Dengler – Die letzte Flucht

Zehrfeld, Minichmayr, Stötzner, Lars Kraume. Mit Köpfchen und Körpereinsatz

Foto: ZDF / Julia von Vietinghoff
Foto Rainer Tittelbach

Politthriller im Fernsehen sind selten. Klug gemachte, in denen gesellschaftliche Relevanz weder bloßer Vorwand ist, noch aufgesetzt und beliebig wirkt, sind geradezu eine Rarität. „Dengler – Die letzte Flucht“ gelingt das Kunststück, das Spannungsräderwerk eines Genrefilms mit einem (zeitversetzten) Pharma-kritischen Kammerspiel-Diskurs aufzuladen. Man spürt die Stärke von Schorlaus Vorlage, aus der Grimme-Preisträger Lars Kraume einen Hochspannungsfernsehfilm kreiert hat. Ronald Zehrfeld macht da weiter, wo er in Grafs „Das unsichtbare Mädchen“ aufgehört hat. Und auch Minichmayr ist immer ein Erlebnis!

Ein Ex-Zielfahnder des BKA & die Pharma-Mafia
„Niemand kann sich gegen das System stellen, Dengler“, bekommt der ehemalige BKA-Zielfahnder von oberster Stelle zu hören. Er versucht es trotzdem. Diesen Mann der (guten) Tat hält nichts auf und aus der Ruhe lässt er sich auch nicht bringen. Gerade erst ist er nach Stuttgart umgezogen, um die (Nicht-)Beziehung zu seinem fast erwachsenen Sohn zu retten, da wird er, der ja nichts anderes gelernt hat, als Menschen zu jagen, nach Berlin gerufen: In seinem ersten Fall als Privatdetektiv soll er einem Anwalt bei dessen Verteidigung eines renommierten Krebsforschers ermittelnd unter die Arme greifen. Der Familienvater soll eine junge Frau vergewaltigt haben. Die Beweislage ist erdrückend. Dengler, der unredliche Machenschaften wittert, hat sich gedanklich schon von dem Fall verabschiedet, als plötzlich jener mutmaßliche Vergewaltiger sich aus dem Polizeigewahrsam befreit. Der Privatermittler verfolgt und stellt ihn. Da er aber dem Wissenschaftler seine Vorschwörungsgeschichte von der Pharma-Mafia abnimmt, die ihn offenbar wegen einer Studie über ein unwirksames Krebsmedikament mundtot machen will, liefert Dengler ihn nicht aus, sondern flüchtet mit ihm vor der Polizei durch den Berliner Asphaltdschungel. Dabei stößt er auf eine alte Bekannte: die bestens vernetzte Hackerin Olga. Beim BKA war Dengler einst ihr Zielfahnder.

Pluspunkte für zwei Profis: Dengler & Zehrfeld
„Sie sind krank, Sie brauchen einen Arzt.“ Diesen Rat gibt man diesem „Komplott-Experten“ mehrfach in dem ZDF-Politthriller „Dengler – Die letzte Flucht“. Der Film von Grimme-Preisträger Lars Kraume (beteiligt an allen „Tatort“-Episoden mit Król/Kunzendorf) nach dem gleichnamigen Roman von Wolfgang Schorlau lebt zunächst von diesem faszinierenden Charakter. Dengler ist einer, der sich gern zwei Mal bitten lässt und der trotzdem notfalls am Ende nein sagt. Ein Mann mit Prinzipien und Haltung. „Er leidet an der Kluft zwischen dem Zustand der Welt, wie sie ist, und der Welt, wie er sie gern hätte“, sagt sein Erfinder, der ihn bereits in acht Romanen zum Leben erweckt hat. Ronald Zehrfeld spielt diesen unaufgeregt Aufrechten als einen, der handelt, physisch, schnell und intuitiv richtig. Dieser Dengler schließt an Zehrfelds Alleingänge liebenden Bullen aus Dominik Grafs „Das unsichtbare Mädchen“ an und er geht noch einen Schritt weiter: raus aus dem korrupten System – und es mit seinen eigenen Mitteln bekämpfen! Und so ist der Profi, ob in Funktionsgebäuden, auf den Straßen oder im Untergrund, immer einen Schritt schneller als die Polizei. Ein Ausnahmetalent ist auch Zehrfeld. „Er ist einer der ganz wenigen Männer, mit denen man in Deutschland physische Action drehen kann, und dem man trotzdem glaubt, wenn er über komplexere Themen spricht“, bringt es Regisseur Kraume sehr treffend auf den Punkt. Und er ist einer, der bei Zuschauerinnen und Zuschauern gleichermaßen gut ankommen dürfte: für Männer ist er der Kumpel, ehrlich und direkt, für Frauen ist er „jemand, den man sich an seiner Seite wünscht, wenn man in eine aussichtlose Lage gerät“, so die ZDF-Redakteurin Elke Müller.

Dengler – Die letzte FluchtFoto: ZDF / Julia von Vietinghoff
Bewegung ist doch nicht alles in „Dengler – Die letzte Flucht“. Der entführte Pharma-Manager packt aus: „Wir verkaufen Hoffnung.“ Schorlau: „In die Anworten auf die Fragen seiner Bewacher sind wortliche Zitate zweier Interviews eingeflossen, die ich mit Managern großer Pharmakonzerne geführt habe.“ Durch die Spannungs-Situation bekommen die Sätze nie Statement-Charakter. Stefan Kurt und Birgit Minichmayr

„Dengler ist in anderen Romanen mit den Machenschaften von Wasser-Privatisierern konfrontiert, legt Zweifel über die Hintergründe des Münchner-Oktoberfest-Attentats offen, recherchiert über Experimente von Waffenindustrie und Militär in Krisengebieten und muss sich mit der Lynchjustiz an alliierten Soldaten und anderen ‚heißen Eisen’ beschäftigen.“ (Produzent Raoul Reinert, Cuckoo Clock Entertainment)

Soundtrack: Jonas Kaufmann („La donna e mobile“), Sido („Wahlkampf“), Muddy Waters („Rollin‘ And Tumblin'“)

„Schorlau und Kraume verzichten auf einen sympathischen Seriendetektiv, der die Zuschauer an die Hand nimmt und ihnen moralische Orientierung gibt. Und Dengler will die Welt nicht erklären durch endloses Geschwafel oder belehrende Exkurse, aber je länger man ihm folgt, desto mehr versteht man ihn.“ (Produzent Oliver Vogel, Bavaria Fernsehproduktion)

Atemloser Erzählrhythmus & Kammerspiel-Exkurs
„Die Firma kauft jeden zweiten Arzt… Wir geben das Geld und lassen die Wissenschaftler wissen, wie wir uns das Ergebnis einer Studie vorstellen.“ Was in einem Nebenplot, der sich im Verlauf des Films als Vor-Blende entpuppt, über die Praktiken der Pharmaindustrie zur Sprache kommt, nennt Romanautor Schorlau im Gegensatz zu dem dramaturgieorientierten Spannungshandwerk „innere Spannung“; also all das, was eng mit der Reflektion politischer und gesellschaftlicher Prozesse zusammenhängt. Dieses, Schorlaus Markenzeichen reduziert und visualisiert Kraume wahrnehmungspsychologisch sehr geschickt zu einer Kammerspiel-Situation in einem kalten, fensterlosen Raum, vornehmlich verbal, als eine „Beichte“, die einem entführten Pharmamanager abgenötigt wird. Die Kamera läuft; der Mann spricht offensichtlich die Wahrheit. Die Fragenstellerin ist bestens informiert. Durch die anfängliche Ungewissheit, wohin diese Geiselnahme führen wird, gelingt es Kraume und seinen vorzüglichen Schauspielern Birgit Minichmayr und Stefan Kurt, den pur vorgetragenen Pharma-kritischen Statements nicht vornehmlich Botschaftscharakter zu geben, sondern sie durch die emotionale Ausnahmesituation gleichsam mit Drama & Thrill aufzuladen. Diese Verhör-Geständnis-Situation funktioniert als diskursiver Kontrapunkt zum actionreichen Mittelteil des Hauptplots mit seinem atemlosen Erzählrhythmus und mit rasanten Verfolgungsjagden, wie man sie wohl so noch in keinem deutschen TV-Polizeifilm gesehen hat. Im Verlauf der Handlung erweist sich dieser Pharma-kritische Exkurs dann als des Pudels Kern für den Krebsforscher-Komplott. Politthriller im Fernsehen sind selten. Klug gemachte, in denen gesellschaftliche Relevanz weder bloßer Vorwand ist, noch aufgesetzt und beliebig wirkt, sind geradezu eine Rarität. „Dengler – Die letzte Flucht“ setzt in diesem Genre eine ganz starke (Duft-)Marke. Gut, dass Lars Kraume bereits am zweiten Drehbuch schreibt.

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Reihe

ZDF

Mit Ronald Zehrfeld, Birgit Minichmayr, Ernst Stötzner, Jenny Schily, Stefan Kurt, André Szymanski, Rainer Bock, Daniel Krauss, Jannis Niewöhner, Falk Rockstroh, Cornelia Gröschel, Aykut Kayacik

Kamera: Jens Harant

Szenenbild: Olaf Schiefner

Schnitt: Barbara Gies

Musik: Christoph Kaiser, Julian Maas

Produktionsfirma: Bavaria Fiction, Cuckoo Clock Entertainment

Produktion: Raoul Reinert, Oliver Vogel

Drehbuch: Lars Kraume – nach dem Roman von Wolfgang Schorlau

Regie: Lars Kraume

Quote: 5,84 Mio. Zuschauer (18,5% MA)

EA: 20.04.2015 08:00 Uhr | ZDF

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