Arben, der mit seiner Familie auf einem Bauernhof irgendwo in den Bergen Albaniens lebt, und Etleva, eine hübsche junge Frau aus der Nachbarschaft, sind verliebt. Sie müssen sich in diesem noch von traditionellen Bräuchen geprägten Land heimlich treffen. Auch als Etleva schwanger wird, kann es für das Paar nur eine Zukunft geben: Wenn Arben Geld auftreibt. Zuviel Geld, um es in Albanien verdienen zu können. Zeit hat er nur wenig, denn die Braut muss geheiratet werden, bevor das Kind da ist. Arben reist ohne Visum nach Deutschland ein – ein illegaler Habenichts in einem fremden Land, der bereit ist, jede Arbeit anzunehmen.
Albanien? Das war in Zeiten des Kalten Krieges das Land in Europa, das am weitesten entfernt schien. Stalinistisch regiert und abgeschottet. Auch heute ist die Distanz kaum geringer geworden. Albanien ist immer noch „terra incognita“. So nimmt Johannes Nabers erster „abendfüllender“ fiktionaler Spielfilm schon durch seine sorgfältige Einführung ein. Naber fächert nach und nach die Landschaft und die Gesellschaft auf, den Grenzposten zu Griechenland, den Bauernhof von Arbens Familie, die Berge und Felder, die löchrigen Schotterpisten in die Stadt. Eine ruhige Kamera fängt dieses fremde Land in warmen Farben ein – kein Klischee weit und breit, die Bilder wirken weder romantisierend noch betont abschreckend. Und die Schauspieler sind in ihrer Muttersprache zu hören, was den Eindruck der Realitätsnähe verstärkt. Völlig richtig, hier dem Publikum einmal Untertitel zuzumuten.
Foto: SWR / Jörg Oschmann
Naber hat Dokumentarfilm studiert. Man spürt diese Handschrift, ohne dass das dramatische Potenzial vernachlässigt würde. Er behält konsequent die Perspektive Arbens bei, auch als der in Deutschland ankommt. Die Umstände seiner Reise dorthin werden nicht erzählt. Das Schlepper-Geschäft wird allerdings thematisiert, als Arben in Berlin selbst die Gelegenheit wahrnimmt, um schnelles Geld bei einem Menschenhändler zu verdienen. Der Illegale nutzt die Hoffnungen anderer Illegaler aus, um seinen eigenen Traum verwirklichen zu können. Der Mensch in Not wird des Menschen Feind, doch die moralischen Dimensionen ergeben sich aus der Erzählung, nicht aus Dialogen oder Kamerafahrten. Als Zuschauer wünscht man dem sympathischen Arben Glück – und wird so in das moralische Dilemma hineingezogen.
Differenziert und klug wird das „unsichtbare“ Leben eines Illegalen in Deutschland erzählt, die Suche nach einem Unterschlupf, das möglichst unauffällige Verhalten auf der Straße, die schwierige Arbeitssuche. Und obwohl Arben beinahe zwangsläufig in ein kriminelles Milieu gerät, hat dieser Film so gar nichts von der üblichen Fernseh(krimi)-Ästhetik und -Erzählweise. Nicht nur, weil weder Polizei noch Ausländerbehörden in Erscheinung treten. Es schwingt kein belehrender Unterton mit, nüchtern wird Arbens Überlebenskampf erzählt. Deutschland von unten, mit den Augen eines Fremden betrachtet. Schutthalden vor Glaspalästen, Schlafstellen in Häuserruinen, Arbeit für einen Hungerlohn auf dem Bau.
Und Humor, aber es ist eine bittere Art von Humor. Etwa wenn Arben wohl mehr aus Versehen und aus Sehnsucht bei einem TV-Shoppingkanal Baby-Zubehör kauft. Oder wenn er im Internetcafé mit der Technik kämpft, um mit seinem Bruder Ilir in der Heimat zu telefonieren. Ilir wird noch eine unglückselige Rolle spielen, weil er selbst Träume und Sehnsüchte hat. Auch Albanien ist in der heutigen Zeit näher als man denkt, doch zu weit entfernt für ein Happy End. Arben geht bis zum Äußersten, um sein Ziel zu verwirklichen. Und am Ende kehrt der Film in einem auch dramaturgisch konsequenten Bogen nach Albanien zurück. Johannes Naber erzählt hier in einem kleinen Meisterwerk eine große menschliche Tragödie. Nicht zu vergessen: Der albanische Hauptdarsteller Nik Xhelilaj trägt diesen Film, wie es scheint, mühelos – ein Mann mit Star-Potenzial. (Text-Stand: 1.6.2013)