Mobbing in der Schule – zunehmend auch unter dem Begriff „Bullying“ bekannt – ist ein gern gewähltes Thema für Geschichten über die Frustrations-Aggressions-Kette der menschlichen Psyche. So überrascht es wenig, dass einer der vier Beiträge zur ZDF Reihe „Stunde des Bösen“ ein ehemaliges Mobbing-Opfer im Erwachsenenalter auf seinen Peiniger treffen lässt. Zu Michaels (Christoph Tomanek) Erleichterung scheinen sich die Rollen im Laufe der Jahre umgekehrt zu haben, denn während er selbst mit Job, Partnerin und Eigenheim aufwarten kann, ist Niko (Felix Knopp) inzwischen obdachlos. Doch die neue Freundschaft zwischen den ehemaligen Erzfeinden fördert auch vergessen geglaubte Gefühle zutage. Ehe er sich versieht, ist Michael plötzlich wieder der kleine gedemütigte Jammerlappen von damals, dem jedoch endlich die Mittel und Wege zur Verfügung stehen, sich zur Wehr zu setzen.
Autor-Regisseur Jan Bolender stimmt sein Publikum mit einem spannungsvollen Intro auf seinen Film ein. Die flirrende Filmmusik von Jonas Gervink trägt zu einer Atmosphäre der Anspannung bei und die zum Teil verschwommenen Fragmente aus dem Tagebuch eines augenscheinlich verstörten Kindes deuten bereits eine dramatische Zuspitzung der Geschichte an. Nur das Voiceover Michaels, der im Laufe der Handlung immer wieder als Erzähler fungiert, mag schon hier nicht recht zum Konzept passen. Was vermutlich Introspektion und Identifikation mit dem Helden gewährleisten soll, wirkt aufgesetzt. Bis zuletzt erweisen sich die Kommentare aus dem Off als weitgehend überflüssig. Dem denkenden Zuschauer erschließen sich die psychologischen Zusammenhänge auch ohne Erklärungen.
Foto: ZDF / Boris Laewen
Bei der Entwicklung der Charaktere und ihrer Beziehung geht Jan Bolender alles andere als subtil vor. Schon nach wenigen Minuten lässt sich der Fort- und Ausgang der Geschichte erahnen. Einerseits könnte dies als souveräner Umgang mit Genre-Konventionen gewertet werden, andererseits droht die Vorhersehbarkeit den Spannungsbogen zu vereiteln. Zudem bleiben die Entwicklungen trotz ihrer inneren Logik unglaubwürdig. Die Zuspitzung von Michaels Situation, die sowohl auf beruflicher als auch auf privater Ebene stattfindet, wird von Bolender nur mangelhaft hergeleitet. Wenn beispielsweise die Freundin des Helden (Janna Striebeck) ausruft, sie könne so nicht weitermachen, bleibt für den Zuschauer die zugrunde liegende Not der Figur unklar. Auch Michaels fortschreitende Paranoia entwickelt sich kaum aus der Figur selbst, sondern wird ihr in Form lose verknüpfter Einzelstadien übergestülpt.
Erst gegen Ende wird die Psychose geschickt als narrativer Motor genutzt, der die Zweifel des Zuschauers schürt. Das Spiel mit Wahrnehmung und Realität bleibt jedoch in den Ansätzen stecken, da es Jan Bolender, Absolvent der Hamburg Media School, nicht gelingt, seinen Film eindeutig als die subjektive Sicht der Hauptfigur zu inszenieren. Die plötzlich auftauchenden Rückblicke und die Szenen, in denen sich Michael mittels seiner Tagebücher in die schmerzhafte Vergangenheit zurückversetzt, wirken zu gewollt und stellen zu offensichtlich den Versuch dar, Unheimlichkeit und Bedrohung zu konstruieren, verdeutlichen jedoch nicht die begrenzte Perspektive des Films. Zu spät ermöglicht Bolender dem Zuschauer die Erkenntnis, dass die Darstellung der Ereignisse maßgeblich durch die Projektion des Helden beeinflusst wird und verschenkt damit ein großes dramaturgisches Potenzial.
Die Intention des Filmemachers bleibt bei all dem deutlich sichtbar. Das Thema Erniedrigung zieht sich durch verschiedene Ebene des Films und beschränkt sich nicht auf das Verhältnis zwischen Michael und Niko. Auch Michaels Vorgesetzter ist – trotz komödiantischer Überzeichnung à la „Stromberg“ – eine Figur, die ihre Macht durch die Abwertung ihrer Unterlegenen demonstriert. Zunehmend bedient sich Michael in seinem passiv-aggressiven Kampf gegen Niko ebenfalls dieser Mechanismen. So glaubwürdig das Grundgerüst der psychologischen Kausalkette auch sein mag, so ungenügend wird es hier narrativ aufgefüllt. Die Filmhandlung bleibt trotz stimmiger Ansätze konstruiert und unglaubwürdig. So kann „Der Sieger in dir“ trotz der interessanten und vielversprechenden Ausgangskonstellation letztlich wenig Spannung, insbesondere wenig „Thrill“ generieren und stellt ein bedauerlich schwaches Finale für die prinzipiell lobenswerte ZDF-Reihe dar. (Text-Stand: 5.3.2014)