Das Weiße Haus am Rhein

Jonathan Berlin, Sadler, Schüttler, Kämper, Schmidt. Scharfe Gegensätze im Fluss

Foto: Degeto / Wolfgang Ennenbach / Krzysztof Wiktor
Foto Rainer Tittelbach

„Das Weiße Haus am Rhein“ (ARD/Zeitsprung Pictures) erzählt vom Überlebenskampf eines Nobelhotels, das Geschichte geschrieben hat, von drei Generationen einer Hotelier-Familie, durch die ein tiefer Riss geht – der mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten immer schwerer zu kitten ist. Nachdem die Jugend das ehrwürdige Haus im konservativen Rheinland mit freizügigen Varieté-Shows und jüdischen Festen in den Zwanzigern wieder auf Erfolgskurs brachte, rettet nach der Weltwirtschaftskrise Adolf Hitler den Familienbetrieb, indem er das Grande-Hotel zu seinem Hauptquartier am Rhein macht. Wie es bei historischen TV-Dramen üblich ist, wird in dieser Degeto/SWR/WDR-Koproduktion der Zeithorizont auf die Familiengeschichte heruntergebrochen. Die gesellschaftlichen Verwerfungen zwischen den radikalisierten politischen Lagern, zwischen Freidenkern und Nationalkonservativen, zwischen demokratischem Aufschwung und bleierner Tradition spiegeln sich in den Beziehungen unter dem Dach des ehrwürdigen Hauses wider. Das Drehbuch von Dirk Kämper erzählt chronologisch, verwebt dabei Themen der (heutigen) Zeit leitmotivisch fast wie in einem Musikstück. Und Thorsten M. Schmidts Inszenierung lässt sich vom Rhein bildlich und rhythmisch beeinflussen. Dieser kompakte, bestens besetzte Zweiteiler fließt.

„Wir Jungen, wir müssen uns die Welt zurückholen.“ Mit 21 Jahren vom Ersten Weltkrieg desillusioniert heimgekehrt, hat Emil Dreesen (Jonathan Berlin) völlig andere Vorstellungen von der Zukunft des Familienhotels als seine Eltern. Sein national gesinnter Vater Fritz (Benjamin Sadler) und seine katholisch konservative Mutter Maria (Katharina Schüttler) wollen das Grande-Hotel am Bad Godesberger Rheinufer weiterführen wie bisher. Da es jedoch Emil ist, der einen Deal mit den französischen Besatzern aushandelt, und die lebensfreudige Großmutter Adelheid (Nicole Heesters) ein Machtwort spricht, gewinnt die Jugend zunehmend an Einfluss auf die Politik des Hauses. In Schwester Ulla (Pauline Rénevier) und Kriegskamerad Robert (Jesse Albert) findet Emil zwei gleichgesinnte Mitstreiter. Doch bald ist es nur noch das Zimmermädchen Elsa (Henriette Confurius), der er sein Herz ausschütten kann. Ein Zwischenfall im Krieg belastet ihn schwer und könnte ihm noch heute seine Zukunft verbauen. Und das Hotel kann immer noch nicht wieder an seine goldenen Jahre anschließen. Erst als Emil und Ulla mit einer freizügigen Varieté-Show und der Pariser Sängerin Claire Deltour (Deleila Piasko) die Provinz beglücken, boomt das Hotel. Doch die Weltwirtschaftskrise naht – und Hitler (Max Gertsch) steht in den Startlöchern.

Das Weiße Haus am RheinFoto: Degeto / Krzysztof Wiktor
Die neue Zeit gehört der Jugend: Emil Dreesen (Jonathan Berlin) und seine Schwester Ulla (Pauline Rénevier). Gemeinsam haben sie große Pläne mit dem Hotel. Doch ihre Visionen können sie nicht lange ausleben. Die Weltwirtschaftskrise, die Nazis und die eigenen Eltern, die für den materiellen Erfolg ihre Herkunft – sprich: Fritz Dreesens jüdische Mutter – verleugnen, geben in den 1930er Jahren den Ton im Rheinhotel an.

„Das Weiße Haus am Rhein“ erzählt vom Überlebenskampf eines Nobelhotels, das Geschichte geschrieben hat, von drei Generationen einer Hotelier-Familie, durch die ein tiefer Riss geht – der mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten immer schwerer zu kitten ist. Das Hotel Dreesen wird zum Lieblingshotel des Führers, der in den 1930er Jahren die Nobelherberge als sein Hauptquartier am Rhein nutzen wird. Mit jüdischen Veranstaltungen und „dekadentem“ Großstadt-Glamour ist es erst mal vorbei. Obwohl Fritz Dreesen im Sinne der Nazi-Ideologie „Halbjude“ ist, hält Hitler seine schützende Hand über die Familie, selbst über den aufsässigen Sohn, der ihm lange den Hitlergruß verweigert. Mit den Jahren pflegen Fritz und Maria Dreesen ein geradezu freundschaftliches Verhältnis zu Hitler und Eva Braun. Allein die jüdische Großmutter passt da nicht mehr ins Bild der arischen Vorzeige-Residenz. Sogar Emil lenkt ein und verhält sich diplomatisch; immerhin geht es um das Überleben des Familienbetriebs. Und dann ist da ja noch dieses Geheimnis aus dem Krieg (das dramaturgisch geschickt am Leben gehalten wird). Der sanfte Rebell verrät also seine Überzeugungen – und wird so zur tragischen Figur. Wird er sich irgendwann eines Besseren belehren lassen? Wird er erkennen, dass seine verblendeten Eltern einen Pakt mit dem Teufel geschlossen haben?

Das Weiße Haus am RheinFoto: Degeto / Krzysztof Wiktor
Einmal mehr wird das Zimmermädchen (kleine, sehr feine und nuanciert gespielte Rolle: Henriette Confurius) von der Hausherrin zurechtgewiesen. Dass die „rote Elsa“ die Belegschaft „aufwiegelt“, findet Maria Dreesen schlimm genug, dass sie und ihr Sohn womöglich längerfristig ein Paar werden, ist für sie ein Ding der Unmöglichkeit.

Wie das bei historischen TV-Dramen üblich ist, wird in diesem ARD-Zweiteiler der Zeithorizont auf die Familiengeschichte heruntergebrochen. Die gesellschaftlichen Verwerfungen zwischen den radikalisierten politischen Lagern, zwischen Freidenkern und Nationalkonservativen, zwischen demokratischem Aufschwung und bleierner Tradition spiegeln sich in den Beziehungen unter dem Dach des ehrwürdigen Hauses wider. Und so schwappt auch einiges vom Glamour der wilden 1920er Jahre aus Frankreich oder dem fernen Babylon Berlin herüber ins vorgestrige Rheinland, derweil die Dame des Hauses „den Niedergang von Anstand und Sitte“ beklagt. Auch Themen, die fast hundert Jahre später den gesellschaftspolitischen Diskurs bestimmen, spürt Drehbuchautor Dirk Kämper („Landauer – Der Präsident“, „Erik & Erika“) – nicht als erster – in den 1920er Jahren auf: Rassismus, Antisemitismus, weibliche Emanzipation, die Gewalt der Männer gegenüber Frauen, gleichgeschlechtliche Liebe, die Suche nach neuen Lebensformen bis hin zur „freien Körperkultur“. Einige dieser Themen werden als Motive – nur bildhaft, mit ein, zwei Szenen – in die Handlung integriert. Sie schwingen beiläufig mit und verdichten die Narration.

Das Weiße Haus am RheinFoto: Degeto / Krzysztof Wiktor
Die Jugend verschläft die Zukunft nicht. So etwas hat das katholische Rheinland noch nicht gesehen! Erotischer Pariser Flair, die Geschlechterrollen im Fluss, Babylon Berlin in Bad Godesberg. Aber auch der Straßenkampf zwischen Kommunisten und Nazis hält Einzug in die Provinz. Claire Deltour (Deleila Piasko) kennt keine Tabus.

„Das Weiße Haus am Rhein“ erzählt seine fast zwei Jahrzehnte überdauernde Geschichte chronologisch. Die Handlung läuft damit Gefahr, in ein ständiges Auf und Ab zu verfallen, entsprechend den Hochs und Tiefs, die das Hotel Dreesen erleben musste. Doch die Gratwanderung gelingt, da die bereits erwähnten angespielten, aber nicht ausgespielten Nebenthemen dem Hauptkonflikt, die Existenz des Hotels und die verratenen Ideale, immer wieder neue Impulse geben und weil dadurch die drei Filmstunden – die absolut passende Länge für diesen Stoff! – zu einem stimmigen Ganzen werden, in dem sich Dramatik und filmische Poesie die Waage halten. Manchmal hat es den Anschein, als sei der Film wie ein Musikstück aus Leitmotiven gebaut. Und Regisseur Thorsten M. Schmidt („Schweigeminute“) hat sich offensichtlich – gemeinsam mit Kameramann Felix Cramer und Editorin Simone Klier – vom Rhein bildlich und rhythmisch beeinflussen lassen. Dieser Film fließt. In seinen besten Momenten entsteht die Geschichte aus den Bildern. Am besten gelingt das, wenn die Jugend am Werk ist. Da herrscht Aufbruchstimmung, da obsiegt die frische Sprache über die steife Etikette; das hat zur Folge, dass beim Zuschauer viel Sympathie mitschwingt.

Das Weiße Haus am RheinFoto: Degeto / Krzysztof Wiktor
Die Kriegsvergangenheit sitzt Emil Dreesen (Jonathan Berlin) im Nacken. Für die einen ist der junge Mann erpressbar, für andere gehört er einfach nur abgeknallt. Dieser Subplot gibt dem Film – neben seinem angenehm offenen und sinnlichen Flow aus narrativen Motiven – einen mal mehr, mal weniger präsenten Spannungsbogen.

Die Wahl einer eher klassischen Dramaturgie dürfte auch dem Zeitgeist jener Jahre geschuldet sein. Es waren Zeiten scharfer weltanschaulicher Gegensätze. Dialektisches Denken war noch nicht en vogue. Mag es auch überinterpretiert sein: Wo man hinschaut, begegnet einem die magische Zwei in diesem Zwei-Teiler. Es dominieren Zweier-Paarungen, die sich allerdings ständig erneuern oder austauschen; Emil beispielsweise liebt zwei Frauen (nacheinander). Auch dafür gibt es schöne Bilder: Immer wieder sitzen zwei im Doppelzweier und gleiten über den Rhein. Und die Szenen der unschuldigen Annäherung zwischen Emil und der „roten Elsa“ sind feine Miniaturen langsam wachsender Intimität – auch dank des sensiblen, feinnervigen Spiels von Hauptdarsteller Jonathan Berlin und Henriette Confurius. Ähnlich stimmungsvoll ist eine nächtliche Szene, in der sich Emils Klarinette mit der Trompete eines senegalesischen Soldaten, in den sich Ulla verguckt, im Spiel vereint. Auch filmästhetisch findet man das Zweier-Prinzip, indem die Bilder zweier sehr konträrer Sequenzen gegeneinander geschnitten werden. Diese klassische Parallelmontage, die etwas aus der Mode gekommen ist, sorgt im zweiten Teil für einen filmischen Höhepunkt: Während im Hotel eine sinnlich-freche Revue zur Aufführung kommt, entwickelt sich aus einem rechtsradikalen „Kameradentreffen“ ein physisch-brutaler Straßenkampf auf Leben und Tod zwischen Nazis und Kommunisten.

Schön auch bei einem Film, der zwar viele Themen anreißt, den Zuschauern aber nicht mit Konflikten und dramatischen Szenen überhäuft, erkennen zu können, wie sich schleichend auch das Interieur des Hotels über die Jahre verändert: vom großbürgerlichen Ambiente über einen eher luftig-verspielten Art-Deko-Stil bis hin zum schweren teutonischen Mobiliar. Die Charaktere scheinen sich – mit Ausnahme der Hauptfigur – weniger zu verändern. Doch einige nimmt man als Zuschauer mit der Zeit anders wahr, Emils Vater zum Beispiel: in Teil 2 nicht mehr so emotional als den Antagonisten, der dem Sohn und der neuen Zeit im Weg steht. Undankbar bleibt Benjamin Sadlers Rolle dennoch (aber auch herausfordernd), sitzt ihr wie auch Katharina Schüttlers Maria Dreesen das historische Klischee förmlich im Nacken. Dass es beiden trotz allem gelingt, sich ohne Läuterung ihrer Charaktere von diesem Klischee zu entfernen, das hat mit Schauspielkunst zu tun und der großen Erfahrung von beiden mit historischen Rollen. So klingt ein eher unsagbarer Satz wie „Diese verdammte Inflation frisst einem jeden Tag ein kleines Stück Fleisch von den Knochen“ bei Schüttler gar nicht mehr so unsagbar. Doch das Herz des Zuschauers schlägt in dieser Familienchronik für die Jugend.

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ARD Degeto, SWR, WDR

Mit Jonathan Berlin, Benjamin Sadler, Katharina Schüttler, Pauline Rénevier, Nicole Heesters, Henriette Confurius, Deleila Piasko, Jesse Albert, Florian Claudius Steffens, Peter Nottmeier, Paul Fassnacht, Hendrik Heutmann, David Hürten, Max Gertsch

Kamera: Felix Cramer

Szenenbild: Pierre Pfundt

Kostüm: Michaela Horejsi

Schnitt: Simone Klier

Musik: Michael Klaukien

Redaktion: Claidia Luzius, Christoph Pellander (beide Degeto), Monika Denisch, Manfred Hattendorf (SWR), Henrike Vieregge (WDR)

Produktionsfirma: Zeitsprung Pictures

Produktion: Michael Souvignier, Till Derenbach

Drehbuch: Dirk Kämper

Regie: Thorsten M. Schmidt

Quote: 3,82 Mio. Zuschauer (14,4% MA)

EA: 27.09.2022 10:00 Uhr | ARD-Mediathek

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