„Mein Blut ist sauber, ich bin clean. Keine Ahnung, was der Doktor jetzt noch will.“ Der trockene Alkoholiker Fredo Schulz (Armin Rohde) ist guter Dinge. Was hat der nicht alles durchgestanden die letzten zwanzig Jahre. Die Todesschüsse gegen seinen jungen Kollegen und zweimal selbst dem Tod von der Schippe gesprungen. Und jetzt dieser Befund: Darmkrebs in fortgeschrittenem Stadium. Der Arzt gibt ihm ohne Chemotherapie noch drei Monate. „Tun Sie alles, was Ihnen Spaß macht“, empfiehlt er Schulz, der sich nicht behandeln lassen will. Und was macht der? Er stürzt sich auf das, was er am besten kann: Verbrecher jagen… Ein Sicherheitsmann ist ermordet worden. Eine Warnung für Clan-Oberhaupt Samir Berri (Husam Chadat), der sich mit Pizzerien und Immobilien einen seriösen Anstrich gibt; diese Nebengeschäfte aber nur zur Geldwäsche betreibt. Als der Mörder des Wachmanns, der kaltblütige Marvin Sikora (Sascha Reimann), auch Berri tötet, unterschreibt er damit sein eigenes Todesurteil. Zeuge des Mordes an Berri ist dessen Tochter Mona (Sabrina Amali) und Demba Diarra (Farba Dieng), ein drogenabhängiger Kleinkrimineller: Er taucht unter, sie schweigt. In diesen Kreisen nimmt man solche Sachen lieber selbst in die Hand.
Ob der Himmel wirklich warten kann? Die medizinische Diagnose in „Heaven can wait“, der vierten Episode der ZDF/Arte-Reihe „Der gute Bulle“, jedenfalls ist eindeutig. Retten kann den zum Tode geweihten Berliner Hauptkommissar wohl nur noch Gott. Die Machtbefugnisse des Einzelnen halten sich auch in den weniger sakralen Interaktionen in Grenzen. In dieser Welt der Gangster regiert allein das Gesetz der Straße: Gewalt, die mit Gegengewalt beantwortet wird. Probleme löst man mit dem intuitiven Griff zur Knarre. Ein Mord wird für den Täter eher zu einem ästhetischen Malheur als zu einem moralischen Konflikt. Das ruchlose Milieu färbt entsprechend auf das Ermitteln ab. Lars Becker ist kein Freund klassischer Whodunits. Der Zuschauer ist bei ihm im Bilde, sieht, wer wen „ausschaltet“. Auch Fredo Schulz kennt seine Pappenheimer, doch obwohl sie ihm intellektuell häufig unterlegen sind – sie dranzukriegen ist ein harter Job. Du musst dich wie ein Straßenköter reinwühlen in den Dreck. „Als Bulle hast du nie Pause“ ist eine Erkenntnis der Titelfigur, sonst wären die Gangster im Vorteil. Durch den Krebs wird die Obsession, ein guter Bulle sein zu wollen, noch verstärkt durch eine unwirsche Dringlichkeit. So geht er die Hinterbliebenen der Opfer wie Schwerverbrecher an. Klar, Schulz bleibt nicht viel Zeit.
Soundtrack: Incognito („Lowdown“), Small Faces („Lazy Sunday“), Black Thought & Danger Mouse („Because“), Maurice Williams & the Zodiacs („Stay“), Robby Krieger & The Robert Cray Band („Fine Yesterday“)
Es ist dieser menschliche Faktor, der den besonderen Reiz der Geschichte ausmacht. Die Verzweiflung eines Mannes, der am Zustand dieser Welt nur sehr bedingt etwas ändern kann – und mehr noch: der erkennen muss, dass endlos allein das Verbrechen ist, das eigene Leben nicht. Zu dieser Erkenntnis passt die ungewöhnliche Innensicht, die Becker in Form ausgesprochener Gedanken anwendet. „Was, wenn das Labor die Werte vertauscht hat“, hält sich der Krebskranke an einem letzten Strohhalm fest, während er sich mit Whisky, Weib (Anica Dobra) und Gesang (Small Faces: „Lazy Sunday“) zu therapieren versucht. „Die Brüder sind auf mich angesetzt. Sie sind dumm, aber haben keine Angst, und meine Knarre liegt im Kofferraum“, analysiert Berri, dem sein letztes Stündlein geschlagen hat. Dass es kein Entkommen gibt aus dieser Welt der gnadenlosen Rituale, in dem der Kodex alles und ein Menschenleben nichts ist, bringen die Gedanken von Berris Tochter auf den Punkt: „Gibst du ihm ein Alibi und er kommt raus, dann ist er so gut wie tot. Entweder die anderen legen ihn um oder meine Familie.“ Wie das System funktioniert, kennt man aus Polizei- und Gangsterfilmen. Wie diese Welt in diesem vergleichsweise kleinen, unaufwändigen Viel-Straße-viel-Nacht-viel-Atmosphäre-TV-Movie aufbereitet wird, dürfte Genre-Fans, die zwischenmenschliche Subtexte mögen, dennoch bis zur letzten Minute fesseln. Und auch wenn in „Heaven can wait“ mitunter viel geredet wird, so ist das Gesagte oft viel weniger wichtig als der Akt der Kommunikation. Sprache hat hier etwas Physisches (Rohdes Schulz ist in seinem Redefluss kaum zu bremsen) und Mit-sich-selbst-Reden etwas Verzweifeltes.
Mag der tragische Held auch dauerhaft unter Stress, Strom und Schmerzmitteln stehen, so ist Beckers Film doch ein angenehm entspannter Milieu-Krimi ohne aufgesetzte äußere Handlungsmomente, der emotional getragen wird von Armin Rohdes angeschlagenem Instinktbullen. Sabin Tambrea, Johann von Bülow und Nele Kniper sind als Kollegen in Zeiten zerbröselnder Reihen-Ensembles ein gutes Team, auf das man gut längerfristig bauen könnte, so denn der Drehbuch-Gott ein Einsehen mit dem guten Bullen haben sollte. Eine Bereicherung ist auch Anica Dobra als Mutter von Schulzes erschossenem Partner; dass sie Kneipenwirtin ist, passt zum Motiv des trockenen Alkoholikers. Auch dem kriminellen Milieu hat Becker markante Gesichter gegeben, allen voran Sabrina Amali („4 Blocks“, „Harter Brocken – Das Überlebenstraining“), Husam Chadat (zwei „Passau-Krimis“) oder Farba Dieng („Toubab“) als naiver Kleinkrimineller, der sich für unverwundbar hält. Leichen pflastern den Weg von Fredo Schulz. Dass sich an diesem tödlichen Prinzip etwas ändern wird, die Clan-Kriege ein Ende finden, steht nicht in seiner Macht und der seiner möglichen Nachfolger. Den Kreislauf aus Rache und Vergeltung kann nur vom System selbst unterbrochen werden. Eine Figur könnte es schaffen. (Text-Stand: 11.1.2024)