Mathias Wengeler hat zwei Familien: die offizielle, seine gefrustete Frau Rita und Tochter Dani, und die leidenschaftliche, seine Tauben. Er lebt sein Leben lang in derselben Ruhrpottsiedlung, im Haus seiner Eltern. Jetzt ist Nachbar Kowallek gestorben, ein Taubensportfanatiker wie er. Seinen arroganten Sohn Ronny hat der etwa gleichaltrige Mathias in nicht allzu guter Erinnerung. Und jetzt soll ausgerechnet er auf der Beerdigung des „Konkurrenten“ seine Tauben fliegen lassen. Er macht’s – Ehrensache. Mit seiner Taubenvater-Ehre dagegen nicht vereinbar ist, beim größten Brieftaubenrennen der Welt in Südafrika seine Lieblinge verheizen zu lassen. Der abgebrannte Ronny überredet ihn aber schließlich doch. Denn auch bei den Wengelers stapeln sich die unbezahlten Rechnungen und die Jobs beider sind alles andere als sicher. Außerdem kann er so seine gefiederten Prachtexemplare nebenan bei Ronny „unterstellen“ und seine Ehe fürs Erste retten.
Eine nette Kleine-Leute-Schnurre hat sich da Autor Benjamin Hessler ausgedacht. Der Held in „Das Millionen-Rennen“ flieht vor den Gewohnheiten und Fallen des Familien- und Berufsalltags und flüchtet sich in seine exzessive Taubenliebe – bis ihm die Ehefrau die Pistole auf die Brust setzt. Axel Prahl ist jener Mathias Wengeler – und er schmunzelt sein verschmitztes Lächeln. Der Zuschauer ist ganz bei ihm. Aber auch die anderen Figuren sind liebevoll gezeichnet – selbst der etwas verschlagene Ronny, der schon als Kind zu Tricksereien neigte. Peter Lohmeyer verleiht dem Loser von Welt die Aura eines Mannes, der nicht viele Worte macht. „Ronny ist eine arme Wurst auf seine Art“, so Lohmeyer, „eigentlich sind beide arme Würste.“ Wobei Prahls Taubenversteher die liebenswertere arme Wurst ist. Dem Schauspieler gefiel denn auch am Buch vor allem, „dass Hessler Werte hochhält, die in unserer Gesellschaft nicht mehr so wahnsinnig viel gelten wie Zuverlässigkeit, Ehrlichkeit und Anstand“. Sein Mathias braucht dringend das Geld, versucht aber bis zuletzt, seine Ehre als Taubenzüchter nicht zu verlieren. Das hat etwas rührend Anachronistisches und zugleich eine „Echtheit“, nach der sich viele Menschen sehnen. Und es ist Pantoffelkino im besten Sinne.
Dramaturgisch ist „Das Millionen-Rennen“ kein großes Ding. Die äußeren Verhältnisse, der Sturz in die Arbeitslosigkeit, sind arg schematisch auf die „innere“ Situation der Hauptfiguren abgestimmt. Man(n) prügelt sich und bricht miteinander, man wird entlassen, man versöhnt sich wieder – und dann ruft Südafrika! Örtlich zweigeteilte Filme – zwei Drittel spielen im Pott, ein Drittel in Südafrika – sind rezeptionstechnisch oft problematisch. In Christoph Schnees angenehm unaufgeregt inszenierter Alltagskomödie nehmen Prahl und Lohmeyer den Zuschauer mit auf die Reise. Beide, Garanten für authentische Bodenständigkeit, lassen die etwas ausgedacht erscheinende Story vergessen. Sie ist Vorwand für eine Männer-Feind-Freundschaft und für einen Film, in dessen sparsamen Dialogen mehr Wahrheiten aufscheinen als angenommen. So sagt Ronny einmal: „Von mir gibt es ungefähr fünf Kinderfotos – aber auch nur, wenn ich eine Taube in der Hand hatte.“ (Text-Stand: 22.11.2012)