Der Usedom Krimi – Engelmacher

Sass, Potthoff, Bading, Freydank. Alles in Drama & Plot, Ernst & Tristesse erstarrt

Foto: NDR / Christiane Pausch
Foto Rainer Tittelbach

„Engelmacher“, der dritte „Usedom Krimi“, hat das für eine Ein-Film-pro-Jahr-Reihe etwas übertrieben horizontale Erzählen aufgegeben zugunsten einer klassischen Krimi-Episoden-Reihe, die moderat die Vorgeschichte in die aktuelle Handlung einbringt und somit Nicht-Kenner dieser Ostseekrimis nicht abschreckt. Damit ist aber auch einiges von der besonderen Qualität der Reihe, dem Mut zum Rätselhaften & zur Lücke, verloren gegangen. Geblieben ist die typisch deutsche Schwere. Dazu ein wenig aufregender Fall mit logischen Schwächen, eine überladene Handlung, in dem zu viele Figuren zu viele Probleme zu schultern haben (wodurch der Erzählfluss gestört wird). Schade um Usedom & die guten Schauspieler!

Diese verdammte Familie: Großmutter steht erneut unter Mordverdacht
Julia Thiel (Lisa Maria Potthoff), die im Dienst überfahren wurde, hat überlebt – und ist in der Reha so gut zu Kräften gekommen, dass sie sich selbst entlassen hat und gleich wieder zum Dienst antritt. Jadwiga (Olga Kalicka), eine junge Polin, die mit Julias Tochter Sophie (Emma Bading) auf der Heringsdorfer Seebrücke kellnert, ist spurlos verschwunden. Eine Entführung? Ein Gewaltverbrechen? Julia, die noch längst nicht gesund ist und auch seelisch neben sich steht, kommt nicht weiter in dem Fall; da hat sie auch schon den nächsten auf dem Tisch: Eine polnische Gynäkologin (Magdalena Boczarska), die in der Usedom Klinik Abtreibungen vornimmt, ist offenbar ermordet worden. Unter dringendem Tatverdacht steht Karin Lossow (Katrin Sass), Ex-Staatsanwältin und Julias Mutter. Sie war am Tatort, und sie hat ein Motiv: Denn die Ärztin war die Frau, die Lossows Ehemann geliebt hat, bevor ihn seine jähzornige Gattin erschoss. Für Julia ist es der reinste Alptraum. Wiederholt sich jetzt die Horrorgeschichte? Wird ihre Familie denn nie zur Ruhe kommen? Und dann auch noch der andere Schock: Die Tote und Julias Vater haben einen gemeinsamen neunjährigen Sohn.

Eher Mini-Serie als Reihe: ins Blaue geplottet und ein nur mittelmäßiger Fall
„Engelmacher“, der dritte Krimi der Drei-Frauen- und Drei-Generationen-Geschichte von der Ostseeinsel Usedom, hat das für eine Ein-Film-pro-Jahr-Reihe etwas übertrieben horizontale Erzählen aufgegeben zugunsten einer klassischen Krimi-Episoden-Reihe, die zwar die Biographien ihrer Heldinnen als Vorgeschichte immer wieder einbringt, aber keineswegs voraussetzt, dass man alle Folgen gesehen haben muss, um bestmöglich unterhalten zu werden. Durch diese Konzeptionskorrektur erkennt man nun allerdings, dass offenbar gerade das, was das Besondere war an „Schandfleck“ und vor allem dem Auftaktfilm „Mörderhus“ nun weitgehend auf der Strecke bleibt: das Geheimnisvolle, das Rätselhafte, der Mut zur Lücke. Dass dann auch noch der konkrete Krimi-Fall dramaturgisch-logische Schwächen zeigt, die am Ende durch viele Erklärungen ausgebügelt werden müssen, dass die Tatverdächtigen im Vergleich mit den durchgängigen Figuren unterbelichtet bleiben, dass seltsame Typen von überagierenden Schauspielern (Klink, Rose, der ja ganz anders kann, und Hopp als Staatsanwalt-Witzfigur) nicht minder „seltsam“ verkörpert werden, und dass gleich zwei Männer dasselbe Schicksal mit polnischen Frauen erleben müssen, eine dieser abgeschmackten Ideen deutscher Drehhbuchautoren, in denen kein Sinn erkennbar ist, das alles kommt erschwerend hinzu. Und ob es so klug ist, wo doch die Annäherung zwischen Mutter und Tochter extrem schleppend verläuft, bereits im dritten Fall vermeintlich wieder auf Anfang zu gehen, muss bezweifelt werden. Vielleicht war diese vermeintlich so attraktive Setzung Mördermutter vs. Kommissarstochter zu Beginn der Reihe doch gar nicht so klug, wie es schien – und eher eine Idee für eine Mini-Serie als für eine Krimi-Reihe im Alle-Jahre-wieder-Rhythmus. So etwas passiert, wenn man horizontal ins Blaue plottet, anstatt für drei bis fünf Folgen wie zuletzt beim „Tatort“ Dortmund die Geschichten entwickelt. Das ist die Kehrseite der Ausprobierlust der ARD-Degeto, was den Donnerstagskrimi angeht. Ohne Planungssicherheit lassen sich nun mal keine guten, ausgeklügelten Geschichten entwickeln.

Der Usedom Krimi – EngelmacherFoto: NDR / Christiane Pausch
Seltsame Zeitgenossen bevölkern den dritten „Usedom-Krimi“. Seltsam auch die kriminalistische Praxis: Eine Rechtsmedizin scheint es auf Usedom nicht zu geben. Lisa Maria Potthoff, Merlin Rose, Franziska Wulf in „Der Usedom-Krimi – Engelmacher“

Überfrachtet & ohne Zwischentöne: Den Handlungssträngen nicht Herr geworden
Und so behilft sich „Engelmacher“ mit einem Festival der Fallhöhen: die Mutter wieder in der Zelle, ihr droht erneut eine Mordanklage, die Tochter ist völlig durch den Wind, schluckt Schmerzmittel und kriegt privat wie beruflich gar nichts auf die Reihe – und auch andere Figuren bewegen sich nah am Abgrund. Die militanten „Beschützer“ des ungeborenen Lebens und der deutsch-polnische „Abtreibungstourismus“ sind als thematische Klammer an sich keine schlechte Idee. Doch es ist einfach zu viel an existentiell Schwergewichtigem, was hier in 90 Minuten verhandelt werden soll: die fremde Frau, die die Geliebte des Vaters der Kommissarin war, das Kind der beiden, ein junger Mann, der seine Eltern bei einem Unfall verloren hat, seine ihn liebende Schwester und seine Freundin, die verschwunden ist… „Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen“, dieses Motto taugt in der Regel nicht für einen guten Krimi. Sind es zu viele gegenläufige Erzählstränge, ist es zu viel Plot-Kleinklein? Eine konzentriertere Geschichte ermöglicht nun mal mehr Räume für Zwischentöne (man muss das aber wollen!). Oder sind die drei Autoren einfach nicht in der Lage, die vielen Elemente der Handlung klug und stringent zu bündeln? Die Überfrachtung hat auch Konsequenzen für die Inszenierung. So überaus homogen noch „Mörderhus“ wirkte, so plätschert ohne innere (und kaum äußere) Spannung das eigentlich so hoch Dramatische vor sich hin. Die vielen Szenenwechsel nehmen der Montage eher die Dynamik als sie ihr zu geben; weil aufeinander folgende Szenen selten direkt miteinander korrespondieren. So muss Colin Towns’ treibender Score immer wieder das Disparate akustisch (ver)binden. Kombiniert mit den Bildern Marke Usedom von oben, gelingt es so, dem Film ab & an eine epische Qualität zu geben; in einigen Szenen wird die unter Mordverdacht stehende Heldin mit der Musik regelrecht eingekreist.

In Ernst & Tristesse erstarrt: die großartigen Möglichkeiten nicht genutzt!
Dieses Meckern über „Engelmacher“ ist ein Kritisieren auf relativ hohem Niveau. Keine Frage, dieser Krimi lässt sich ansehen, ist mehr als passables Gebrauchsfernsehen (das ZDF bestreitet sein halbes Fiktion-Programm mit solchen Produktionen). Aber wenn man bedenkt, was er aus seinen Möglichkeiten (Sass! Potthoff! Schneider! Bading! Usedom als Schauplatz! Drei-Generationen-Plot! Familienkrimi-Mix!) macht, ist er eben doch eher eine Enttäuschung. Man sollte sich auch hierzulande verstärkt fragen, was die amerikanischen, britischen und skandinavischen (Mini-)Serien-Schreiber dramaturgisch & filmisch besser machen. Dank der neuen Verbreitungswege werden auch ARD und ZDF – zumindest was die 30- bis 50jährigen Zuschauer angeht – immer mehr mit diesen Produktionen konkurrieren müssen. Mittelgutes & halbherzig Entwickeltes wird bald nicht mehr genügen. Alles in Drama, Ernst & Tristesse erstarren zu lassen wird dann keine Option mehr sein. Irgendwann wird diese deutsche Befindlichkeitssoße, die nun leider auch in „Engelmacher“ fließt und die so gar nichts von der stimmungsvoll-lakonischen Strenge und Erzählsicherheit der nicht minder ernsten Skandinavien-Krimis besitzt, auch beim deutschen Zuschauer nicht mehr funktionieren.

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Reihe

ARD Degeto, NDR

Mit Katrin Sass, Lisa Maria Potthoff, Emma Bading, Peter Schneider, Max Hopp, Rainer Sellien, Merlin Rose, Franziska Wulf, Rüdiger Klink, Magdalena Boczarska, Olga Kalicka

Kamera: Philipp Timme

Szenenbild: Tom Hornig

Kostüm: Angelika Huhn

Schnitt: Ollie Lanvermann

Musik: Colin Towns

Produktionsfirma: Polyphon

Drehbuch: Scarlett Kleint, Alfred Roesler-Kleint, Michael Vershinin

Regie: Jochen Alexander Freydank

Quote: 5,90 Mio. Zuschauer (18,4% MA)

EA: 10.11.2016 20:15 Uhr | ARD

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