Es ist Liebe auf den ersten Blick, als sich der Prinz und die Prinzessin das erste Mal begegnen. Ausgerechnet auf einem gewöhnlichen Wochenmarkt. Als sich die beiden wenig später auf dem Schloss des Königs wiedersehen, wo der verliebte Prinz die Gunst der Prinzessin erwerben möchte, steht er einer zwar schönen, aber hochmütigen Person gegenüber, die sich nichts sehnlicher wünscht, als das singende, klingende Bäumchen in ihrem Besitz zu wissen. Dem Prinzen ist ihr Wunsch Befehl. Da das Bäumchen von einem Waldgeist bewacht wird, lässt sich der Freier auf einen Handel ein: Er bekommt das Bäumchen – liebt ihn die Prinzessin aber nicht, gehört er „mit Haut und Haaren“ dem bösen Zwerg, der dann auch das Bäumchen zurückbekommt. Und so kommt es auch: Das Wunschobjekt, das nur für Liebende singt und klingt, bleibt stumm, weil die Hochwohlgeborene nur die Liebe zu sich selbst kennt. Da sie ihrem Vater keine Ruhe lässt, macht der sich nun selbst auf, das Bäumchen für sie zu gewinnen. Doch auch der König muss einen Pakt mit dem Waldgeist eingehen, den auch er verliert. Damit gehört die Prinzessin – wie der Prinz – dem garstigen Geist. In seinem Reich begegnen sich die (verzauberten) Adelssprösslinge nun zum zweiten Mal. Die Liebe auf den ersten Blick bekommt so eine weitere Chance. Wenn da nur nicht der Waldgeist wäre…!
Foto: RBB / Theo Lustig
Eine wundersame, höchst unterhaltsame Lehrstunde in Sachen Liebe ist die Neuverfilmung des DEFA-Klassikers „Das singende, klingende Bäumchen“ nach einem Märchenfragment der Brüder Grimm. Eine Prinzessin, die unfähig ist zu lieben und der – weil der Vater sie von der Realität fernhielt – der schöne Schein, ihr Narzissmus, alles ist im Leben, erfährt am eigenen Leib, welcher Voraussetzungen es bedarf, um lieben zu können. Die Erzählung dreht nicht nur die konkrete Beziehung von Prinz und Prinzessin auf den Anfang zurück, fast scheint es auch so, als ob die beiden gleichsam in die Urzeit der Menschheit zurückverzaubert worden sind. Er brüllt wie ein Bär und nichts ist mehr übrig vom adretten Freier. Sie bekommt eine lange Nase ins Gesicht und schlechte Zähne ins lose Mundwerk gehext. Kultur spielt keine Rolle mehr: Die Zeiten der edlen Brautwerbung, der feinen Garderoben, der Pflege des Schönen sind passé. Weg mit der Etikette, stattdessen werden die zwei zurückgeworfen auf die menschlichen Urbedürfnisse: Feuer machen, Fische fangen, sich eine Behausung suchen, für den anderen sorgen – die Natur hat die Blaublüter fest im Griff. Schönheit und Glück muss man sich verdienen! „Erst Dankbarkeit, Respekt, Umsicht und Hilfsbereitschaft – Tugenden, für die es sich zu leben lohnt – lassen die Prinzessin erkennen, dass sie lieben kann“, bilanziert die Hauptdarstellerin Jytte-Merle Böhrnsen („Das Mädchen aus dem Totenmoor“).
Mit Witz, Humor und Ironie ist es in den ARD-Märchenverfilmungen immer so eine Sache. Alberne Kleinkinderkomik wird für das Familienprogramm häufig als der kleinste gemeinsame Nenner festgelegt. „Das singende, klingende Bäumchen“ zeigt, dass es auch anders geht. Unter der Beobachtung des Waldgeistes, der sich einen Spaß daraus machen, seine adligen Gefangenen zu schikanieren, agieren die beiden Hauptcharaktere wie zwei Höhlenmenschen im Romantic-Comedy-Modus. „Was sich liebt, das neckt sich“, dieses an kindische Sandkastenspiele erinnernde Muster wird von Böhrnsen und Lucas Prisor schön absurd zwischen Slapstick und Beziehungsspiel auf die Spitze getrieben, dass es sowohl für kleine Kinder als auch für Erwachsene ein Vergnügen ist. Die Sprache, ein weiteres Problem vieler Märchen, weil das Fantasy-Moment des Genres und die Realitätsnähe der Worte nur selten stimmig zusammenfinden, erscheint in den „Wildnis“-Szenen wunderbar verfremdet. Auch in den Szenen zuvor ist sie oft pointiert: „Was wünscht Ihr euch, meine Schöne?“, fragt der Prinz. Darauf die Prinzessin: „Schön bin ich wohl, aber die Eure bin ich noch lange nicht.“
Foto: RBB / Theo Lustig
Auch optisch weiß der Film zu gefallen wie kaum eine andere der 42 Märchenverfilmungen der ARD. „Das singende, klingende Bäumchen“ ist Wolfgang Eißlers vierte Regiearbeit für die Reihe „Sechs auf einen Streich“. Mit „Die zertanzten Schuhe“ inszenierte er 2011 eines der ersten Märchen fürs Erste, die auch ästhetisch gehobenen Ansprüchen genügten. Dass sein neuester Film ein Remake eines DEFA-Klassikers ist, empfanden die Macher offensichtlich als Verpflichtung. Schon die Geschichte ist (psychologisch) sehr viel komplexer als andere Märchen, ist aber gemäß des Genres klar und einfach strukturiert, sie ist reduziert auf zwei Haupt- und zwei tragende Nebenfiguren. Die Moral ist auch heute noch gültig. Das Monarchisch-Konservative vieler Märchen wird angenehm ausgebremst durch den „urmenschlichen“ Exkurs. Aus dem Vintage-Look, den wohl gewählten Bildausschnitten und einer flüssigen Montage ergibt sich eine wunderbar nostalgische Anmutung. Großen Anteil daran besitzt auch die nuancierte Farbdramaturgie, die durchaus auch in die Semantik der Erzählung eingreift: So erstrahlt beispielsweise in einheitlich hellem Blau die Kleidung von Prinz und Prinzessin bereits zu einem Zeitpunkt, als von Liebe noch keine Rede ist. Ebenso auffällig ist das bizarre Spiel von Hell und Dunkel, Licht und Schatten, das Bildgestalter Cornelius Plache nicht nur zwischen den Bildern und Szenen, sondern vor allem auch in einzelnen Einstellungen meisterlich und Atmosphäre schaffend einsetzt. Last but not least überzeugen auch die Darsteller: Böhrnsen, Lucas Prisor und Oli Bigalke als Waldgeist bekommen für einen Märchenfilm allerhand zu spielen: Die klare Trennung zwischen komödiantischen und dramatischen Situationen macht „Das singende, klingende Bäumchen“ zu einem ernstzunehmenden und gleichsam höchst launigen Märchenfilm.