Der Duft der Frauen. „Tod im Fiaker“
Weil Marken immer wichtiger werden, hat die ARD-Tochter Degeto jetzt auch „Blind ermittelt“ in den Euro-Krimi eingemeindet. Da die Filme nun quasi drei Titel haben, wird die Reihe demnächst vermutlich nur noch „Der Wien-Krimi“ heißen. „Blind ermittelt“ ist ohnehin bloß die halbe Wahrheit: Der frühere Wiener Chefinspektor Alexander Haller (Philipp Hochmair) hat zwar bei einem Bombenanschlag sein Augenlicht verloren, aber dafür sind seine sonstigen Sinne seither umso geschärfter; ein Händedruck genügt, und schon ist er über den Erregungszustand einer Person im Bilde. Außerdem dient ihm sein Freund und Chauffeur Niko Falk (Andreas Guenther) als Augenersatz. In der vierten Episode der Reihe kehrt der einstige Taxifahrer quasi in seinen früheren Beruf zurück: Bankier Schachner ist an mit Zyankali versetztem Kokain gestorben, das er kurz zuvor bei einem Fiakerkutscher gekauft hat. Niko soll sich unters Kutschvolk mischen, um verdeckt zu ermitteln.
Sterne-Vergabe im Einzelnen: „Tod im Fiaker“ erhält 4 Sterne „Lebendig begraben“ hat sich dagegen 4,5 Sterne verdient.
Foto: Degeto / Philipp Brozsek
Im Vergleich zu den ersten beiden Filmen, die nicht nur inhaltlich, sondern auch optisch beeindruckten (Regie: Jano Ben Chaabane), war Nummer drei („Der Feuerteufel von Wien“, Regie: David Nawrath) nur noch ein Krimi wie jeder andere. „Tod im Fiaker“ liegt dazwischen: Die Inszenierung ist nicht so kunstvoll wie die beiden Auftaktepisoden, aber die handwerkliche Qualität ist deutlich höher als zuletzt. Regisseurin Katharina Mückstein konnte zudem mit einem interessanten Ensemble arbeiten. Für Hallers ehemalige Kollegin Laura (Jaschka Lämmert) steht außer Frage, dass die Witwe, Solveig Schachner (Florence Kasumba), den Bankier gemeinsam mit ihrem Geliebten (Gabriel Raab) aus dem Weg geräumt hat: Bei einer Scheidung wäre sie leer ausgegangen, nun erbt sie alles. Allerdings gibt es noch einen mysteriösen Unbekannten, der Schachner erpresst hat, und so beginnt der Film auch: Spätabends hat jemand vor der luxuriösen Villa ein Paket abgestellt. Als Solveig es öffnet, ertönt ein typisches Bombenpiepsen, das Ehepaar erstarrt vor Angst, dann gibt es einen Knall, und ein Schwall goldener Glitzerschnipsel fliegt durchs Wohnzimmer; auf einem Zettel steht „Letzte Warnung“. Dem effektvollen Auftakt folgt ein weiterer Spannungshöhepunkt, als Schachner das Kokain schnupft und zusammenbricht. Hallers Schwester Sophie (Patricia Aulitzky) ist mit Solveig befreundet; als sie den Bankier reanimieren will, vergiftet sie sich ebenfalls. Vierte Frau der Geschichte ist Therese (Emily Cox), Kellnerin in einem Lokal, in dem die Fiakerfahrer ihr Feierabendbier trinken. Hier beginnt Niko seine Nachforschungen, denn Haller vermutet, dass der unsympathische Wirt (Rainer Wöss) seine Kutscher als Dealer einsetzt. Den Job auf dem Bock bekommt Niko allerdings von Thereses Vater (Karl Fischer), der ihn auf Anhieb mag und ihm nach und nach seine tragische Lebensgeschichte erzählt. Dass sich der verdeckte Ermittler in die Tochter verguckt, versteht sich fast von selbst.
Natürlich lebt die Geschichte auch von der Frage, wer hinter dem Mord stecken mag, selbst wenn der Drogenhändler kein logischer Verdächtiger ist: Der Mann hätte zwar ein handfestes Motiv, weil Schachner ihm einen hohen sechsstelligen Kredit gekündigt hat, aber die Schulden lösen sich durch den Tod des Bankers natürlich nicht in Luft auf. Ein weiterer Reiz des Films liegt im Kontrast zwischen der Luxuswelt der Schachners und dem Fiakermilieu. Mückstein nutzt Nikos Kutschjob, um ein bisschen durch Wien zu fahren; eine Verfolgungs-„Jagd“ im Fiakertempo ist tatsächlich mal was Neues. Die Regisseurin und ihr Stammkameramann Michael Schindegger haben ohnehin sichtbar viel Aufwand in die Bildgestaltung investiert. Die Innenaufnahmen zeichnen sich durch eine interessante unterschiedliche Lichtgebung aus: kühles Gelb im Befragungszimmer, kaltes Blau im Tresorraum, gespanntes Rot im Überwachungswagen, warmes Orange in der Kanalisation. Mückstein, für ihre Kinofilme (zuletzt „L’animale“) mehrfach ausgezeichnet, wollte ihrem TV-Debüt ausdrücklich einen „glamourösen Look“ und ein „Kinogefühl“ geben.
Foto: Degeto / Philipp Brozsek
Trotzdem bleibt die Blindheit der Hauptfigur das Alleinstellungsmerkmal. Immer wieder stellt Hans-Henner Hess in seinem ersten Buch für die Reihe entsprechende Bezüge her. Eine von Solveig Schachner kuratierte Ausstellung im Bankgebäude ist barrierefrei, und das nicht nur wegen des allerdings offenbar nicht perfekten Leitsystems auf dem Boden: Haller landet auf der Damentoilette. Dass Mückstein keine große Sache aus diesem kleinen Irrweg macht, ist typisch für den ohnehin sympathischen Humor des Films; Hallers Fähigkeit, Frauen an ihrem Duft zu erkennen, sorgt mehrfach für hübsche kleine Verblüffungen. Seine Anspielungen auf die Blindheit („Ich hab’ ein Auge auf ihn“) sind zwar selbstironisch, aber nie sarkastisch oder verbittert und daher eine schöne Ergänzung zum kernigen Humor des Partners. Tatsächlich hat Andreas Guenther aufgrund der Arbeitsteilung diesmal sogar die etwas dankbarere Rolle: hier der Denker, der meist keine Miene verzieht, dort der Lenker, dem der Karmann Ghia des Freundes weitaus besser gehorcht als die Kutschpferde. Abgesehen von einer kleinen Ungereimtheit nach dem fesselnden Finale in der Unterwelt, bei dem sich Haller dem Mörder als Geisel zur Verfügung stellt, ist „Tod im Fiaker“ rundum sehenswert, zumal neben der Bildgestaltung auch die flotte Musik (Michael-Alexander Brandstetter) sehr präsent ist. Ko-Komponist Bernhard Fleischmann sorgt zudem für Wiener Flair: Zwischendurch tritt immer wieder mal ein Straßenmusikerduo mit Pferdemasken auf; Fleischmann hat die Lieder nicht nur geschrieben, er ist auch einer der Sänger.
Allein in der Dunkelheit. „Lebendig begraben“
17.10.17: Das Datum genügt, um Alex Haller den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Es ist kein Zufall, dass die fünfte Episode an den Auftakt aus dem Jahr 2018 anknüpft: Regisseur ist wieder Jano Ben Chaabane. Bei allem Respekt vor Katharina Mückstein, die das Niveau der Reihe mit „Tod im Fiaker“ vor allem bildgestalterisch wieder deutlich angehoben hat: Chaabanes Film ist noch mal eine Stufe besser. Das gilt für die Umsetzung, aber auch für die Geschichte: Am 17. Oktober 2017 hat sich die Bombenexplosion ereignet, bei der Haller sein Augenlicht verloren hat und seine Frau gestorben ist. Kein Wunder, dass er wie vom Donner gerührt ist, als er von dem Datum auf einem Zettel hört. Ein Anwalt hat die Zahlen vor seinem Tod notiert. Haller ist überzeugt, dass der Mord etwas mit dem Attentat zu tun hat. Die letzten Filme legten auch dank Hochmairs abgeklärtem Spiel die Vermutung nahe, der Ex-Polizist habe seinen Frieden gefunden und blicke nur noch nach vorn. Nun tritt seine ganze Verbitterung wieder zu Tage.
Foto: Degeto / Philipp Brozsek
Soundtrack: (2) John Lee Hooker („Boom, Boom“), Der Nino aus Wien („Es geht immer ums Vollenden”) Wolfgang Ambros („Es lebe der Zentralfriedhof”)
Chaabane hat die Zuschauer zwar zu Zeugen des Mordes an dem Anwalt gemacht, aber trotzdem bleibt zunächst offen, welche Verbindung die Tat mit Haller hat. Tatsache ist immerhin, dass der Mörder sie offenbar von langer Hand geplant hat. Schließlich zeigt sich, dass Kurt Brandner (Alexander Beyer) auf einem Rachefeldzug ist: Am 17.10. 2017 hat sich sein Bruder in der Untersuchungshaft das Leben genommen. Der Lehrer hatte angeblich eine Schülerin ermordet. Hallers damalige Stellvertreterin Laura wertete den Suizid als Schuldeingeständnis, der Fall war somit erledigt, und angesichts des Attentats auf ihren Chef hatte die Polizistin ohnehin ganz andere Sorgen. Brandner will nun offenbar alle umbringen, denen er eine Mitschuld am Tod des älteren Bruders gibt. Das nächste Opfer, ein Therapeut (Murali Perumal), kann sich durch einen Sprung aus dem Fenster retten und genießt fortan Polizeischutz, aber auf der Liste steht natürlich auch Laura. Haller hat 48 Stunden Zeit, um den wahren Mörder des Mädchens zu finden, sonst muss die Ex-Kollegin sterben.
Foto: Degeto / Philipp Brozsek
Die Geschichte – Jacob Grolls Drehbuch basiert auf einer Idee von Lars Albaum – ist fesselnd, aber noch besser ist die Umsetzung. Schon Mückstein hat bei ihrer Inszenierung großen Wert auf besondere Bilder gelegt. Chaabane und Kameramann Tobias von dem Borne (auch bei der „Blind ermittelt“-Episode „Das Haus der Lügen“ dabei) setzen mit Hilfe schwungvoller Kamerafahrten und ausgefallener Perspektiven immer wieder optische Akzente. Die effektvollste Einstellung haben sie sich für den Schluss aufgespart, als der Krimi seinem deutschen Titel gerecht wird. Die ORF-Version heißt „Endstation Zentralfriedhof“. Just hier trägt sich das Finale zu, bei dem Haller und Niko nur wenige Minuten bleiben, um Brandners Geisel zu retten. Als sich die Kamera in die Höhe schraubt, verdeutlicht der Blick auf Tausende von Gräbern die Unmöglichkeit dieses Unterfangens. Hier eine Drehgenehmigung zu bekommen, dürfte auch nicht selbstverständlich sein. Es gehört zum typischen Humor des Films, dass zum Abspann „Es lebe der Zentralfriedhof“ von Wolfgang Ambros erklingt
Unter Chaabanes Regie ist „Lebendig begraben“ wieder mehr „Buddy“-Komödie, zumal Guenther seine Figur kindsköpfiger interpretieren darf und viele witzige Dialoge hat. Anders als in den letzten Filmen rückt auch die Blindheit Hallers stärker in den Vordergrund. Der Regisseur hat der Hauptfigur bereits in „Die verlorenen Seelen von Wien“, dem zweiten Film der Reihe, zumindest andeutungsweise einige jener Fähigkeiten angedichtet, durch die sich der blinde Comic-Detektiv Daredevil auszeichnet: Als Niko ihm ein Sandwich klauen will, ergreift Haller blitzschnell das Handgelenk des Freundes. Andererseits ist er aufgrund der Konfrontation mit dem Schicksalsschlag deutlich unleidlicher als zuletzt. Chabaane (zuletzt: „MaPa“, 2020), der vor dem ersten „Blind“-Krimi nur die beachtliche Priesterkrimiserie „Culpa – Niemand ist ohne Schuld“ (13th Street, 2017) gedreht hat, inszeniert Haller konsequent als Antihelden, dem Brandner völlig zu Recht vorhält, seine Mitmenschen seien für ihn bloß ein Hintergrundgeräusch. Auch davon profitiert Guenthers Rolle: weil sich Niko umso mehr als wahrer Freund erweisen kann. Reizvoll ist zudem die Idee, Haller vor seinem geistigen Auge mehrfach mit seinem Alter Ego aus der Zeit vor der Explosion zu konfrontieren; eine clevere Idee, um zu verdeutlichen, wie allein er letztlich in der Dunkelheit seines Daseins ist. Ausgefallen ist auch die Musik (Tim Schwerdter), die zuweilen nur aus diversen Schlaginstrumenten besteht. (Text-Stand: 22.3.2021)