Eine Gruppe junger Männer gräbt ein Jahr nach dem Bau der Berliner Mauer einen Tunnel von West- nach Ost-Berlin und verhilft so DDR-Bürgern zur Flucht. Dieser Vorgang hat sich ereignet. Am 13. August 1961 ließ die DDR-Regierung die Mauer bauen, 13 Monate später, am 14. September 1962, war es soweit: der 136 Meter lange Tunnel stieß in der Ost-Berliner Schönholzer Straße 7 durch und die Fluchthelfer holten, in Kenntnis des Berliner Senats und der CIA, aber unbemerkt von Stasi und DDR-Staatsmacht, 29 Flüchtlinge in den Westen.
“Der Tunnel”, 13 Millionen Mark teuer, ist emotional packendes Fernsehen. “Es ging um die Freiheit und um die Würde – und das ist das Wichtigste, das mich am Leben hält”, tönt Harry Melchior zu Beginn des ersten Teils. Soviel Grundsatzerklärung musste wohl sein anfangs, später kommt der Film gut ohne sie aus. Und gerade das ist seine große Stärke. Die Überzeugung tragen die Helden tief drinnen in ihrem Herzen. Das ist endlich einmal gut abgekupfert von Hollywood: der Wechsel zwischen dialoglastigen und actionhaltigen Szenen, zwischen Beziehungsspannung und Thriller-Suspense, aber auch zwischen Ost- und West-Situationen funktioniert glänzend – bis in den beiläufigsten Filmschnitt hinein. Wenige zentrale Figuren verhindern, dass sich die Handlung verzettelt zwischen Tunnelschacht und Todesstreifen, zwischen Stasi und jenen Helden der Arbeit dieseits und jenseits der Mauer.
Das stärkste Pfund sind in den 180 Minuten die Schauspieler. Sebastian Koch, das Hirn, Felix Eitner, der Bubi, Alexandra Maria Lara, das Fräuleinwunder Ost, Nicolette Krebitz, die West-Variante mit existentialistischem Augenaufschlag, und allen voran Heino Ferch als Bauchmensch mit unbändiger Willenskraft. Sein Sieger-Blick kann Berge versetzen oder eben die Berliner Mauer öffnen. Männer und Frauen, die machen, was sie machen müssen!
“Der Tunnel”, die Geschichte nach dem realen Fall um den Fluchthelfer Hasso Herschel, ist ein modernes Helden-Drama. Um ein weitgefächertes historisches Panorama ging es Regisseur Roland Suso Richter, Autor Johannes W. Betz und Produzent Nico Hofmann dabei offenbar weniger. Alles läuft auf den Tag X zu, jenen 14. September 1962. Dass dieser fast 50 Filmminuten dauert, ist ein guter Trick, um die Emotionen und die Spannung so richtig schön zu schüren. Das ist hohe filmische Erzählkunst nach bestem amerikanischen Vorbild. Die Kehrseite dieser funktionalen Art des Erzählens, der Ko-Sieg der Dramaturgie über die Charaktere, wird aber ebenso deutlich: die geläuterte Verräterin bekommt am Ende die Opfer- rolle zugedacht – und Fritzi ihren eigenbrötlerischen Harry. Jeder Genre-Stereotype also ihre Bestätigung, jedem Hoch folgt das Tief. Doch die perfekt inszenierten großen Gefühle verdecken das dramaturgische Kalkül. Richter, Ferch & Co wissen: Tränen lügen nie. Und jeder Gesichtsausdruck sagt mehr als 1000 Politparolen. (Text-Stand: 22.1.2001)