Jan, ein blasser, hagerer Typ, ist Auszubildender in einer Dienstleistungsfirma. Er muss sich in Kundengesprächen am Telefon bewähren und hofft auf Übernahme. Sein Chef macht Druck, vor allem auf die überfordert wirkende Teamleiterin Susanne, die Jan anleiten soll. Jans Leben bewegt sich in einem übersichtlichen Radius: Büro, Abendessen im Elternhaus, Surfen im Web, Ausflug ins Einkaufszentrum. Er fährt gern schnell mit dem Auto, immer denselben Weg. Beim Einkaufen manipuliert er die neuen Jacken und Schuhe, um sie gleich wieder umzutauschen – sein einziger Kick in einem ansonsten eintönigen Leben. Als die hübsche Zeitarbeiterin Jenny im Büro auftaucht, entwickelt sich eine behutsame Liebesgeschichte.
Foto: WDR / unafilm / Frank Dicks
„Der Auszubildende“, Dirk Lütters erster Langfilm als Regisseur und Autor, bietet einen Blick auf die Arbeitswelt, der einen frösteln lässt. Eine eigenartige Tristesse wird hier vorgeführt, im Büro herrscht keine Hektik, aber eine bedrohlich-gedämpfte Atmosphäre, die Menschen arbeiten wie unter einer Glocke, als Gefangene in einem System aus „Performance-Indikatoren“. Jeder hat sein silbernes Metallköfferchen und ist wie auf Knopfdruck zuvorkommend. Alle duzen sich, der Chef motzt niemals, aber veranlasst seine Mitarbeiter, sich gegenseitig auszuspionieren. Und sein vermeintliches Mitfühlen ist bedeutungslos, denn: „Das entscheide nicht ich, das entscheiden unsere Zahlen.“ Die Angestellten sind nur betriebswirtschaftliche Größen, die je nach Bedarf verschoben oder durch faule Tricks herausgekündigt werden. Auch die Betriebsrätin, Jans Mutter, ist nicht unantastbar.
Die Kamera arbeitet betont statisch, verharrt lange auf den Gesichtern, als warte sie darauf, dass sich endlich etwas aufzeichnen lässt. Lange Einstellungen und knappe Dialoge verstärken den Eindruck eines lähmenden, fremdbestimmten Lebensgefühls. Das ist durchaus stimmig und überzeugend, aber man braucht als Zuschauer schon etwas Geduld und die Bereitschaft, sich auf eine andere Ästhetik und ein anderes Tempo einzulassen als an einem gewöhnlichen Fernseh-Abend. Wie in Zeitlupe agiert auch der junge Joseph K. Bundschuh als Jan, der noch unsicher ist und nichts Besonderes vom Leben zu erwarten scheint. Jan besitzt zwar feine Antennen und Empathie, aber er lässt sich in seiner Naivität von seinem Chef benutzen. Und mit seinen Eltern ist die Kommunikation gleich null.
Foto: WDR / unafilm / Frank Dicks
„Mit ,Die Ausbildung‘ frage ich danach, was uns beigebracht wird, zu was wir ausgebildet werden? Warum wehren wir uns so selten, obwohl wir doch in einer freien Gesellschaft leben?“, beschreibt Lütter die Impulse für seinen Film. Unübersehbar sind die Parallelen zu dem Dokumentarfilm „Work hard – Play hard“, der im April 2012, drei Monate später als „Die Ausbildung“, in die Kinos kam und bei dem Lütter die Kamera führte. Beide beschäftigen sich mit der Arbeitswelt und bei beiden ergibt sich die sozialkritische Botschaft nicht aus aufgesetzten Dialogen oder Kommentaren, sondern durch Handlung und genaue Beobachtung.
Im Spielfilm unterbricht Lütter den Fluss allerdings durch drei Lieder, vorgetragen von „stimmt so/Chortheater Köln“, einem gewerkschaftsnahen, einst von Ford-Arbeitern gegründeten Chor. Das wirkt dann doch wie Botschaftsverkündung, auch wenn da keine strammen Arbeiterlieder geschmettert werden. Und über die Auswahl der Lieder lässt sich ebenfalls streiten. Die ersten beiden sind weniger bekannte Volkslieder, es geht um Liebe und Freiheit. Das letzte, das „Lied von den Kranichen“, stammt von Kurt Demmler, einem in der DDR erfolgreichen Liedermacher und Songtexter. Es lobt die Gemeinschaft, in der auch die Schwachen nicht zurückgelassen werden. Passt gut zur Aussage des Films. Kleiner Schönheitsfehler: Das „Lied von den Kranichen“ war 1977 gewissermaßen das Titellied eines Defa-Dokumentarfilms zum 30. Geburtstag der Pioniere, also Teil der Propaganda.