Gemütlich in den Weltuntergang: „Friedhof der Welpen“
Es steht zwar Krimi drauf, aber die Geschichten aus Usedom handeln stets vor allem von Dramen. Die Hauptfigur war bei ihrer Einführung als Gattenmörderin ohnehin dramatisch vorbelastet. Seither verfolgen die Filme in mittlerweile über zwanzig Episoden den Lebensweg dieser von Katrin Sass betont unterkühlt verkörperten Frau. Die letzte Trilogie erreichte eine Topquote, und das nicht nur innerhalb der Reihe; kein anderer Donnerstagskrimi im „Ersten“ ist derart beliebt. Dass die ehemalige Staatsanwältin Karin Lossow regelmäßig in Mordfälle verwickelt wird, ergibt sich meist eher zufällig: Im Auftakt zur jüngsten Trilogie entdeckt ihr Hund drei tote Welpen im Wald. Einen „echten“ Mord gibt es allerdings auch, zunächst zwar ohne Leiche, aber eine riesige Blutlache lässt keinen Zweifel daran, dass Jana Leppin nicht mehr lebt. Weil Lossow in der Welpensache nicht locker lässt, finden sich in der Nähe des titelgebenden Welpenfriedhofs alsbald auch die sterblichen Überreste der Altenpflegerin. Die Tiere gehörten einem äußerst unsympathischen Nachbarn der Leppins, weshalb der Mann prompt auch mordverdächtig ist; aber ausgerechnet die achtzehnjährige Tochter des Opfers gibt ihm ein Alibi.
Die Krimiebene ist interessant und plausibel, zumal die Kombination des deutlich älteren Ivo Klose (Moritz Führmann) und der jungen Fabienne (Ada Philine Stappenbeck) die Handlung um ein reizvolles Nebenthema ergänzt: Klose ist ein „Prepper“ und überzeugt, dass die Gesellschaft kurz vor dem Kollaps steht. Fabienne ist von seiner negativen Weltsicht infiziert worden, was zu Konflikten mit ihrer Mutter geführt hat, die sich nach Ansicht der Tochter gemütlich in Richtung Weltuntergang bewegt. Klose wappnet sich für die Zeit ohne Strom und Ordnung, indem er mit der jungen Frau das Überleben in der Wildnis trainiert; wer Tiere mag, wird nicht nur wegen der toten Welpen einige Male wegschauen.
Natürlich ist die Frage, wer Jana Leppin auf dem Gewissen hat, der Motor der Handlung; das Drehbuch stammt von Dinah Marte Golch und Michael Vershinin, der die Reihe vor zehn Jahren gemeinsam mit Scarlett Kleint und Alfred Roesler-Kleint entwickelt hat (damals noch als Michael Illner). Was „Friedhof der Welpen“ aus dem Krimiumfeld herausragen lässt, ist die Umsetzung. Regie führte Grzegorz Muskala, der auch den Abschluss der letzten Trilogie 2022 inszeniert hat. Für die Bildgestaltung war diesmal Michał Grabowski zuständig. Gemeinsam haben sie die Reihentradition der exquisiten Optik fortgesetzt. Gerade die Bilder eines winterlichen Filmtags verleihen der Insel einen reizvollen morbiden Charme. Die Episode ist geprägt von bläulicher Düsternis, was die Innenaufnahmen umso wärmer wirken lässt. Grabowski hat zuletzt mit Regisseur Andreas Senn die faszinierenden ästhetischen Konzepte für den ZDF-Krimi „Der Kommissar und die Eifersucht“ (2022) und den Auftakt der RTL-Reihe „Sonderlage“ (2023) entwickelt. Zweites durchgängiges Qualitätsmerkmal der Reihe sind die Kompositionen von Colin Towns, der für den zwanzigsten Film mit der NDR Radiophilharmonie zusammenarbeiten durfte. Selbst für ungeübte Ohren ist der Unterschied zur digitalen Filmmusik sonstiger TV-Produktionen offenkundig; Towns übertreibt nicht, wenn er sagt, er habe eine „eigene Klangwelt“ geschaffen.
Der Rest ist Familienfernsehen, in mehrfacher Hinsicht: Seit ihr Haus abgebrannt ist, lebt Lossow bei ihrem Neffen Rainer Witt (Till Firit) und dessen Lebensgefährtin Katharina Stozek (Milena Dreißig). Er ist Kommissar, sie Staatsanwältin, weshalb sich die Wege des Trios auch beruflich regelmäßig kreuzen. Mit Jörn Scherer (Jörg Schüttauf) führt Vershinin eine neue Figur ein: Der Tischler soll eine Scheune auf Witts Grundstück für Lossow zum Wohnhaus umbauen. Dadurch lernt sie auch seine Tochter kennen: Eigentlich ist Lara (Lilly Charlotte Dreesen) eine schöne junge Frau, doch eine Gesichtshälfte ist völlig entstellt; und unversehens schließt sich der Kreis zu Ivo Klose.
Wer andern eine Grube gräbt… : „Geburt der Drachenfrau“
Zu den Besonderheiten der 2014 gestarteten „Usedom-Krimis“ gehört neben der formidablen Bildgestaltung und der exzellenten Musik auch der Mut, auf übliche Gepflogenheiten zu verzichten: Diesmal wird der eigentlich doch obligate Mord erst kurz vor Schluss begangen. Einen Todesfall gibt es allerdings auch zu Beginn, als eine Gruppe syrischer Flüchtlinge über die polnisch-deutsche Grenze geschmuggelt wird. Ein kleines Mädchen litt schon zuvor unter großen Schmerzen und verliert während der Fahrt in einem Transporter das Bewusstsein. Einer der Männer beschwört den Schleuser, zu einem Krankenhaus zu fahren, doch der weigert sich. Was nun passiert, spart der Film zwar aus, doch dafür verknüpft das Drehbuch die Handlung äußerst geschickt mit der letzten Episode. Die Krimiebene dort war zwar in sich abgeschlossen, aber die wichtigsten Figuren wirken weiterhin mit. Das gilt nicht nur für den bodenständigen Scherer, sondern vor allem für dessen Tochter: Lara will nach wie vor eine alte Rechnung begleichen, verliebt sich aber ausgerechnet in die junge Komplizin jenes Mannes, der indirekt für ihr entstelltes Gesicht verantwortlich ist. Aussteiger Klose ist in den Wäldern untergetaucht, seit dem Verzehr eines Dachses jedoch schwer krank und fällt schließlich zu allem Überfluss in eine Grube, die er selbst gegraben hat. Das klingt zumindest nach Ironie, wenn nicht gar nach Schadenfreude, aber der Film bringt sogar ein gewisses Mitgefühl mit diesem Mann auf, der sich seit geraumer Zeit auf den „Ernstfall“ vorbereitet hat, weil er überzeugt ist, das gesamte System werde demnächst zusammenbrechen.
Soundtrack: (1) Cat Power („Troubled Waters“), Portishead („Wandering Star“) (2) Led Zeppelin („Moby Dick”), Massive Attack („Man Next Door”)
Ein weiteres Merkmal der Reihe ist der regelmäßige Wechsel der Hauptfiguren. Karin Lossow ist zwar Dreh- und Angelpunkt, mitunter aber auch bloß teilnehmende Beobachterin, weil sich das Drehbuch zum Beispiel auf die schwierige Beziehung von Ellen Norgaard (Rikke Lyllof), einst Nachfolgerin von Lossows Tochter als Kriminalhauptkommissarin, zu ihrer Mutter konzentriert. Diese frühere Erzählung aus der Trilogie des Jahres 2021 greift das Drehbuch nun wieder auf: Patrizia (Marion Kracht) ist wegen einer lebensgefährlichen Erkrankung aus der Haft entlassen worden. Anstelle einer Aufklärung über die Hintergründe begnügt sich das Drehbuch mit einem einfachen optischen Hinweis, als die Frau einen walnussgroßen hellen Fleck aus einer Röntgenaufnahme ausschneidet.
Im Mittelpunkt von „Geburt der Drachenfrau“ steht jedoch Lara; der Titel bezieht sich auf eine großflächige Tätowierung, die sie sich auf den Rücken stechen lässt. Lilly Charlotte Dreesen hat ihr großes Talent bereits in der funk-Serie „Druck“ (2018/19) und zuletzt in der Joyn-Serie „Katakomben“ (2021) bewiesen. Lara hat den Vater des gestorbenen Mädchens mitsamt dem Leichnam seiner Tochter auf einer Landstraße aufgelesen, aber Ahmad Bashmani (Yasin el Harrouk) weigert sich, der Polizei die Todesumstände zu erklären. Lossows Neffe (Till Firit) kriegt kein einziges Wort aus ihm raus. Die Frage ist allerdings, wen der Syrer mit seinem Schweigen schützen will: sich selbst oder die Schleuser? Was sich in dem Auto abgespielt hat, bleibt über den Schluss hinaus offen. Lara hat den Fahrer des Transporters zwar erkannt, aber der wird der Polizei keine große Hilfe mehr sein: Lossow wird Zeugin seiner Hinrichtung; dann endet die Episode mit einem ziemlich gemeinen Cliffhanger.
Muskala hat den Film mit exakt dem gleichen Team gedreht wie „Friedhof der Welpen“, die Bildgestaltung mit ihrem leichten Blaustich und einigen eindrucksvoll gefilmten Nebelszenen ist erneut ähnlich vorzüglich wie die diesmal allerdings wieder herkömmlich (also nicht mehr mit Orchester) eingespielte Musik von Towns, dessen Kompositionen je nach Stimmung wirkungsvoll zwischen sanften und dramatischen Passagen mäandern.
Wo gehobelt wird…: „Schlepper“
Teil zwei der Trilogie endete mit einem Paukenschlag, Teil drei beginnt mit der erwartbaren Auflösung: alles halb so schlimm. Davon abgesehen ist „Schlepper“ mehr als nur eine Fortsetzung. Im Grunde bilden die Episoden 21 und 22 einen Zweiteiler, zumal die Umstände beim Tod des syrischen Mädchens noch nicht aufgeklärt sind. Lossow hatte am Abend beobachtet, wie der Fahrer des Transporters beim Treffen mit den Hintermännern hingerichtet wurde, anschließend hatte sie einen Unfall. Zuvor hat sie die beiden Typen jedoch in einen Laster gesperrt. Das droht ihr nun zum Verhängnis zu werden: Der LKW ist ein Kühllaster, das Aggregat läuft weiter, wenn der Motor aus ist. Als am nächsten Morgen endlich Hilfe kommt und sie befreit, stellt sich kurz darauf raus, dass der Laster verschwunden ist. Und nicht nur das: Ein Vater trauert um seinen Sohn und will Rache.
Ein aufmerksames Krimipublikum wird sich allerdings fragen, woher der Mann (Jevgenij Sitochin) weiß, dass der Fahrer oder die Fahrerin des Unfallwagens in den Tod seines Sohnes verwickelt ist, zumal der Unfallort mehrere Kilometer entfernt ist; diesen Punkt lässt Vershinin kurzerhand offen. Er ist jedoch die Voraussetzung für den spannenden weiteren Verlauf der Handlung. Lossow hatte sich den Kleinwagen ihres Großneffen Ben (Emil Belton) geborgt, weil ihr Pick-up nicht ansprang. Als Leskow in dem zwischenzeitlich zu einem Schrottplatz transportierten Auto nach Hinweisen auf den Besitzer sucht und einen Bußgeldbescheid findet, schwebt Ben nur vorübergehend in Gefahr: Lossow bevorzugt eine bestimmte ausgefallene Zigarettenmarke, weshalb „Rauchen kann tödlich sein“ eine ganz neue Bedeutung bekommt.
Regie führte wieder Muskala, der auch diesmal wieder mit Kameramann Grabowski zusammenarbeitete; die optische Qualität ist erneut herausragend. Anders als beim handlungsreichen und fesselnden Trilogieauftakt ist die Inszenierung der Teile zwei und drei deutlich entspannter. Da die Geschichten aufeinander aufbauen, nehmen sich Muskala und Vershinin die Zeit, um die im ersten Film eingefädelten Beziehungen zu vertiefen: hier zwischen Lossow und Scherer, dort zwischen Lara und Fabienne. Dank ihrer enormen Erfahrung brauchen Jörg Schüttauf und Katrin Sass nicht viel Dialog, um die sich anbahnenden Gefühle zu vermitteln. In diesen Szenen ist die Spannung eher hintergründiger Natur, denn Lossow hatte nie viel Glück mit den Männern, und das keineswegs nur, weil sie als Gattenmörderin im Gefängnis war. Auch Scherer hat seine Schattenseiten, wie der zweite Film verdeutlichte, als er den neuen Freund seiner zukünftigen Ex-Frau Ewa verprügelte; wenn auch quasi in Nothilfe, weil der Mann gegenüber Ewa handgreiflich geworden war.
Dass die drei Drehbücher als Trilogie konzipiert sind, zeigen zudem kleine Begebenheiten am Rande: Im ersten Film wird Lara, deren Gesicht entstellt ist, seit sie als Kind von einem Hund gebissen wurde, von zwei Jugendlichen angemacht; das Pärchen taucht auch im zweiten Film kurz auf. Erst im dritten Teil zeigt sich allerdings, warum Vershininin und Golch der russlanddeutschen Chefin eines Pflegedienstes in „Friedhof der Welpen“ viel Zeit eingeräumt haben. Witt hatte sich damals ein amüsantes Geplänkel mit Elena Herzog (Iwona Bielska) geliefert. Eine ähnliche Szene gibt es diesmal auch, als die Befragung eines Krematoriumsbesitzers witzige Züge annimmt; Till Firit versieht diese Momente mit einem sympathischen subtilen Humor. Einen Wermutstropfen gibt es für die Fans der Reihe trotzdem: Ellen Norgaard ist offenbar endgültig bloß noch eine Nebenfigur.