Drei Telefonate, wie man sie täglich führt. Ein bisschen Organisation, ein guter Rat, eine schnippische Bemerkung. Die Angerufenen sind kurz angebunden. Der Vater und seine beiden Kinder können nicht wissen, dass sie zum letzten Mal die Stimme der Mutter hören. Als Lars Langhoff am Abend seine Frau Sybille nicht im Haus vorfindet, es keinerlei Nachricht von ihr gibt, ahnt er Schlimmes: Sybille leidet seit Jahren unter Depressionen. Eine zeitversetzte E-Mail sorgt am nächsten Morgen für Gewissheit. Seine Frau wollte nicht mehr leben und sie wollte nicht gerettet werden. „Zuletzt hatte ich den Eindruck, dass es ihr besser geht“, tröstet sich der Ehemann und rechtfertigt sich zugleich. „Sie hat alles genau geplant; wir hatten keine Chance“, sagt er später allen, die sich Vorwürfe machen. Sybille, die als Anästhesistin gearbeitet hat, versteckte ihre Krankheit nach außen. Nur wenige wussten von ihrer Depression. „Wenigstens haben Sie einen Abschiedsbrief“, sagt man Lars bei der Polizei. „Da habe ich ja noch Glück gehabt“, murmelt er – und macht sich an die Vorbereitungen für die Beerdigung. „Bloß nicht herumsitzen und nachdenken.“ Erst als der Sarg im Grab liegt, seine Schwester ein Abschiedsgedicht vorliest, bricht es aus ihm heraus. Und er bricht zusammen.
Foto: WDR / Willi Weber
Johannes Fabrick über die Kunst, Emotionen zu spielen:
„Der schlechte Schauspieler versucht, möglichst emotional zu sein. Was dabei herauskommt, ist meist melodramatisch und kitschig… Dem echten Menschen kommen seine Gefühle meist in die Quere. Er will funktionieren und nicht emotional sein, doch in manchen Situationen scheitert er. Nicht er hat dann Gefühle, die Gefühle haben ihn. Genau so muss es Filmfiguren gehen.“
Alle 45 Minuten nimmt sich in Deutschland ein Mensch das Leben. „Der letzte schöne Tag“ erzählt davon, was dieser Schritt für die Hinterbliebenen bedeutet. Der Film zeigt einen Vater und seine beiden Kinder, einen sechsjährigen Sohn und eine zwölfjährige Tochter, wie sie die unmittelbaren Tage nach der Todesnachricht verbringen, wie sie in eine eigentümliche emotionale Gemengelage verfallen aus Trauer, Selbstvorwürfen, Ohnmacht, Einsamkeit und Wut. Vor allem der Vater sieht sich im Ausnahmezustand. Doch er muss Stärke zeigen. Er trägt nun für seine Kinder allein die Verantwortung. Bis zur Beerdigung hält er durch. Dann bricht er zusammen. Kurz, aber umso heftiger. Für Tochter Maike ein weiterer Grund zur Beunruhigung: Hatte nicht ihre Freundin gesagt, dass die Witwer, die am lautesten weinen, am schnellsten eine Neue haben? Und der kleine Piet hat nun doch den Grund für den Tod der Mutter auf unschönem Weg erfahren müssen. Jetzt ist Offenheit in der Familie gefragt.
Foto: WDR / Willi Weber
Autorin Dorothee Schön über die Dramaturgielosigkeit der Geschichte:
„Dieses Buch ist völlig anders entstanden als meine Drehbücher üblicherweise. Es gab kein Konzept, kein Treatment, keine geplante Dramaturgie. Ich habe mich hingesetzt und die erste Szene geschrieben und dann die nächste und irgendwann war das Buch fertig. Ursprünglich sollte die Geschichte das erste Jahr der Familie nach dem Tod der Mutter erzählen, aber schnell habe ich gespürt, dass die dafür notwendigen Zeitsprünge die Gefahr in sich bergen, dass ich ausweiche.“
Der Film von Johannes Fabrick, bekannt für seinen sensiblen Inszenierungsstil, nach dem Drehbuch von Grimme-Preisträgerin Dorothee Schön („Frau Böhm sagt Nein“) ist ein Fernsehereignis. Ein wahrhaftiger Film, der das Erzählte vom Ballast dramaturgischer Wendungen befreit, der davon lebt, dass er den erzählten Zeitrahmen klein hält und sehr genau hinschaut. Mit dem Nebeneffekt: Der Zuschauer kann sich nicht hinter Erzählmustern verstrecken, seine Gefühle werden nicht ästhetisch aufgefangen. Dieser Film geht nicht nur ans Herz, er geht tiefer, er dringt in die Seele, er holt ein im Alltag verdrängtes Thema an die Oberfläche. Der, der sich auf das Thema einlässt und diese Familie begleiten möchte, der geht quasi ein paar Schritte mit den Figuren mit. Er nimmt Anteil, fühlt sich ein in die Charaktere, die unterschiedlichen Gefühlslagen, überdenkt die eigene Sicht – und „reift“ im Idealfall.
Foto: WDR / Willi Weber
Bei der Autorin sowie dem Regisseur spürt man, dass dieser Film eine Herzensangelegenheit ist. Beide sind „Betroffene“, haben schmerzliche Erfahrung mit dem Thema gemacht. „Der letzte schöne Tag“ stimmt psychologisch bis ins kleinste Detail, da ist jeder Satz der richtige. Ein Beispiel: „Sie wird noch mal umgezogen – wieso?“, fragt die Tochter. „Damit sie hübsch aussieht im Sarg“, antwortet die Tante. „Wer schaut sie denn noch an?“ Ein kurzer Dialog-Wechsel, in dem Vieles mitschwingt: die Fixierung der Teenagertochter auf die Außen-Wahrnehmung, die sich bei ihr leise (!) durch den Film zieht; die eigene Unentschiedenheit, ob SIE die Mutter noch einmal sehen will; der pubertäre Trotz, der diese Figur bei allem Schmerz nie loslässt. Das muss man schreiben können. Das muss man aber auch spielen können. Das, was die Kinderdarsteller Matilda Merkel und Nick Julius Schuck in diesem Film leisten, ist unglaublich (und man kann nur hoffen, dass Fabrick, wie er im Presseheft betont, deren „seelisches Wohlbefinden“ stets im Blick hatte). Auch Wotan Wilke Möhring zeigt nach „Homevideo“, „Der Brand“ oder „Bella Block: Vorsehung“ einmal mehr, dass er zu den Besten hierzulande gehört. Gelohnt hat es sich außerdem, die Selbstmörderin prominent mit Julia Koschitz zu besetzen. Ihr gleichmäßiges, auf „leer“ geschminktes Gesicht ist das perfekte Konnotationsfeld (zu jung zum Sterben, schön, leichenblass, kalt, Depression, Fremdheit etc.) für diese Geschichte. Eine Geschichte, die einmal erzählt werden musste. Mit einem Film, der dem Zuschauer reichlich Projektionsfläche für die eigenen Erfahrungen mit Suizid, Tod und Verlust liefert. Es darf mitgeweint (aber auch mitgedacht) werden… (Text-Stand: 30.12.2011)