Wenn sich Märchenfiguren zwischen Geld und Liebe entscheiden müssen, ist die Antwort klar; kein Wunder, dass zu den vielen Märchenfilmen der früheren ostdeutschen Produktions-Firma Defa auch Hans Falladas „Geschichte vom goldenen Taler“ zählt. In der Defa-Adaption von Bodo Fürneisen (1985) erliegt zwischendurch sogar die Heldin den Verlockungen des Reichtums. Im ARD-Weihnachtsmärchen ist Anna Barbara (Valerie Sophie Körfer) dagegen ein Geschöpf reinen Herzens; und obendrein auch mutig und klug. Das Drehbuch (Heike Brückner von Grumbkow, Jörg Brückner) ist der 50. Film im Rahmen der Reihe „Sechs auf einen Streich“ und erzählt die Abenteuer des Mädchens als klassische Heldinnenreise.
Foto: RBB / Michael Rahn
Seit ein Lumpensammler einst den goldenen Taler gestohlen hat, ist dem Dorf Überall jegliche Lebensfreude abhanden gekommen. Innerhalb des Palisadenzauns, der die Siedlung umgibt, wächst nur noch Kohl; Blumen gibt es auch nicht mehr. Anna Barbara kann das Elend nicht mehr mitansehen. Während der Bürgermeister (Stephan Grossmann) ein ums andere Mal predigt, dieses Schicksal demütig zu akzeptieren, und allen Einwohner verboten hat, das Dorf zu verlassen, seit seine Söhne von ihrer Suche nach dem Taler nicht zurückgekehrt sind, tritt das Mädchen gegen die eindringliche Bitte der Mutter (Stefanie Stappenbeck) die Flucht nach vorn an: „Wenn sich etwas ändern soll, dann muss man sein Schicksal selbst in die Hand nehmen.“ Sie verlässt das Dorf bei Nacht und Nebel und trifft im Wald prompt auf den Lumpensammler (Dominique Horwitz), der sich als Hans Geiz vorstellt und freimütig einräumt, dass sich der Taler in seinem Besitz befindet. Er bietet Anna Barbara an, sich die Münze zu verdienen, indem sie in seiner unterirdischen Behausung all’ sein Kupfer, Silber und Gold auf Hochglanz bringt. Die Aufgabe ist praktisch unlösbar, denn auf den Besitztümern, die mehrere große Kammern füllen, klebt der Dreck von Jahrzehnten. Doch das Mädchen hat Glück: Ein sommersprossiger Wicht (Justus Czaja), gerade mal so groß wie ihre Hand, bietet ihr seine Dienste an, und zaubert ein Wasser, mit dem sich die Arbeit fast von selbst erledigt. Doch so schnell gibt sich der heimtückische Lumpensammler natürlich nicht geschlagen…
Foto: RBB / Michael Rahn
Die Geschichte klingt nach einem handelsüblichen Märchenstoff, aber Cüneyt Kaya hat daraus ein optisches Ereignis gemacht. Schon die erste Begegnung der Heldin mit dem Lumpensammler, der ihr mit seinem Karren aus nächtlichem Gegenlicht entgegenkommt, ist ein Kunstwerk. Bemerkenswert ist auch die Arbeit von Maskenbild (Katja Piepenstock) und Ausstattung (Sebastian Wurm): Dominique Horwitz ist bis zur Unkenntlichkeit entstellt und wirkt nicht zuletzt dank seiner Klauen derart dämonisch, dass kleinere Kinder durchaus ins Gruseln kommen können, zumal die gute Musik (Marian Lux) die Wirkung der Bilder noch verstärkt. Die Unterwelt ist eine Mischung aus Gemäuer und Gewölbe, die Kameramann Ralf Noack in ein höllisches Licht getaucht hat. Die Kammern wiederum, in denen Anna Barbara ihre Dienste verrichten muss, sind den Materialien entsprechend kupferfarben, silbergrau oder gülden illuminiert. Die Höhlenszenerie ist visuell derart eindrucksvoll, dass dagegen die Dorfbilder nicht mithalten können: Die kleine Eva (Frieda Brandenburg) hat vor dem Zaun eine Blume entdeckt, die ihr symbolisiert, dass die große Schwester auf dem richtigen Weg ist. Der desillusionierte Bürgermeister rupft die Pflanze kurzerhand aus, aber zum Glück mit Stumpf und Stiel, sodass Eva sie retten kann, und natürlich kommt es beim glücklichen Ende, das Kaya mit ein paar Zeitlupen zu viel feiert, zur wundersamen Blumenvermehrung.
Das Märchen enthält gleich mehrere Botschaften. In der Defa-Verfilmung stand Anna Barbaras Erkenntnis im Vordergrund, dass man das Wichtigste im Leben nicht kaufen kann; am Schluss verliert sie den Taler sogar, weil er ihr nicht mehr wichtig ist. Beim Autorenduo Brückner von Grumbkow geht es eher darum, dass man Dinge oft erst dann zu schätzen weiß, wenn sie nicht mehr da sind. In beiden Versionen äußert sich der Charakter der Heldin jedoch in einer altruistischen Tat. Dank ihres selbstlosen Akts findet sich nicht nur die Münze, nun ist auch der Weg für die Liebe frei. Für den Regisseur, der zuletzt das Netflix-Drama „Betonrausch“ (2020) gedreht hat, ist das Märchen ein eher ungewöhnlicher Stoff. Das Regiedebüt des gebürtigen Kölners war 2013 „Ummah – Unter Freunden“, ein als „Besonders wertvoll“ eingestuftes und überaus authentisch wirkendes Drama aus dem türkischen Neukölln. Später folgte unter anderem der im Auftrag der ARD-Tochter Degeto entstandene Donnerstagskrimi „Dimitrios Schulze“ (2016), eine Hommage an die Bunte Republik Deutschland. Dazu passt die überraschende Besetzung der Bürgermeistergattin mit Dennenesch Zoudé; offenbar gab es für die neue Märchenstaffel innerhalb der ARD die Maxime, zumindest bei den Nebenrollen auf eine gewisse Diversität zu achten. Unpassend sind dagegen sprachliche Modernismen wie „Das machst du super!“ oder „Geht doch!“.