich fixiert war. Das größte Rätsel aber gibt die DNA der Toten auf: Sie ist genetisch die Mutter der Kommissarin. Diese aber ist vor 25 Jahren an Krebs gestorben – so hat es jedenfalls ihr Vater (August Schmölzer) immer behauptet. Weshalb hat er seine Tochter ein ganzes Leben lang belogen? Und wer liegt in diesem Grab? Liegt überhaupt jemand drin’? Sie ahnt Schlimmes. Hat ihr Vater seine eigene Frau ausgesetzt, weil er ihre Krankheit nicht mehr ertragen hat? Die Frau, die biologisch ihre Mutter ist, wurde jedenfalls vor Jahren ohne Papiere aufgegriffen und in die benachbarte Klinik eingeliefert. Jetzt ist es an Susanne, Klarheit in die dubiosen Vorkommnisse zu bringen. Doch ihre Schnüffeleien im Dorf kommen gar nicht gut an.
Die Ungereimtheiten, die die Heldin in dem Fernsehfilm „Die Tote aus der Schlucht“ aufdecken muss, sind nichts gegen die Ungereimtheiten und dramaturgischen Zufälligkeiten, die dieses typische ZDF-Montagskrimidrama dem Zuschauer aufbürdet. Dabei wird die Identitätssuche der jungen Frau herausgefordert durch einen Konflikt, der selbstredend als Ausgangspunkt für die genretypische Reise in die Vergangenheit zugegebenermaßen schon ein ausgesprochen kräftiger Stimulus ist. Doch wie sich dann im Einzelnen die Geschichte entwickelt und zuspitzt – das ist formal äußerst stereotyp, auf diesem Sendeplatz hundertfach erprobt – und nach Gesetzen der (Handlungs-)Logik ziemlich hanebüchen. Dem Film fehlt es an einer durchgängigen Spannungslinie, die die verschiedenen Genre-Tonlagen durchdringt: Obwohl nicht im Dienst will die Tochter ihren Vater überführen; später gibt es vom Vater dominierte Drama-Momente, in denen die Motive der Tochter zurücktreten; schließlich gibt es gegen Ende eine nicht ausgespielte Psychothriller-Sequenz. Die krude Story arbeitet sich an einer Fülle von Handlungs- und Genre-Motiven ab: Identitätsfindung, Stadtflucht, Rückkehr in die Heimat, die undankbare Tochter, der jähzornige Vater, die lesbische Beziehung, die „Ermittlung“ in eigener Sache, Totenkult, Klaustrophobie, Schizophrenie und die Angst, sie vererbt zu bekommen… Die Autoren plotten sich schamlos durch die Bergwelt und schustern ohne besonderes Gespür für ihre Charaktere die Handlungselemente zusammen.
Über das strukturelle Manko des Films kann lange Zeit Hauptdarstellerin Rosalie Thomass hinwegtäuschen. Ihre physische Präsenz ist einzigartig, ihr Spiel ist nuanciert – offensichtlich hat sie sich für ihre Rolle mehr zurechtgelegt, als der Plot hergibt. Auch August Schmölzer findet für die innere Zerrissenheit des Vaters eine breite Palette an Ausdrucksformen, die der Psychologie seiner Figur mindestens so sehr verpflichtet ist wie der äußeren Wirkung. Neben der aktiven Heldin sind es Christian Theedes Inszenierung und Philipp Timmes Fotografie der herbstlichen Berglandschaft, die dem Film einen gewissen Flow geben und streckenweise in der Lage sind, über die „alberne“ Story hinwegzuerzählen. Aber spätestens am Ende dürften es viele Zuschauer bereuen, der „Toten aus der Schlucht“ 90 Minuten geopfert zu haben. Kratzt man gedanklich an der telegenen Oberfläche dieses Genre-Klons, bleibt ein dramaturgisches Skelett zurück, das stark an die TV-Movies erinnert, mit denen die Privatsender vor 15, 20 Jahren die spannungsgeneigten Zuschauer zu locken versuchten.