Im winterlichen Spreewald wird eine Leiche aus dem Eis geborgen. Der Tote, Daniel Bartko, ist nicht in ein Schlageisen getreten und ins Vlies gefallen, wie zunächst angenommen, das Schlageisen wurde ihm nachträglich angelegt: der Mann ist ertränkt worden. Also macht sich Kommissar Krüger auf die Suche nach dem Mörder. Der Spreewald gibt den Rhythmus der Ermittlungen vor. Mit dem Motorboot tuckert er durch die Kanäle und die eigene Vergangenheit, denn die Frau des Toten und ihr Schicksal reißen in ihm alte Wunden auf.
„Der Tote im Spreewald“ beginnt wie ein Krimi, doch die Rätsel, die einem der Film nach dem ungewöhnlich dichten Drehbuch von Thomas Kirchner aufgibt, sind andere als die, die um die Mödersuche kreisen. Die menschlichen Dramen überdecken den Krimi wie der Schnee die Landschaft des Spreewaldes und sie verdichten sich zu einer Allegorie auf die Zeit nach der Wende. Erzählt wird von der jungen Liebe, die der Realität in der strukturschwachen Region nicht standhalten konnte. Hinzu kamen die Probleme mit den Eltern. Denn Bartko war Sorbe und die Tankmanns, die Familie seiner Frau Tanja, kamen als Neubauern in die Lausitz. „Wer hat den Fluch über unser Leben gelegt?“, fragt sich Bartko im Trennungsbrief. Mit einer neuen Frau wollte der Ermordete das Glück endlich zwingen. „Das Ringen zwischen Bewahren und immer währendem Neuanfang“ war für Kirchner der Antrieb der Geschichte.
Foto: ZDF / Nicolas Maack
Dieser ZDF-Fernsehfilm ist der ultimative Herbstfilm. Alles kreist um das Thema Abschiednehmen. Der Winter als Handlungszeit erweitert die Metaphorik: Es geht um emotionales Vereist-Sein und um zaghafte Versuche des Auftauens. Die Gefühle zielen ins Große und Ganze: „Verlassenwerden ist wie Versteinern; wem nicht die Gabe gegeben ist zu töten, dem bleibt nur das Sterben“, sagt die junge Witwe Tanja und deutet gleich zu Beginn an, wessen Geistes Kind sie ist. Ein solcher Satz, bedeutungsvolle Situationen, wie die zwischen ihr und dem sehnsüchtig melancholischen Kommissar, können in Fernsehfilmen schnell unangemessen tiefsinnig werden. Doch Regisseur Christian von Castelberg und Kameramann Martin Farkas ziehen am selben Strang wie der Autor. Mit den Mitteln der Entschleunigung, einer glasklaren, mitunter bizarren Optik, mit viel Poesie in den Worten komponieren sie ein filmisches Gesamtkunstwerk: eine Ode an die Einsamkeit.
Der Film hält eine magische Spannung zwischen Realismus und Ästhetisierung. Das Blau von Nadja Uhls Augen korrespondiert mit der bläulichgrauen Winter-Szenerie. Frühling, Sommer, Licht stehen für die Momente des Glücks. Solche klaren, sinnlichen Zuschreibungen machen es möglich, dass sich „Der Tote im Spreewald“ eine komplexe Erzählstruktur leisten kann. Nach dem Auffinden der Leiche, sieht man den Toten an der Schreibmaschine sitzen. Parallel zur aktuellen Handlung schreibt er als Erzähler seinen Weg bis zum Tag der Tat fort. Die Stärke der Erinnerung ist mehr als eine Erzähltechnik, die den Wechsel der Zeiten Atmosphäre stiftend einsetzt. Die Fixierung auf die übermächtige Vergangenheit, die durch ein Geflecht von Rückblenden visualisiert wird, ist auch ein Wesensmerkmal der Figuren. Die innerlich zerrissene Tanja, die zwei Mal von ihrem Mann verlassen wird, einmal seelisch, einmal physisch, lebt im Gestern. Uhl: „Sie hüllt sich in einen Kokon, um nicht mehr verletzlich zu sein. Mit ihrer Liebe ist sie in eine Art Winterschlaf verfallen.“ (Text-Stand: 26.10.2009)