Der Kommissar und das Meer – Nachtgespenster

Walter Sittler, Joel Lützow, Harald Göckeritz, Thomas Roth. Winter auf Gotland

Foto: ZDF / Stephan Rabold
Foto Tilmann P. Gangloff

Weil Drogenhandel oder Organisierte Kriminalität auf Gotland keine große Rolle spielen, handeln die Krimis aus der ZDF-Reihe „Der Kommissar und das Meer“ (Network Movie) gern von Familiendramen. In „Nachtgespenster“ dient die Ermordung eines vermögenden Software-Entwicklers als Anlass, um sich auf verschiedenen Ebenen mit Konflikten zwischen Alt und Jung zu befassen. Interessanter als die Geschichte ist die Umsetzung durch Thomas Roth und seinen Kameramann Arthur W. Ahrweiler. Die Winterbilder sind sehr eindrucksvoll. Geschickt sind auch die Rückblenden integriert. Gelungen ist zudem die Synchronisierung, was in diesem Fall besonders wichtig ist, weil der von Walter Sittler wie stets sehr entspannt verkörperte Kommissar viele Gespräche mit einem vom Schweden Joel Lützow gespielten jungen Mann führt, der überzeugt ist, er habe das Opfer auf dem Gewissen.

TV-Krimis sind üblicherweise sehr dialoglastig. Das liegt nicht zuletzt in der Natur des Genres, denn die Fernsehkommissare lösen ihre Fälle in der Regel, indem sie Zeugen und Verdächtige befragen. Deshalb sind sich diese Filme auch oft so ähnlich: Viele Regisseure vertrauen vor allem der Originalität der Handlung, der Kraft der Dialoge und ihrer Arbeit mit den Schauspielern. Die Bildgestaltung dient dann meist nur dazu, die Geschichte zu erzählen. Fernsehen ist ohnehin in erster Linie ein Wortmedium, das selbst dann funktionieren soll, wenn Menschen zwar zuhören, aber zwischendurch auch mal wegschauen. Das wäre in diesem Fall schade, weil Arthur W. Ahrweiler hierzulande zu den besten Bildgestaltern zählt. Davon profitieren vor allem die Regisseure Niki Stein und Thomas Roth: Wenn er nicht gerade für den einen dreht, dann garantiert mit dem anderen. Mit Stein hat Ahrweiler seit 1998 rund dreißig Mal zusammengearbeitet, mit Roth in den letzten neun Jahren rund ein dutzend Mal. Neben einigen „Kommissar Dupin“-Beiträgen haben sich die beiden gerade bei „Der Kommissar und das Meer“ als kongeniales Team erwiesen; „Nachtgespenster“, die 26. Episode, ist seit 2011 bereits ihre siebte gemeinsame Arbeit für die Reihe.

Der Kommissar und das Meer – NachtgespensterFoto: ZDF / Stephan Rabold
Winter auf Gotland: Hat Luna (Frida Gustavsson) auf der Party etwas gesehen? „Der Kommissar und das Meer – Nachtgespenster“

Tatsächlich ist die Bildgestaltung einer der Hauptgründe, den Film zu empfehlen, denn die Geschichte ist eher überschaubar und wieder mal eher Drama als Krimi, wie bereits der Arbeitstitel „Familiengeheimnisse“ nahelegt: Nach einer wilden Party ist der ebenso vermögende wie selbstgefällige Software-Entwickler Löfgren (Thomas Hanzon) erschlagen worden und dann im eigenen Pool ertrunken. Den Hauptverdächtigen präsentiert der Film bereits mit den ersten Bildern, als der junge Peer Sunberg (Joel Lützow) in Löfgrens Haus mit fettem Kater und kräftigem Filmriss erwacht. Nach und nach tauchen zwar Erinnerungen an die letzte Nacht auf, aber immer nur bruchstückhaft. Trotzdem entwickelt Peer aus diesen Bilderfetzen, die überwiegend aus Handgreiflichkeiten zwischen ihm und Löfgren bestehen, schließlich die Überzeugung, dass er den Gastgeber aus Eifersucht umgebracht hat, nachdem er ihn beim Sex mit seiner Freundin Luna (Frida Gustavsson) erwischt hat.

Der Handlungsrahmen entspricht dem üblichen Schema: Kommissar Robert Anders (Walter Sittler) befragt die jungen Partygäste, die Löfgren wie einen Guru verehrt haben, und spricht auch mit Peers Eltern (Mats Långbacka, Pia Halvorsen). Der Junge hatte ein besonders enges Verhältnis zu dem deutlich älteren Mann, der eine Art Ersatzvater für ihn war. Die Beziehung zu seinem Erzeuger ist dagegen angespannt; der Arbeitstitel bezieht sich in erster Linie auf Familie Sunberg. Das ist zwar alles ganz interessant, aber nicht weiter aufregend, zumal Roth den Film mit der für die Reihe typischen Gelassenheit inszeniert. Dafür steht auch die Hauptfigur. Wenn Anders überhaupt mal aus der Haut fährt, dann wegen seiner Familie: Er glaubt, dass sein älterer Sohn Niklas (Sven Gielnik) den gerade mal 14 Jahre jungen Kasper (Grim Lohman) zum Konsum von Marihuana verführt hat. Das Thema Väter und Söhne zieht sich ohnehin wie ein roter Faden durch die Geschichte.

Die Ausstrahlung Walter Sittlers ist sicherlich das wichtigste Erfolgsgeheimnis von „Der Kommissar und das Meer“, aber dann kommt auch schon der Schauplatz. Gotland ist zu jeder Jahreszeit reizvoll, doch die optisch reizvollsten Episoden spielten stets im Winter. Das gilt auch für „Nachtgespenster“: Wenn sich Peer und Luna beim Spaziergang in tief verschneiter Landschaft aussprechen, sind die Bilder abgesehen von den blonden Haaren der jungen Frau fast schwarzweiß. Auch Anders geht bei seinem ersten Gespräch mit Peer nach draußen, damit die Eltern nicht zuhören können. Diesmal ist alles grau: das steinige Ufer, das Meer, der Himmel. Den einzig prägnanten Farbtupfer bescheren die Auftaktbilder, als Peer eine rote Blutwolke durchs Wasser treiben sieht: Löfgrens Pool befindet sich in einem oberen Stockwerk, sodass man eine Etage tiefer ins Wasser schauen kann.

Der Kommissar und das Meer – NachtgespensterFoto: ZDF / Stephan Rabold
Die winterliche Atmosphäre ist die halbe Miete des atmosphärisch inszenierten Krimis. Robert Anders (Walter Sittler)

Über die stellenweise faszinierende Bildgestaltung hinaus haben Roth und Harald Göckeritz („Grüße aus Kaschmir“) in seinem sechsten Drehbuch für die Reihe einen interessanten Weg gefunden, die Vorgeschichte zu integrieren. Neben Peers Erinnerungsfetzen ersetzen Smartphone-Videos von der Party und weiteren Auftritten Löfgrens die in solchen Fällen sonst üblichen Rückblenden. Eine Nebenebene mit der Schwester des Opfers ist allerdings ein früh durchschaubares Ablenkungsmanöver: Die Frau und ihr Mann haben sich beim Bruder eine stattliche Summe für einen Hauskauf geliehen. Nach einer ätzenden Hochzeitsrede Löfgrens ist es zum Streit gekommen, er wollte sein Geld zurück; das hat sich jetzt erledigt, denn die Schwester ist Alleinerbin. Das Video von der Hochzeit ist ein weiterer Rückblendenersatz. Wie eine Marotte, aber nicht uninteressant ist dagegen die Idee, Fragen ständig unbeantwortet im Raum stehen zu lassen, weil stets ein Schnitt erfolgt, bevor die Antwort erklingt. Ziemlich clever ist zum Teil auch die Einbettung der Erinnerungen, in denen Peer immer zorniger wird: In einer geschickt choreografierten, fast übergangslos montierten Szene setzen Peer und Luna gemeinsam eine Bewegung fort, die Peer beim Handgemenge mit Löfgren vollzogen hat.

Da „Der Kommissar und das Meer“ schon seit einiger Zeit ohne deutsche Episodendarsteller auskommt, müssen sich die Schweden wegen des nötigen Wiedererkennungseffekts durch eine gewisse Markanz auszeichnen; das gelingt in „Nachtgespenster“ vor allem dank ihrer diversen Haar- und Barttrachten. Von größerer Bedeutung ist allerdings die Synchronisierung, die hier teilweise vorzüglich ist. Schauspieler klingen bei ihrer Dialogwiedergabe ohnehin meist nicht wie das wirkliche Leben, aber der Sprechhabitus von Synchronschauspielern wirkt erst recht künstlich; deshalb ergeben sich bei Produktionen, die im Ausland entstanden sind, oft Dissonanzen. Bei den Gesprächen zwischen Anders und Peer ist davon jedoch nichts zu hören, obwohl Joel Lützow seinem Namen zum Trotz Schwede ist; seine deutsche Stimme hat er Robert Knorr zu verdanken. (Text-Stand: 5.12.2019)

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Reihe

ZDF

Mit Walter Sittler, Joel Lützow, Andy Gätjen, Inger Nilsson, Mats Långbacka, Pia Halvorsen, Thomas Hanzon, Frida Gustavsson, Grim Lohman, Sven Gielnik, Duncan Green

Kamera: Arthur W. Ahrweiler

Szenenbild: Andreas Rudolph

Kostüm: Helmut Ignaz Mexer

Schnitt: Birgit Gasser

Musik: Johannes Brandt

Soundtrack: Prince („Let’s Go Crazy“), Johann Sebastian Bach („Präludium und Fuge in G-Dur”), The Travelling Wilburys („Handle With Care”)

Redaktion: Wolfgang Feindt

Produktionsfirma: Network Movie

Produktion: Jutta Lieck-Klenke

Drehbuch: Harald Göckeritz

Regie: Thomas Roth

EA: 28.12.2019 20:15 Uhr | ZDF

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