Die Tage einer traditionsreichen Werft-Dynastie sind gezählt. Eine Umweltkatastrophe vor der norwegischen Küste beschleunigt den Niedergang des Familienunternehmens. Als dann auch noch der Patriarch Leonard Asmussen während der Feier zu seinem 70. Geburtstag einen Schlaganfall erleidet, ist es an seiner Tochter Clara, die Firma in ruhigeres Fahrwasser zu führen. Im Gegensatz zu ihrem Bruder will sie die Asmussen-Werft nicht verkaufen. Das ist im Sinne ihres Vaters, mit dem sie nur selten einer Meinung ist. Als sie acht Jahre alt war, ist ihre Mutter ertrunken. Sie befand sich auf einem Segelboot ihres Liebhabers. Irgendein Geheimnis rankt sich um den Tod der Mutter. Ihr Vater hat das Ereignis totgeschwiegen. Das war mit ein Grund dafür, dass sich Clara einst von der Familie abwendete und in Norwegen ihre neue Heimat fand. Dass sie jetzt den Lover der Mutter mit in die Rettungsaktion der Werft einbezieht – darin sieht der Vater einen unverzeihlichen Vertrauensbruch. Und es durchkreuzt auch die Pläne des egoistischen Bruders, der ein sehr riskantes Spiel spielt.
Melancholie liegt über den ersten Bildern des Zwei-Stunden-Familiendramas „Die Schuld der Erben“. Eine Frau macht sich mit ihrem Sohn auf aus der norwegischen Idylle nach Hamburg, die Stadt kühl kalkulierter Geschäftsinteressen, symbolisiert in moderner Architektur aus Glas- und Metall. Man spürt die innere Barriere dieser Frau, deren Hände plötzlich unvermittelt zu zittern beginnen. Das ist das Besondere an diesem Film: dass er die sattsam im Fernsehen erzählte Geschichte einer Familiendynastie intelligent und emotional perspektiviert. Die Erzählweise liefert immer noch eine zusätzliche Bedeutungsebene mit. So etabliert sich ein universales Hauptthema: Wem kann man vertrauen? Nur eines ist sicher: Clara Billius-Asmussen ist die Gute in diesem Spiel. Es ist das klassische Thriller-Thema.
„Es gibt in unserem Geschäft eine Grundregel und die lautet: Trau keinem, trau nicht mal dir selbst“, weiht der Bruder seine blauäugige Schwester in die Gesetze des Geschäftemachens ein. Auch der Journalist, der für viel Geld der Ursache für die Havarie auf den Grund kommen soll, kennt dieses Gesetz des Geschäftslebens: „Sie vertrauen niemandem?“, fragt die Heldin. „Dann kann man nicht enttäuscht werden“, kommt es zurück. In „Die Schuld der Erben“ erhält das Thema auch eine ästhetische Dimension. Regisseur Uwe Janson und Kameramann Marcus Stotz geht es um mehr als nur um telegene Locations und eine erlesene Optik voll stimmungsvoller Ausschnitte und gewagter Anschnitte. Die Bildsprache steckt voller ungewohnter Perspektiven. Sie irritiert nicht, aber sie spielt mit den filmischen Konventionen. Immer wieder gerät die Perspektive als solche in den Fokus der Betrachtung. Dann wird das Gezeigte wieder mit dem Gesagten im Film kurz geschlossen: „Ändert sich die Sichtweise, dann ändern sich die Tatsachen – und mit den Tatsachen ändert sich die Wahrheit.“
Gemessen an dem, was das ZDF seit einigen Jahren Anfang Januar an Mehrteilern („Afrika, mon amour“) oder Event-Movies („Familiengeheimnisse“) in den Einschaltquotenkampf schickt, gehört „Die Schuld der Erben“ in seiner filmischen Komplexität deutlich zu den besten Produktionen in dieser Reihe. Auch die Besetzung funktioniert gut. Der Film ist spannend und man folgt den nicht allzu unglaubwürdigen Wendungen dieses angenehm klein gehaltenen Familien-Epos’ – auch als Kritiker – ohne Widerwillen. Die zwei Stunden sind eine ideale Länge und Lisa Martinek/Clara als den Film tragende Identifikationsfigur nicht weniger ideal. Geschmälert wird dieser vornehmlich ästhetische Eindruck durch das (nicht nur) auf den ersten Blick etwas abgegriffene Sujet. Was das angeht, aber auch Thema und Genre, war 2009 „Die Rebellin“ mit Alexandra Neldel ein mutigeres Event zum Jahresbeginn.