„Dieser Handschlag war der Anfang vom Ende. Mein 34. Geburtstag sollte mein letzter sein. Wenige Tage später war ich tot.“ Erzählt die Heldin in „Die Kronzeugin – Mord in den Bergen“ tatsächlich aus dem Jenseits? Ein Fernsehfilm auf den Spuren von „Sunset Boulevard“ oder „American Beauty“? Es sieht ganz danach aus, dass sich eine junge Polizistin nach wenigen Tagen eines Zeugenschutzauftrages von einer gerissenen Kronzeugin völlig aus der Reserve locken lässt. In diesem irritierenden Wechselspiel zwischen Misstrauen und Vertrauen scheint vieles möglich. Aber an Mord will man – dem Titel zum Trotz – nicht glauben. Der prophezeite Tod der Polizistin kann auch ein Unfall sein, ein Schuss, der sich plötzlich löst. So etwas kann immer passieren. Aber weshalb ausgerechnet dieser schönen Polizistin!?
Ines Meder wurde gewarnt vor jener Evelyn Frank. Die ehemalige Puffmutter ist eine Frau, die weiß, wie man bekommt, was man will. Nicht nur von Männern. So hat sie gegen ihren Ex-Mann und dessen russische „Geschäftspartner“ ausgesagt und hat im Gegenzug eine neue Identität erhalten. In den bayerischen Bergen darf die Luxus-Professionelle ein neues Leben beginnen. Hat sie sich tatsächlich so ihre Zukunft vorgestellt? „Eva Bernhardt“ wird als Bedienung arbeiten müssen, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Andererseits fahndet das BKA nach 15 Millionen Euro aus Luxusbordell-Geschäften, die spurlos verschwunden sind. Liegt da nicht der Schluss nahe, dass die schöne „Eiskönigin“ etwas weiß vom Verbleib des Geldes? Dass sie ihre Widersacher ausgeschaltet und das Geld auf die Seite geschafft hat? Ines ist gewarnt. Was die Millionen angeht, soll sie ihrer Schutzbefohlenen auf den Zahn fühlen. Sie geben sich in der bayerischen Provinz als Mutter und Tochter aus. Diese Nähe soll die Polizistin für sich nutzen. Doch es sieht ganz danach aus, als hätte die erfahrene, reife Frau in diesem Spiel die weitaus besseren Karten. Sie gibt sich verständnisvoll, fast mütterlich nimmt sie sich Ines Meder an, und sie erkennt, was ihr wunder Punkt holt: ihre Einsamkeit, ihre Unzufriedenheit, ihre sexuelle Frustration. Ines spürt, dass sie die Kontrolle verliert…
„Der Film ist ein Vexierspiel zwischen Lüge und falscher Identität… Die Lebenslügen meiner Figur zerfallen; die Fassade bricht zusammen. Die Reise mit der ‚Kronzeugin’ wird für Ines zu einer Reise zu sich selbst.“ (Melika Foroutan)
„Es ist ein sehr dünnes emotionales Eis, auf dem meine Figur agiert. Die Herausforderung bei der Darstellung ist, das Manipulative und Undurchsichtige, das in ihr ist, anzudeuten und dennoch ihr Geheimnis zu wahren.“ (Iris Berben)
„Die Kronzeugin – Mord in den Bergen“ ist ein Thriller, der unter dem Deckmantel des Psychodramas agiert. Der Film ist also nicht nur ein Vexierspiel auf der Beziehungsebene, sondern auch in seinen Genre-Referenzen. Das macht ihn doppelt undurchschaubar. Und obwohl das Personal angenehm übersichtlich ist und die „Lösungsvarianten“ somit begrenzt sind, bleibt der Film in jedem Moment ungemein spannend. Die Interaktionen sind so intensiv und emotionsgeladen und dann wieder so zurückgenommen, dass man als Zuschauer nicht zum Nachdenken kommt, sondern den Frauen an den Lippen klebt. Die Inszenierung – die atmosphärischen Bilder, der Wechsel zwischen extremer Enge und gelegentlicher Weite, das reizvolle Spiel mit Licht und dem Dunkel der Nacht – trägt das Ihre dazu bei. Bei Thrillern fühlt man sich häufig an der Nase herumgeführt. Drehbuchautor Thorsten Wettcke arbeitet zwar mit dramaturgischen Tricks, aber alles ist nur zum Wohle des Zuschauers.
Soundtrack: Sandra („In the Heart of the Night“), Baccara („Yes Sir, I can Boogie“), Simon & Garfunkel („El Condor Pasa“), Bob Sinclair & Raffaella Cara („Far l’amore“), Whitney Houston („One moment in time“), Abba („Waterloo“ & „Fernando“), Antonio Carlos Jobim („Chega de saudade“)
Es gibt keine schlimmen logistischen Patzer – der „erlebnishafte Flow“ ist die besondere Stärke dieses Films: Damit ist neben der Krimi-Spannung auch die emotionale Spannung zwischen den Protagonisten und der ästhetische Bilderfluss gemeint (das Manko vieler TV-Krimis!). Dass Iris Berben und Melika Foroutan ein nahezu perfektes Doppel sind, was die Färbung ihres Spiels angeht, aber sicher auch ihr Aussehen, sollte nicht vergessen werden. Sicher nicht zwingend, dennoch originell und den Zweck erfüllend, die Vorgeschichte rasch zu erzählen, sind die Rückblenden-Gimmicks in der Exposition. So langsam kann man ja auch die Zuschauer im ZDF mal an solche Spiele(reien) mit Raum und Zeit gewöhnen. Das Einzige, was gelegentlich stört, ist der gestelzte Kommentar der toten Polizistin, die die Geschichte erzählt. Wer (am Ende) überrascht werden will, muss diese Kröte schlucken!