Politisch unbe(f)leckte Anwältin will Regierende Bürgermeisterin werden
Susanne Kröhmer (Anna Loos) schaut nicht nur auf diese Stadt, sie handelt auch, übernimmt Verantwortung und sie sagt, was sie denkt – und das, obwohl sie Regierende Bürgermeisterin von Berlin werden will. Die sozial engagierte Rechtsanwältin ist politisch ein unbeschriebenes Blatt. Kandidatin wurde sie durch Zufall. Ein mit ihr befreundeter Bauunternehmer stürzte sich in den Tod, weil ihm die öffentlichen Bauaufträge entzogen wurden. Kröhmers Vater (Thomas Thieme), der skandalumwitterte Strippenzieher der CDP, und der charismatische Bürgermeister Manfred Degenhardt (Burghart Klausner) vom Koalitionspartner SDU lassen daraufhin den Bausenator über die Klinge springen. Treibende Kraft ist dabei der Vater des Toten, Frank Griebnitz (Jürgen Heinrich); offenbar hat der frühere Busenfreund der beiden Polit-Haudegen etwas gegen sie in der Hand. Folge: Die große Koalition zerbricht, Neuwahlen werden ausgerufen. Dass sich nun ausgerechnet seine Tochter in den schmutzigen Polit-Sumpf der Hauptstadt begeben will, ist Karl-Heinz Kröhmer gar nicht recht. Eine Siegchance hat sie ohnehin nicht. Daran wird auch der Wahlkampf-Terrier Georg Lassnitz (Martin Brambach) nichts ändern können, den man dem Amtsinhaber ausgespannt hat. Aber wäre ein Erfolg überhaupt in Kröhmers Interesse? Der Fortbestand der GroKo würde jedenfalls am besten garantieren, dass die Leichen im Keller nicht ans Tageslicht kämen.
Familiendrama & Polit-Ränkespiel mit Krimithriller-Momenten versetzt
Vom schmutzigen Geschäft Politik, von der Droge der Macht und wie sie die Menschen verändert, erzählt die Mini-Serie „Die Stadt und die Macht“. Berlin als Nabel der Republik, als Spiegelbild der sich verändernden Verhältnisse. Die alten Männer gehen, die Frauen kommen, die Töchter zeigen es ihren Vätern. Das patriarchalische Kungelsystem wird aus den Angeln gehoben. Da ist ein bisschen Wahrheit und viel Fiktion dabei. Recht so. Wer will schon von langweiligen Anzugträgern die realen politischen Verhältnisse in sechs Mal 50 Minuten gespiegelt kriegen?! Dann doch lieber ein Wahlkampfszenario, das angetrieben wird von familiären Konflikten, von Krimithriller-Momenten und einem (partei)politischen Ränkespiel. Die eng miteinander verflochtenen Motive der drei Genres machen den besonderen Reiz der Serie aus, und sie erzeugen den Sog, den eine solche Mini-Serie braucht. Regisseur Friedemann Fromm („Weißensee“), Kameramann Michael Wiesweg sowie die Cutterinnen Annemarie Bremer & Janina Gerkens sorgen darüber hinaus für einen exzellenten Erzähl-Rhythmus, der vor allem auf Tempo und Dynamik setzt. In Folge 1, „Freier Fall“, hält sich der Sogcharakter noch in Grenzen. In wenigen Minuten wird ein Dutzend Figuren ihrer narrativen Bestimmung zugeführt. Da geben sich die dramaturgischen und gesellschaftlichen Klischees die Klinke in die Hand – und Politik bleibt das, was jeder über sie zu wissen glaubt, und sie wird dargestellt als ein Kasperletheater mit allzu klaren Rollenverteilungen. Eine Lichtgestalt kauft den grauen Herren den Schneid ab. Offenheit ersetzt autoritäres Gebaren, Visionen Business as usual – und die Antrittsrede der Kandidatin wird nach anfänglicher Skepsis gegenüber der Seiteneinsteigerin am Ende der Knaller. Die Exposition steht ganz im Zeichen der politischen Rhetorik, die die Heldin eigentlich abschaffen will. Es wird auch (noch) sehr viel geredet. So mag Politik sein. Aber wahrscheinlich konnten gerade deshalb Fernsehfilme oder Serien aus dem Umfeld der Politik bisher keine „Wahlsiege“ einfahren.
Wahrheit & Fiktion: Aus dem Seelenleben eines politischen Wahlkampfs
Aber danach wird „Klartext“ geredet. In Folge 2 wird das Konzept der Kandidatin, werden ihre propagierten Werte „Ehrlichkeit“, „Offenheit“ und „Transparenz“ mit Leben gefüllt, und mit Martin Brambachs Wahlkampfmanager kommt Schwung in den Laden. Immer deutlicher wird, dass Susanne Kröhmer, was ihre eigenmächtigen Entscheidungen angeht, ganz die Tochter ihres Vaters ist, dass sie diesen Mann, den alle nur KK nennen, liebt, obwohl er sie ein Leben lang manipuliert hat. Kurze Szenen bei ihrer Therapeutin, aber auch die Coaching- Situationen zwischen ihr und dem Kampagnen-Guru lassen die Hauptfigur immer plastischer werden. Außerdem bekommt man einen amüsanten Einblick in die Psychologie eines Wahlkampfs. Entschlossenheit mit jeder Pore ausstrahlen, die Politik des Handelns sinnlich zum Ausdruck bringen, das sei das A&O. „Fang an, dich zu zeigen, die Menschen wählen doch kein schwarzes Loch“, motiviert sie Lassnitz während des Fotoshootings. Danach wird das Handgeben geübt. Wozu hat man zwei Hände?! Dieser typische Händedruck, mit links ein bisschen verbindlich nachhelfen und den Augenkontakt nicht vergessen, wird die Heldin durch die Serie begleiten. Kröhmer lernt schnell. Ihre Schwangerschaft möchte sie allerdings nicht publik machen. Lassnitz lässt sich diese Steilvorlage („da krieg ich alle Sender!“) aber nicht nehmen, lanciert die Nachricht dennoch, was ihm zwei schallende Backpfeifen einbringt. Der bleibt cool: „Wenn’s dir hilft! Sollte aber nicht zur Gewohnheit werden.“
Die Heldin lernt politisches Handeln und droht, ihre Ideale zu verlieren
Zeigt die zweite Folge, was die Image-Kampagne aus der Kandidatin macht, zeigen Folge 3 und 4, wie die Politik diese Frau verändert. Sie lernt zwischen KK als „Vater“ und als „Politiker“ zu unterscheiden. Und sie weiß immer besser, wie sie vermeintlich unpopuläre News massenwirksam „umwertet“. Als ihr Lebenspartner und Vater ihres Kindes fremdgeht, sucht sie nicht das Gespräch mit ihm, sondern gibt öffentlich ihre Trennung bekannt und verkauft diese so, wie es Lassnitz gefordert hatte: als „mutig, ehrlich, konsequent“. Auch von den Vorwürfen, die ihr Jugendfreund, der investigative linke Journalist Alex Moravek (Carlo Ljubek), gegen Susannes Vater erhebt, will sie lange Zeit nichts wissen. Sie will den Wahlkampf gewinnen, mit einem kriminellen Vater aber wäre das aussichtslos. Sie will es aber auch nicht glauben. „Hören Sie auf, sich durch seine Augen zu sehen“, appelliert ihre Psychotherapeutin an sie. Aber Susanne Kröhmer ist ganz im System gefangen, auch sie ist mittlerweile eine Meisterin im Verdrängen. Eine amouröse Nacht- und Nebelaktion mit jenem Alex, der die Serie reichlich mit Krimi-Momenten versorgt, und eine Schocksituation führen schließlich zum durchaus nachvollziehbaren Umdenken der Heldin. Jetzt interessiert sie nicht mehr nur der Wahlkampf mit seinen Machtspielchen und dem Aushandeln von Pöstchen und möglichen Koalitionen, jetzt will sie auch wissen, weshalb ihre Mutter heute so ein emotionales Wrack ist. Sind das nur die Spuren, die die Politik bei ihr hinterlassen haben? Weshalb hatte ihr toter Jugendfreund ein Foto von ihr, auf dem sie seltsam glücklich aussieht?
Wenn Anna Loos’ sparsames Mienenspiel mal perfekt zur Rolle passt
„Im Kern ist es eine zeitlose, sehr emotionale und dramatische Entwicklungsgeschichte einer Frau – vor dem Hintergrund aktueller politischer Vorgänge.“ So fasst Friedemann Fromm die Handlung in einem Satz zusammen. Es ist geschickt eine Hauptfigur zu wählen, der die Mechanismen der Politik eher fremd sind. So können ihr und dem Zuschauer (!) auf ihrem Weg zur Macht die Prinzipien mitgegeben und erklärt werden, die Politik ausmachen, ohne dass man sich im Schulfernsehen wähnt. Davon ist „Die Stadt und die Macht“ ohnehin meilenweit entfernt durch die Triple-Genre-Strategie. Das Zentrum aber ist diese Frau, die sich in der (noch) Männerdomäne behaupten möchte. „Kann ich die sein, die ich sein will, und welchen Preis bin ich bereit, dafür zu zahlen?“, das ist für den Regisseur die Frage des psychologischen Subtextes der Serie, die Fromm als „die späte Coming-of-age-Geschichte einer Frau Anfang 40“ bezeichnet. Eine ausgesprochen vielschichtige Rolle, die Anna Loos zu spielen hat. Ausgerechnet sie, eine Schauspielerin, die es durch viele ihrer Filme mit nur zwei Gesichtsausdrücken geschafft hat. Für diese Polit-Novizin allerdings ist sie – wie all die anderen namhaften Ausnahmemimen: Thomas Thieme, Burghart Klaußner, Renate Krößner und vor allem Martin Brambach (auch wenn die falschen Haare besser sitzen als der etwas unvermittelt eingesetzte Dialekt) – eine richtig gute Besetzung. Ihr sparsames Mienenspiel, bei dem man sonst nie genau weiß, ob es gewollt oder Ausdruck einer Limitierung ist, trifft hier den Kern ihrer Susanne Kröhmer, die anfangs verunsichert ist auf dem ihr unbekannten politischen Parkett. Unsicher in der neuen sozialen Rolle, unsicher, wie ihr Vater zu ihr steht, unsicher, wie das „Experiment“ Politikerin und werdende Mutter ausgehen wird, all das macht verständlicherweise ernst & nachdenklich. Macht nichts, wenn Brambach zum Ausgleich mit einem Schlitten fährt. Loos darf auch mal lächeln bzw. Lächeln spielen. Wie ihre Heldin in ihre Aufgaben, so wächst auch Loos von Szene zu Szene besser in ihre Rolle.
In einer so konfliktreichen Drama-Serie kann es kein Happy End geben
„Die Stadt und die Macht“ gelingt der Spagat zwischen dem realitätsnahen Bild einer Politik, die fast ausschließlich nach schmutzigen Regeln funktioniert, und einem idealistischen Bild von Politik, das allerdings Kratzer bekommen muss, sobald man sich auf das System einlässt. Die Autoren Annette Simon, Christoph Fromm und Martin Behnke konfrontieren die beiden Gegenbilder miteinander, zeigen, wie sich die Heldin auf das Spiel um Macht und Wählerstimmen einlässt und wie sie langsam ihre Ideale zu verlieren scheint, bevor sie einen Weg einschlägt, bei dem sie am Ende zwar wieder mit gutem Gewissen in den Spiegel schauen kann, der aber mit anderen Verlusten verbunden ist. Darin ist die Geschichte konsequent. Sie rückt den neuen, „ehrlichen“ Weg der Politik realistisch zurecht. Und auch dramaturgisch gehorcht die Entwicklung ganz dem Genre: „Die Stadt und die Macht“ ist eine Drama-Serie. Ein Ende, das jeden glücklich macht, auf die eine Serie wie „Die Kanzlei“ setzt, kann es hier nicht geben. Herzen müssen bluten bei der Konfliktlage, diesen Konstellationen. Ob wohl – wie immer im deutschen Fernsehen – Blut mal wieder dicker ist als Wasser?