Aylin (Aylin Tezel) ist eine furchtlose junge Frau, die sich forsch und selbstbewusst im Leben zu behaupten weiß. Sie gibt sich als Prostituierte aus, um Männer in ihren Hotelzimmern zu beklauen. Ein doppelt gewagtes Spiel für eine Frau, die Jura studiert und von einer Karriere als Anwältin träumt. Als ihr wegen einer ihrer kriminellen Eskapaden, Raubüberfall mit Körperverletzung, eine mehrjährige Haftsprache droht, tritt Drogenfahnder Jan (Ken Duken) in ihr Leben: Der heuert sie nicht nur als Lockvogel an, um den Drogenimporteur Musab (Timur Isik) und sein Netzwerk hochgehen zu lassen, sondern beginnt mit ihr auch eine leidenschaftliche Affäre. Im Gegenzug erspart sie sich die Haft und ihre Vorstrafen werden gestrichen. Dass der letzte Informant, der auf den jungen Clan-Chef angesetzt wurde, seine Dienste mit dem Leben bezahlen musste, verschweigt ihr der Drogenfahnder. Aylin ist allerdings wach und weitsichtig genug, um während der Operation heimlich Material zu sammeln, das ihr vielleicht einmal nützlich sein könnte. Doch das Doppelspiel ist gefährlich, zumal Musabs „Familie“, allen voran sein Bruder Furkan (Adrian Saidi), diese so untürkische Frau „im Auge hat“. Zwar ist sich auch Musab nicht sicher, dass Aylin kein Polizeispitzel ist, aber er will ihr vertrauen, denn er scheint sich in sie verliebt zu haben. Für Aylin ist das ein echtes Problem, da dieser romantische „Mörder“ sich ihr gegenüber als ehrlicher und aufrichtiger erweist als Jan und seine abgezockte Chefin Hannah (Suzanne von Borsody).
Foto: Degeto / Stefan Erhard
Eine Studentin mit krimineller Energie gerät zwischen die Fronten einer ihr unbekannten Welt. Der ARD-Thriller „Die Informantin“ erzählt eine Dreiecksgeschichte nach allen Regeln des Genre-Handwerks, mit zahlreichen Wendungen, die erwartbar sind, aber auch mit der Ungewissheit („entweder sie ist ’ne gute Schauspielerin oder sie wechselt gerade die Seite“), auf welche Seite sich die Heldin wohl am Ende schlagen wird. Ein geschickter Schachzug, obgleich mehr Setzung als narrativ gewachsen, ist die sexuelle Anziehung zwischen dem Drogenfahnder und seiner Informantin. Das ermöglicht Ken Duken, seine Figur weniger cool anzulegen als Suzanne von Borsody ihre Operationsleiterin: In Sorge um diese Frau, die er im Ungewissen gelassen hat über die wahren Hintergründe der Aktion, mischt er sich immer wieder ein, taucht plötzlich bei ihr auf, will unterstützen, dabei bringt er sie mitunter sogar noch in größere Gefahr. Die persönliche Ebene dominiert bald auch das Verhältnis zwischen dem von Aylin Tezel gespielten Lockvogel und ihrem Zielobjekt, den Theaterschauspieler Timur Isik mit Empfehlung für weitere hohe Filmaufgaben in seiner ersten TV-Hauptrolle verkörpert. Dass dieser knallharte Geschäftsmann schnell anbeißt, ist vom Autorenduo Ulrike Stegmann und Christof Reiling recht stimmig eingefädelt. Bei dieser Horrorfamilie ist es kein Wunder, dass sich der Clan-Chef, der ja keineswegs als gewissenloser Killer gezeichnet wird, in diese toughe Türkin verliebt, die ihn herausfordert, auch zu mehr Menschlichkeit. Und was fasziniert Aylin an dieser kriminellen Welt? Sie liebt diese Kicks, den Nervenkitzel, das Spiel mit dem Verbotenen. Wahrscheinlich ist es die eigene kriminelle Energie, der sie symbolisch Einhalt gebieten möchte, indem sie sich auf ein Jurastudium eingeschworen hat. In Wahrheit aber sucht sie das Wilde, das regellosere, grenzenlose Leben und sie hat ihre eigene Moral.
Foto: Degeto / Stefan Erhard
Für einen Thriller, der nicht nach psychologischen Erklärungen sucht, sondern vor allem Wirkung beim Zuschauer erzielen möchte, ist das eine gute Voraussetzung. Den Realitätstest, welchem vor allem deutsche Zuschauer TV-Filme gern unterziehen, wird „Die Informantin“ dagegen nicht bestehen. Eine Frau, die Juristin werden möchte, und selbst kriminell wird (was ihr ja die Möglichkeit nimmt, Anwältin zu werden) – das ist selbst im Rahmen eines Genrefilms grenzwertig. Besitzt die Geschichte also in punkto Plausibilität schon einige Schönheitsfehler, so ist sie doch dramaturgisch klassisch & klar gebaut, ohne ablenkendes Beiwerk, konzentriert ganz auf die Befindlichkeiten des Trios, auf den Suspense und die Frage, ob sich die Heldin umdrehen lässt oder nicht. Auch emotional funktioniert der Film, den Philipp Leinemann („Wir waren Könige“) in seinem vierten Spielfilm mit feinem Gespür für visuelle Verdichtung und Thriller-Timing inszeniert hat, ganz vorzüglich. Das ist maßgeblich den Schauspielern zu verdanken. Auch wenn einem für die Besetzung der Hauptrolle nicht zwingend Aylin Tezel einfallen würde (eher noch Pegah Ferydoni, die ausgerechnet die sittsame Schwester spielt), so ist sie letztlich eine sehr gute Wahl: Sie macht aus ihrer Aylin eben keine Femme fatale, sie gibt der Figur eine Menge Individualität und Eigensinn mit auf ihren lebensgefährlichen Weg. Diese kleine, vermeintlich so zerbrechliche Person mittendrin im Kampf zwischen Polizei und Gangstern – auch das vergrößert gleich noch mal das Spannungspotenzial. Auch Ken Duken, Timur Isik und Suzanne von Borsody erfüllen mehr als nur die Rollenprofile. Die große physische Präsenz, die vitale Ausstrahlung und die große Attraktivität des Quartetts gibt diesem Film die Glaubwürdigkeit, die die Geschichte auf dem Papier nicht immer besitzt. Ein Tipp: Diesem Film muss man sich hingeben – nicht zu viel denken, besser mit der Heldin mitfiebern! (Text-Stand: 24.2.2016)