Dead End

Antje Traue, Michael Gwisdek, Christopher Schier. Für ZDFneo reichlich mutlos

Foto: ZDF / Carolin Ubl
Foto Tilmann P. Gangloff

Antje Traue und Michael Gwisdek, das kühle Glanzlicht aus dem historischen Sat-1-Krimi „Mordkommission Berlin 1“ und der Vollblutkomödiant: Die Kombination weckt Erwartungen, denen die Serie „Dead End“ (ZDF neo / Real Film) leider nicht gerecht wird. Dabei ist die Grundidee reizvoll: Irgendwo in Brandenburg sucht ein Leichenbeschauer gemeinsam mit seiner in den USA zur Forensikerin ausgebildeten Tochter Emma nach Erklärungen für unnatürliche Todesfälle. Manchmal ist es Mord, manchmal nicht. Hin und wieder kommt ein wenig Spannung auf, aber über weite Strecken hat Christopher Schier die Drehbücher sehr unaufgeregt umgesetzt; daran ändert auch die düstere Bildgestaltung nichts. Für ein bisschen Nervenkitzel sorgt immerhin Emmas amerikanischer Freund, aber als diese horizontal erzählte Ebene richtig interessant zu werden verspricht, ist die Serie zu Ende.

Rechtsmediziner sind im deutschen Fernsehen zumeist etwas kauzige Figuren, die sich gern durch schwarzen Humor auszeichnen. Populärster Vertreter seines Fachs ist der ebenso blasierte wie brillante „Tatort“-Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) aus Münster. Die meisten Zuschauer werden zwar wissen, dass ein TV-Krimi nur bedingt die Realität wiedergibt, aber dennoch dürfte Boerne das öffentliche Bild dieses Berufsstands nachhaltig geprägt haben. Für die amerikanische Variante stehen die Serienfiguren aus „CSI“ oder „Criminal Minds“. Im Gegensatz zu den deutschen Kollegen sind sie hochrangige Kriminalermittler mit naturwissenschaftlicher Ausbildung, wie Michael Tsokos in seinem Buch „Sind Tote immer leichenblass?“ beschreibt. An den meisten deutschen Produktionen lässt der Leiter des Instituts für Rechtsmedizin an der Berliner Charité kein gutes Haar, aber an „Dead End“ hätte er vielleicht seine Freude, denn die Hauptfigur der Neo-Serie, Emma Kugel (Antje Traue), ist in den USA zur Forensikerin ausgebildet worden. Damit ist sie für die brandenburgische Provinz natürlich völlig überqualifiziert. Trotzdem ist sie heimgekehrt: Sie fürchtet, dass ihr alter Vater (Michael Gwisdek), Leichenbeschauer in Mittenwalde, unter einer beginnenden Demenz leidet und den Herausforderungen seiner Arbeit nicht mehr gewachsen ist. Tatsächlich stellt sie gleich zu Beginn mit einem Blick fest, dass ein in einer Scheune verbrannter Obdachloser bereits tot gewesen sein muss, als das Feuer ausgebrochen ist. Die beschauliche Gegend ist offenbar ohnehin ein Tummelplatz für mysteriöse Todesfälle, denn auch die Leichen in den weiteren fünf Folgen geben Rätsel auf.

Info: Pathologen und Rechtsmediziner
Aus unerfindlichen Gründen werden Rechtsmediziner im deutschen Fernsehen hartnäckig als Pathologen bezeichnet; selbst im „Tatort“ aus Münster. Diese beiden Berufsbilder, schreibt Michael Tsokos, Leiter des Instituts für Rechtsmedizin an der Berliner Charité, in seinem Buch „Sind Tote immer leichenblass?“ (Droemer-Verlag), verbinde einzig und allein das Medizinstudium. Pathologen untersuchten mikroskopische Gewebe-Proben, um beispielsweise festzustellen, ob ein Tumor gut- oder bösartig sei. Niemand, versichert er, rufe sie an einen Tatort oder wolle von ihnen wissen, ob es sich bei einem Knochenfund um menschliches oder tierisches Gebein handele; auch gerichtliche Obduktionen oblägen ausschließlich den Rechtsmedizinern.

Dead EndFoto: ZDF / Carolin Ubl
Seltsamer Zeitgenosse, übertriebenes Spiel. Bürgermeister Herbst (Fabian Busch) und Emma (Antje Traue) vorm Altenheim.

Das ZDF hat „Dead End“ in seiner Drehstartmeldung als „skurril-düstere Krimiserie“ bezeichnet. Das ist nicht gänzlich falsch, weckt aber womöglich die falschen Erwartungen. Düster ist vor allem die Anmutung, weil sich viele Szenen in einer Art Dämmerlicht abspielen; die Farben sind grundsätzlich fahl, sodass selbst bei den sonnigen Außenaufnahmen keine Fröhlichkeit aufkommt. Gleiches gilt für die Hauptfigur, denn Antje Traue, Glanzlicht des Sat-1-Krimis „Mordkommission Berlin 1“, verkörpert die auf strenge Weise attraktive, aber gänzlich humorfreie Forensikerin mimisch fast regungslos; nur in Ausnahmefällen lässt sie mal die Andeutung eines Lächelns erkennen. Auch die Körpersprache wirkt seltsam angespannt. Warum das so ist, bleibt zunächst ebenso offen wie die Frage, warum Emma nicht nach Amerika zurückkehrt. Ihre Neigung, unbequeme Wahrheiten offen auszusprechen, erinnert in Kombination mit Traues stark zurückgenommenem Spiel an die Art, wie im Fernsehfilm Autismus verkörpert wird. Diese Reduktion scheint aber ein Stilmittel von Regisseur Christopher Schier zu sein. Dafür spricht nicht nur die farbliche Sparsamkeit; selbst Michael Gwisdek agiert für seine Verhältnisse geradezu verhalten. Angesichts von Emmas Emotionslosigkeit wäre Vater Kugel eigentlich die naheliegende Identifikationsfigur, doch die Geschichten werden konsequent aus der Perspektive der Tochter erzählt.

Dramaturgisch orientieren sich die Drehbücher, die Schier gemeinsam mit Magdalena Grazewicz und Thomas Gerhold geschrieben hat, am Schema einer Reihe: Die Fälle sind in sich abgeschlossen; für eine horizontale Ebene sorgt die Beziehung zwischen Emma und Polizistin Betti (Victoria Schulz). Die junge Beamtin weist die Forensikerin zwar immer wieder in ihre Schranken, weil sie Betti und ihrem zu einer gewissen Bequemlichkeit neigenden Kollegen Schubert (Lars Rudolph) ständig einen Schritt voraus ist, aber sie ist ganz offensichtlich fasziniert von Emma; und das nicht nur in fachlicher Hinsicht, wie ein scheuer Kuss zeigt. Als Emma ihn später erwidert, wird’s endlich auch emotional interessant, denn nun taucht plötzlich ihr amerikanischer Ex-Freund (Nikolai Kinski) auf. Der etwas mysteriöse Kevin folgt ihr fortan wie ein Stalker; prompt sind diese meist kurzen Momente auch dank entsprechender Thriller-Musik deutlich fesselnder als die rätselhaften Todesfälle. Den Knüller dieser Ebene hebt sich „Dead End“ jedoch für die letzte Folge auf, die mit einem gemeinen Cliffhanger endet. Da eine Fortsetzung der Serie aber keineswegs bereits feststeht, wird Emmas Geheimnis womöglich niemals gelöst.

Dead EndFoto: ZDF / Carolin Ubl
Im Adlernest: Emmas Ex-Freund Kevin taucht plötzlich auf und folgt ihr wie ein Stalker. Antje Traue & Nikolai Kinski in „Dead End“

Davon abgesehen gelingt es Schier trotz der sorgfältigen Komposition vieler Einstellungen (Kamera: Thomas Kürzl) nur bedingt, Anreize für das Anschauen aller sechs Folgen zu setzen; von jenem Sog, den dank einer cleveren Konzeption zuletzt beispielsweise die Sky-Serien „Der Pass“ und „8 Tage“ entwickelten, kann nicht mal im Ansatz die Rede sein. Das ist nicht nur eine Frage der Dramaturgie. Der Österreicher Schier hat für den ORF mit „Wehrlos“ (2017) und „Die Faust“ (2018) zwei sehenswerte Wiener „Tatort“-Beiträge gedreht, aber in „Dead End“ kommt keinerlei Krimispannung auf, weder vorder- noch hintergründig. Anders als beispielsweise in der ähnlich provinziellen WDR-Serie „Mord mit Aussicht“ wirken weder die Gegend noch die Einheimischen in irgendeiner Form anziehend oder sympathisch. Mit Ausnahme von Polizistin Betti und dem alten Kugel gibt es keine Figur, die auch nur annähernd herzerwärmend wäre. Bettis von der eigenen Familie ignorierter und in den Keller verbannter Kollege ist zwar eine tragische Rolle, weckt aber kein Mitgefühl. Für die Betroffenen der verschiedenen Fälle gilt das nicht minder. Das ist eine Frage der Besetzung, aber auch der Inszenierung: Als Emma und die nur knapp einem Anschlag entkommene Besitzerin (Kathrin Angerer) eines Fitness-Studios in einer sich zunehmend erhitzenden Sauna eingesperrt werden, plaudern sie erst mal seelenruhig über den Fall; Lebensgefahr vermittelt Schier nicht eine Sekunde lang. Weil die Inszenierung insgesamt recht gemächlich ist, fallen die gelegentlichen darstellerischen Überzeichnungen umso deutlicher aus dem Rahmen. Das gilt vor allem für Fabian Busch als Bürgermeister Herbst, dem Emma seit Schulzeiten in herzlicher Abneigung verbunden ist. Die Gründe für die Intimfeindschaft werden nicht weiter erörtert, was aber dank der Großspurigkeit des Mannes auch nicht nötig ist. Busch vermittelt mit seinem übertrieben klingenden Berliner Dialekt und eifriger Körpersprache den Eindruck, als habe er es genossen, endlich mal ein lautstarkes Großmaul verkörpern zu dürfen.

Immerhin sind die Fälle von einer gewissen Raffinesse, weil nicht nur der erste, sondern manchmal auch der zweite Anschein trügt. So entpuppt sich der Freundschaftsdienst, den ein Seniorenpaar im Heim einer verstorbenen Mitbewohnerin leisten wollte, als heimtückischer Mord, mit dem die beiden alten Herrschaften jedoch nichts zu tun haben. Nicht minder skurril ist das ungeplante Ableben eines Gleitschirmsportlers, den Vater und Tochter Kugel bei einer Wanderung in einem Baum entdecken; auch diese Episode nimmt verschiedene überraschende Wendungen. In Folge fünf stirbt Schneewittchen bei Theaterproben (als Regisseur: Gustav Peter Wöhler), noch bevor es in den vergifteten Apfel beißt, und ausgerechnet Schuberts Tochter gerät in Mordverdacht. Trotzdem sind die Geschichten von großer Harmlosigkeit. Abgesehen von der Spannungsarmut und der wenig einladenden Anmutung gibt es keinen Grund, warum das ZDF die Serie nicht auch im Hauptprogramm zeigen könnte, und das ist vielleicht das größte Manko: Für eine Nischenproduktion ist „Dead End“ viel zu mutlos. Michael Tsokos hätte vermutlich trotzdem seine Freude an den Geschichten, und das nicht allein, weil er in seiner Doku-Reihe „Dem Tod auf der Spur“ (Sat 1) ganz ähnliche Fälle vorstellt. Die fachliche Ebene klingt sehr überzeugend, zumal sich die modernen Methoden Emmas und das in fünfzig Berufsjahren gesammelte Fachwissen ihres Vaters perfekt ergänzen.

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ZDF

Mit Antje Traue, Michael Gwisdek, Victoria Schulz, Lars Rudolph, Fabian Busch, Nikolai Kinski, Corinna Kirchhoff.

Episodenrollen: (1): Kathrin Angerer, (2): Anne Marie Fliegel, Rüdiger Klink, (3): Valerie Koch, Nic Romm, (5): Gustav Peter Wöhler

Kamera: Thomas Kürzl

Szenenbild: Petra Albert

Kostüm: Miriam van der Ham

Schnitt: Alex Kutka

Musik: Markus Kienzl

Redaktion: Martin R. Neumann

Produktionsfirma: Real Film

Produktion: Katrin Goetter

Drehbuch: Magdalena Grazewicz, Thomas Gerhold, Christopher Schier

Regie: Christopher Schier

EA: 26.02.2019 20:15 Uhr | ZDFneo

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