In Staub aufgelöst. „Tod im Weinberg“
An dieser Hürde sind schon einige Krimireihen gescheitert: Die ersten Episoden sind faszinierend, weil die Hauptfigur aus dem Fernsehalltag herausragt. Irgendwann jedoch ist die Rolle etabliert. Wenn die Drehbücher nun keine besonderen Geschichten mehr erzählen, verliert selbst „Blind ermittelt“ den Status „zuverlässig sehenswert“. „Tod im Weinberg“ ist der achte Film mit Philipp Hochmair als erblindeter früherer Chefinspektor der Wiener Polizei. Es ist immer noch eine Freude, ihm zuzuschauen. Gleiches gilt für Andreas Guenther als Chauffeur und Augenlichtersatz. Der coole Alex und der lässige Niko: Die beiden entspannten Freunde bilden nach wie vor ein reizvolles Duo. An diesen Fall sind sie allerdings regelrecht verschwendet. Die Handlung trägt nicht über neunzig Minuten, ist allzu früh durchschaubar und überdies derart unspektakulär, dass sich die Frage stellt: Wieso hat niemand moniert, dass schon das Buch deutlich hinter dem Niveau der Reihe zurückbleibt? Wenn „Tod im Weinberg“ dennoch sehenswert ist, dann neben den beiden Hauptdarstellern einzig und allein wegen der ausgezeichneten Arbeit von Kameramann Florian Banicki.
Sterne-Vergabe im Einzelnen: „Tod im Weinberg“ bekommt drei Sterne, während „Tod an der Donau“ gut ist für viereinhalb Sterne.
Der Film beginnt mit einer perfide eingefädelten Entführung: Ein Unfallopfer entpuppt sich als quicklebendig und zerrt den Autofahrer, der sich besorgt um die vermeintlich leblose Person kümmern wollte, in einen Transporter. Bald darauf bekommt seine Mutter (Nina Kronjäger) eine Videonachricht, gesprochen von ihrem Sohn (Julian Waldner): Der oder die Entführer verlangen zwei Millionen Euro, lieferbar binnen 48 Stunden; an jedem weiteren Tag, der verstreicht, wird Paul einen Finger verlieren. Und, natürlich: keine Polizei! Alex Haller darf allerdings bleiben; er genießt einen Status als Sonderermittler, ist aber offiziell kein Polizist. Die Freunde fragen sich zwar, wie jemand auf die Idee kommen konnte, die hoch verschuldete Weinbergbesitzerin Sonja Rauch zu erpressen, aber ihr Schwager Heinrich (Fritz Karl) führt ein gut gehendes Nobelrestaurant. Tatsächlich ist er bereit, sich zum Wohle des Neffen von seinem Lebenstraum zu verabschieden.
Was nun folgt, entspricht dem üblichen Krimischema (Buch: Nora Friedel, Mike Majzen). Niko, Haller und dessen Nachfolgerin (Jaschka Lämmert) verdächtigen der Reihe nach alle, die irgendwie mit der Familie Rauch zu tun haben. Kurz nach Beginn der zweiten Filmhälfte dürfte den meisten Krimifans allerdings klar sein, wer wirklich hinter der Entführung steckt. Theoretisch könnten die restlichen knapp vierzig trotzdem kurzweilig sein, doch ausgerechnet der letzte Akt zieht sich. Das hat einerseits mit den Figuren zu tun, die größtenteils weder Interesse noch Mitgefühl wecken, andererseits aber auch mit einigen Ensemblemitgliedern, die Präsenz mit Lautstärke verwechseln. Das wiederum fällt umso stärker auf, wenn direkt daneben ein Kollege wie Martin Leutgeb allein durch seine Ausstrahlung eine ungleich größere Wirkung erzielt.
Regie führte Till Franzen, der neben einigen guten Krimi-Episoden („Wolfsland“) zuletzt mit „Lauchhammer – Tod in der Lausitz“ (ARD) eine der besten Serien des letzten Jahres gedreht hat. Bei „Tod im Weinberg“ zeigt sich seine Klasse jedoch allein in der Bildgestaltung. Optischer Höhepunkt ist ein Streifzug Nikos durch eine verfallene Jagdvilla im Wienerwald; das Licht ist faszinierend. Inhaltlich tritt die Handlung inklusive der unvermeidlichen Funktionsdialoge im Polizeirevier oft auf der Stelle, aber die Kamera ist ständig in sanfter Bewegung, weshalb der Film auf subtile Weise dynamischer wirkt, als es die Geschichte hergibt; selbst wenn immer wieder mal lautstarke Motocross-Maschinen durchs Bild brausen. Das letzte Drittel erfreut immerhin durch zwei Überraschungen, als sich Sonja zu Heinrichs Verblüffung bei der Lösegeldübergabe gewissermaßen in Staub auflöst und der Film am Schluss doch noch seinem Titel gerecht wird.
In der Schlangengrube. „Tod an der Donau“
In kriminalistischen Kreisen gilt die Bezeichnung „Verhör“ für eine Vernehmung als verpönt, aber in diesem Fall passt sie einfach zu gut: Ein Mann ohne Augenlicht verhört eine Person, die sich nur in Gebärdensprache mitteilen kann. Der Blinde und die Taube: Das kann eigentlich nicht funktionieren. Wie es Alex Haller dennoch gelingt, der jungen Frau die gewünschten Informationen zu entlocken, ist die mit Abstand verblüffendste Szene in diesem „Wien-Krimi“, der im Vergleich zur letzten Episode wieder all’ das bietet, was die Reihe bislang so oft ausgezeichnet hat: eine ungewöhnliche Geschichte, interessante Figuren und vor allem eine Umsetzung, die mehr als bloß die Bebilderung eines Drehbuchs ist. Außerdem gelingt dem Autor, Mike Majzen, ein kleiner Knüller, indem er den vielen Krimi-Fans, die sich für schlauer als das Ermittlerduo halten, ein äußerst raffiniertes Schnippchen schlägt.
„Tod an der Donau“ beginnt mit der Titeltat: Auf dem weißen Overall einer Frau entfaltet sich eine tödliche rote Blüte. Als Haller und Niko am Tatort eintreffen, hat der frühere Chefinspektor eine erste von mehreren Ahnungen, die Regisseurin Anne Zohra Berrached jedes Mal mit dem berühmten Vertigo-Effekt verdeutlicht (die Kamera fährt zurück und zoomt gleichzeitig in die Nahaufnahme): Ein Krähenschwarm macht ihn stutzig; tatsächlich findet sich in einem nahen Gebüsch eine zweite Leiche. Es handelt sich um einen Jogger, der vermutlich zur falschen Zeit am falschen Ort war: Ihn traf das tödliche Geschoss in den Rücken; anscheinend hat er den Mord beobachtet und ist auf der Flucht erschossen worden.
Was wie der Auftakt eines mutmaßlich nicht sonderlich ungewöhnlichen Krimis klingt, entpuppt sich als originelles Spiel mit der Zuschauerschaft: Ein von Leben und Gram gebeugter Obdachloser, der hustend an den Freunden vorbeischlurft, richtet sich plötzlich auf, schaut in die Kamera und rezitiert einige allerdings leicht paraphrasierte Verse aus Bertolt Brechts „Dreigroschenoper“. Die Moritat von Mackie Messer findet fortan immer wieder Erwähnung, denn der Mann (Daniel Keberle) führt in wechselnden Kostümen wie ein Conferencier durch den Film. Auch das Spiel mit der sogenannten vierten Wand – im Theater die unsichtbare „Mauer“ zwischen Bühne und Publikum – wird fortgesetzt, denn die Beteiligten werden jeweils mit einem schockierten Blick in die Kamera eingeführt.
Stilmittel dieser Art können leicht aufgesetzt und wie der Versuch wirken, eine wenig originelle Handlung aufzupeppen, aber das hat der neunte „Wien-Krimi“ gar nicht nötig. Die ohnehin ausgezeichnete Bildsprache (Kamera: Matthias Pötsch) passt vielmehr perfekt zu der cleveren Geschichte, die das Duo schließlich ins Theatermilieu führt. Der tote Jogger war Direktor des Volkstheaters, wo sein Bruder (Roland Koch) gerade eine Variation der „Dreigroschenoper“ als „mörderische Revue“ probt. Die Hauptdarstellerin Klara Bachmann (Swintha Gersthofer), seine Schwägerin, ist nun eine schöne Witwe. Zunächst ermitteln die Freunde jedoch in einer völlig anderen Klientel: Das weibliche Opfer, Dagmar Moser, gehörte zu einer Gruppe, die der Gesellschaft den Rücken gekehrt hat. Die Frau lebte seit einem Jahr in einem Wohnmobil. Anders als die anderen hatte sie stets genug Geld, weshalb auch ihre Freundin Tina (Katharina Behrens) in Verdacht gerät; sie hat Dagmar gemeinsam mit ihrer gehörlosen Tochter Jennifer (Annalisa Weyel) am Donauufer gefunden. Ein Motiv hätte auch der unter allerlei Zwangsstörungen leidende Witwer, der die abrupte Trennung seiner Frau bis heute nicht verwunden hat. Außerdem wird der Mann von Andreas Lust gespielt, der in solchen Geschichten gern zwielichtige Figuren verkörpert.
Nun entwickelt Majzen ein ungemein reizvolles Konglomerat aus unterschiedlichsten Figuren und Motiven. Die Welt der Bühne mit ihren überspannten Charakteren, die aus jeder Szene einen Auftritt machen, bildet selbstredend einen faszinierenden Kontrast zu den armen Schluckern aus dem Trailerpark. Auch hier wandelt der Film auf einem schmalen Grat; gerade Roland Koch flirtet mit dem Absturz in die Parodie. Oder ist Bachmanns exaltiertes Verhalten bloß Fassade, um seine Schuld zu überspielen? Nett ist zudem ein Insider-Gag, als sich Haller endlich fragt, ob womöglich nicht der Jogger, sondern Dagmar das Zufallsopfer war. Weil Klara versichert, jedes Theater sei eine Schlangengrube, soll sie eine Liste mit Feinden ihres Mannes erstellen; sie enthält auch den Namen Anne Zohra Berrached. Mit derart beiläufig eingestreuten Details erfreut „Tod an der Donau“ ständig, was den von einer ungewöhnlichen Musik untermalten Krimi, dessen Lösung bis zum allerdings etwas theatralischen Finale offen bleibt, zu einer inhaltlich wie optisch gleichermaßen großen Freude macht.