Pauline Schwebe (Anne Schäfer) sehnt sich zurück nach dem weihnachtlichen Zauber ihrer Kindheit. Und so rührt sie ein Wunschzettel eines kleinen Jungen, der ihr zufällig ins Auge fällt: Der siebenjährige Leo (Leander Menzel) bittet den Weihnachtsmann, eine einsame Seele zu schicken, die mit ihm, seinem verwitweten und beruflich glücklosen Vater Daniel (Sebastian Ströbel) und seiner Schwester Lotte (Mathilda Smidt) Heiligabend feiert und „ein bisschen Geld übrig hat“ für Geschenke. 24 Stunden später stellt Pauline Daniel ihrer Mutter Wanda (Lena Stolze), ihrem Vater Birger (Hans-Uwe Bauer), den Geschwistern Caro (Jasmin Schwiers) und Benjamin (Patrick Güldenberg) sowie deren Anhang, Bettina (Annika Kuhl) und Jon (Helgi Schmid), als ihren neuen Freund vor. Jedes Jahr feiert Pauline „das Fest der Liebe“ in dieser oder einer ähnlichen Konstellation, aber immer ist sie, die Älteste, mit 38 Jahren das Problemkind, „die Übriggebliebene“. Obwohl sie sich zufrieden in ihrem Single-Dasein eingerichtet hat, will sie sich dieses Mal den Spießrutenlauf ersparen. Doch dieser kleine Weihnachtsschwindel birgt nicht weniger Fettnäpfchen, in die das Fake-Pärchen treten könnte. So nett alle diesen Daniel auch finden – bei den Worten „bisschen Pech gehabt“ oder „Papa ist pleite“ klingeln bei der Familie die Alarmglocken: Denn Pauline, belächelt ob ihres Helfersyndroms, hat schon immer ein Faible für lebensuntüchtige Männer gehabt.
Eine Single-Frau, die mit einer Ampel spricht und es gern allen recht macht, ein Tischler, der sich Weihnachten mit seinen Kindern nicht leisten kann, und eine Familie, für die Piesacken zum guten Feiertagston gehört – das ist schon mal ein vielversprechender Ausgangspunkt für einen etwas anderen Weihnachtsfilm. „Der Wunschzettel“, der Filmtitel klingt nach Kinder-Träumen, nach traditionellen Weihnachtsgefühlen und ein bisschen auch nach Rührseligkeit. Doch diese Degeto-Dramödie von Marc Rensing („Die Frau, die sich traut“) nach dem lebensklugen Drehbuch von Grimme-Preisträgerin Martina Mouchot („Keine Angst“) ist viel mehr als das: Das „Kindeswohl“ wird zum Motor einer Erwachsenen-Geschichte, ohne dass es bloßer Vorwand ist. Das Herzstück aber sind die beiden mit Melancholie belegten Hauptfiguren: Pauline, die Frau vom Ordnungsamt, Soziologie-Abschluss mit summa-cum-laude, und Daniel, dessen Frau bei Leos Geburt gestorben ist, zwei, die sich in einem Leben unter ihren Möglichkeiten eingerichtet haben und etwas unbedarft durch den Alltag tappen. Beide hatten zuletzt Pech mit ihren Mitmenschen, sind einfühlsam, romantisch veranlagt und über die Jahre eigenbrötlerisch geworden. Schon allein vom Drehbuch her sind die beiden ein ideales Paar für eine zeitgemäße und gleichsam anrührende Weihnachtsgeschichte.
Die Besetzung sorgt für einen weiteren Pulswärmer-Effekt: Anne Schäfer und Sebastian Ströbel sind ein Paar zum Verlieben – und das Kostümbild hilft dabei kräftig mit. In unvorteilhafter Ordnungsamt-Uniform gibt das gelegentliche Lächeln Schäfers ein erstes Versprechen auf eine liebenswerte Figur; während Ströbel den sanften Charme seines Tischlers zunächst noch unter falschem Stolz („Wir brauchen keine Almosen vom Ordnungsamt“) und fettig strähniger Haarpracht versteckt. Doch dann verwandelt er sich äußerlich und vom Wesen her zum Schwiegermutterschwarm, einem für die 68er-Generation. Also eigentlich genau richtig für die Schwebes und für ein aufgeklärtes Publikum. Und Schäfers Pauline mutiert vom streng verkleideten Neutrum zu einem sympathischen, attraktiven weiblichen Wesen. Ständig zwischen komödiantischen und ernsthaften Momenten zu wechseln ist für zwei so erfahrene Schauspieler wie Ströbel (41), der sich seit 20 Jahren durchs gehobene Unterhaltungsfernsehen („Countdown – Die Jagd beginnt“ / „Cecelia Ahern“) spielt, und Schäfer (39), die nach Jahren am Theater erst in dieser Dekade mit Rollen im Kino („Jasmin“) und im Fernsehen („Arzt mit Nebenwirkungen“ / „Der Barcelona-Krimi“) durchgestartet ist, natürlich eine Selbstverständlichkeit. Viel wichtiger ist in einem solchen Fall die Chemie, das Miteinanderagieren – auch innerhalb des Ensembles. Und das klappt vorzüglich, nach der Devise: So pointiert wie nötig, so alltagsnah wie möglich. In punkto Beiläufigkeit ist auch das Spiel der Kollegen kaum zu toppen. Lena Stolze („Das schreckliche Mädchen“) ist eine Schauspielerin für alle Fälle, seit 35 Jahren eine unserer Besten, auch wenn man sie nur noch selten in Hauptrollen sieht. Sehr zu recht begegnet einem auch Hans-Uwe Bauer („Verliebt in Masuren“) immer öfter in anspruchsvollen ARD-Freitagsfilmen. Als spitzzüngige Eltern, die eigentlich gar nicht so viel zu lachen haben, geben sie ein vorzügliches Ehepaar ab. Auch die anderen zwei Paare sind hoch interessant – statt 08/15 – besetzt. Gitta Uhlig hat für dieses tonlagenreiche Kammerspiel ein letztes Mal eine perfekte Besetzung zusammengestellt. Die renommierte, äußerst vielseitige Casterin starb im September 2018.
Das Ergebnis ist ein Kammerspiel, das in Erinnerung bleiben wird, weil Autorin Mouchot die richtige Mischung findet aus Weihnachtszauber und Ironie, aus Sehnsuchtsmomenten und Realitätsnähe. Die Geschichte bekennt sich zur emotionalen Tradition dieses Fests der Feste, und sie zeigt sowohl die Möglichkeiten als auch die Grenzen von Familie auf. Dabei wird der Zuschauer mit den unterschiedlichsten Ton- und Gefühlslagen konfrontiert: mit Schwermut, Freude, Demut, Sympathie, mit Verliebtheit, Geborgenheit, mit Witz, Sarkasmus und den mehr oder weniger versteckten Formen der Liebe, mit Lachen und Weinen: das, was die Charaktere umtreibt, das färbt auch auf den Zuschauer ab. Die Gefühle kommen in „Der Wunschzettel“ erfreulicherweise nur selten unmittelbar zum Ausdruck. Zu kontrolliert und eigenwillig („Und, habt Ihr schon miteinander geschlafen?“) agieren die meisten Figuren.
Und wenn es auf der Zielgeraden hochemotional wird, ist es vor allem Rensings Inszenierung, die immer wieder die nötige Distanz schafft: Mal geht die Kamera auf Abstand, mal wird der Ton weggemischt, weil der Zuschauer weiß, was Sache ist; so wird das „Gefühlige“ in Atmosphäre verwandelt. Ähnlich gelungen ist der Einsatz der Musik: Hier wird kein beliebiger Soundteppich aus bekannten Christmas-Songs wie in anderen TV-Weihnachtsfilmen ausgebreitet, sondern ein ausgewogener Mix aus Source und Score (sehr eindrucksvoll die hauchzarte Variation des Empfindsamkeitsklassikers „Hallelujah“) korrespondiert mit der Bildebene. Dass „Der Wunschzettel“ ein zweiter „Kleiner Lord“ wird, ist wohl eher unwahrscheinlich; die TV-Rezeption ist heute eine völlig andere als vor 30, 40 Jahren, als die Zuschauerschaft noch homogen war und man sich am TV-Lagerfeuer wärmte. Das Zeug zum Fernsehfilm-Klassiker, wie man den Begriff heute versteht, hat dieses Fernsehspiel auf jeden Fall. Es gibt kaum einen schöneren TV-Weihnachtsfilm in diesem Jahrzehnt, dem es so überzeugend gelingt, den Eigensinn seiner Figuren zu bewahren und zugleich den Wert der Gemeinschaft authentisch und kitschfrei zu vermitteln, und der die realen Sehnsüchte, die mit Weihnachten verbunden sind, so punktgenau trifft. (Text-Stand: 10.11.2018)