Katharina (Mina Tander) und ihr Sohn Stefan (Nino Böhlau) leben seit Jahren in einem engen, symbiotischen Verhältnis. Mit der Pubertät des Jungen wachsen die Spannungen: Die Mutter meint immer noch, ständig auf ihren Sohn, der mit schwerem Asthma geboren wurde, aufpassen zu müssen. Und der 16-Jährige will nur seine Ruhe, er hat diese Überbehütung satt. Als in der norddeutschen Kleinstadt, in der die beiden wohnen – sie ist Friseurin, er hat mit Beziehungen einen Ausbildungsplatz als Gärtner ergattert – zwei junge Frauen vergewaltigt und ermordet werden, beunruhigt das die Mutter zunehmend. Sie beobachtet Stefan, wie er nachts durch die Straßen streift und Prostituierte belauert. Auch die gewalthaltigen Pornos auf seinem Laptop machen ihr Angst. Was, wenn der Junge, der so häufig ausrastet, was damit zu tun hat? Soll sie sich Hilfe holen? Vielleicht ihre Chefin (Muriel Baumeister) einweihen? Oder den netten Mann von der Supermarktkasse (Godehard Giese)? Doch den hat sie nach dem ersten Date ja schon abgeschossen. Oder sollte sie ihren Verdacht der Polizei mitteilen? Derweil verhält sich Stefan zunehmend aggressiver. Dann stellt Katharina ihn offen zur Rede.
Die Welt von Mutter und Sohn in dem ARD-Mittwochsfilm „Der Sohn“ ist nicht nur klein und überschaubar, sie ist durch eine nahezu klaustrophobische Enge gekennzeichnet. Eng ist das Zuhause der beiden, eng, leer und grau wirkt die Straße, in der sie wohnen, ausgestorben schon am frühen Abend ist der Marktplatz in dieser spießigen Kleinstadt, in der jeder jeden kennt und (fast) alles über den anderen weiß. In dieser Enge ist es aussichtslos, etwas geheim zu halten. Der Sohn nimmt sich (s)ein Stück Freiheit, indem er auf dem Fahrrad nächtens jungen Frauen hinterher jagt oder Liebespaaren beim Sex zuschaut. Die Mutter dagegen findet für ihre Angst kein Ventil. Je mehr sich für sie der Verdacht gegen den eigenen Sohn erhärtet, umso mehr verliert sie selbst ihr seelisches Gleichgewicht. Die Beziehung der beiden, die gegenseitige Abhängigkeit voneinander, ist die dramaturgische Achse des Films. Jede kleine emotionale Veränderung bei dem einen sorgt gleichsam für eine Veränderung beim anderen. Und Projektionen tun ihr Übriges, um die ohnehin labile Beziehung bald völlig aus dem Gleichgewicht zu bringen. Aus minimalen Verschiebungen werden im Verlauf der Handlung kapitale Störungen – bis diese Mutter-Sohn-Beziehung zu implodieren droht.
Der NDR-Fernsehfilm von Urs Egger (Regie) und Dagmar Gabler (Buch) ist ein Psycho-Drama. Es erzählt von einer krankhaft überzogenen Mutter-Kind-Beziehung; eine Studie über eine Symbiose will er aber ebenso wenig sein wie ein Themenfilm, der zeigt, wie schwer es ist für eine alleinerziehende, einsame Mutter, wenn der Sohn in die Pubertät kommt. Seine Macher taten gut daran, sich nicht auf das beliebte Wechselspiel zwischen Thriller und Drama einzulassen. Der Zuschauer wird nicht in Angst und Schrecken versetzt, sondern allein die Hauptfigur. Nie gibt der Film die Distanz zu dieser überforderten Übermutter und dem Geschehen auf. Während das Handeln des Sohnes aus Spannungsgründen teilweise im Dunkeln bleibt, hat der Zuschauer auf jene Katharina weitgehend freie Sicht. Ziemlich freihat man dadurch auch den Kopf, um sich ein Bild und seine eigenen Gedanken zu dieser von Seiten der Mutter seltsam übergriffigen Beziehung zu machen – und kann beispielsweise erkennen, wie der erwachsen werdende Sohn zur Projektionsfläche für ihre verdrängte Sexualität und ein auf Geilheit reduziertes Männerbild wird. Das ist nur einer der Subtexte, die in dieser Geschichte mitschwingen. Die psychologischen Muster und Motive, Mutterliebe, Pubertät, Einsamkeit, soziale Isolation, das Kind als Partnerersatz, gestörte Kommunikation, sind – wie häufig in guten Genrefilmen – der Realität abgelauscht. So entwickelt sich „Der Sohn“ zu einem subtilen Horrorfilm einer Mutter-Sohn-Beziehung, die mehr und mehr pathologische Züge annimmt. Das dramaturgisch besonders Faszinierende an diesem Film ist es, dass er ohne echte Identifikationsfiguren auskommt und trotzdem sehr gut funktioniert.
Der Film packt einen von der ersten Minute an, er ist spannend trotz (oder gerade wegen) seiner narrativen Reduktion und der Konzentration auf das Ringen der beiden Hauptfiguren. Auch wenn alles fast etwas zu perfekt semantisch aufeinander bezogen ist, jeder Dialog im Friseursalon, jede Szene der Heldin mit den Freundinnen, jede Nachtpartie des Jungen den dramaturgischen Sinn hat, ein Wassertropfen auf den Mühlen des Wahnsinns zu werden, so wird doch der Eindruck dieser typischen Genrefilm-Methoden durch die Intensität der dargestellten Beziehung und des Spiels, vor allem von Mina Tander, an den Rand gedrängt. Ob in Mystery-Movies wie „Geheimnisvolle Freundinnen“ oder „Nina sieht es…!“, ob im Arthaus-Drama („Das Hotelzimmer“) oder in einem beunruhigenden Genre-Mix („Du hast es versprochen“) – das Mehrgesichtige stand der 38-Jährigen schon immer sehr gut. Unmerklich verändert sich ihre Mimik, fallen die Gesichtszüge, zittern die Mundwinkel, wo sich gerade noch die Figur ihrer Schönheit versicherte oder dem Begehrtsein entgegenstrahlte. Trotz aller Ambivalenz ihres Käfigwesens gelingt es Tander, den Zuschauer mitzunehmen auf diese ebenso düstere wie spannende Reise in die Seele ihrer ungewöhnlichen „Heldin“.