Das Glück ist ein Vogerl

Schwarz, Paryla, Aulitzky, Kaltenegger, Molina. Vom Verlieren & Finden der Liebe

Foto: ORF / BR / Allegro / Stefanie Leo
Foto Volker Bergmeister

Vorweihnachtliche Komödie ohne übliches Jingle-Bells-Gesülze. „Das Glück ist ein Vogerl“ (BR, ORF / Allegro Film) erzählt vom Finden, Verlieren und Wiederfinden der Liebe, von der Versöhnung mit der eigenen Vergangenheit und davon, sich selbst und seine Liebsten wieder neu kennenzulernen und längst aufgegebene Träume weiter zu träumen. Mit viel Charme und fein dosiertem Humor, noch mehr Herz und Gefühl lässt Regisseurin Catalina Molina nach dem märchenhaft anmutenden Drehbuch von Ingrid Kaltenegger (nach ihrem Debütroman) ihre Protagonisten durch die Untiefen des Lebens waten. Mit Simon Schwarz und Nikolaus Paryla als ungleiches Buddypaar aus Mensch und Geist ist der Film vortrefflich besetzt.

Holzfällerhemd, abgewetzte Jeans, ausgetretene Turnschuhe – so schleicht Musiklehrer Franz (Simon Schwarz) über den Schulgang zum Kaffeeautomaten. Er überlegt noch, da drückt von hinten die Rektorin den Knopf für ihn: „Capuccino, super Entscheidung, danke“, lächelt er gequält. Sie mahnt: „Heute Nachmittag Chorprobe, wir haben ausgemacht, dass der Chor beim Weihnachtsfest singt.“ Franz will raus aus der Nummer: „Wie soll ich sagen, Weihnachten, das bin einfach nicht ich, das ist eher etwas für die Reli-Lehrer“. Aber Frau Ober sticht Herrn Unter. Es läuft nicht für Franz, der mitten in der Midlife-Krise steckt. Auch daheim. Seine Frau Linn (Patricia Aulitzky) ist frustriert („Ich weiß nicht mehr, wo der Mann hin ist, den ich mal geliebt habe“) und will mit ihm zum Workshop-Wochenende für Paare: „Fahrstuhl zum Glück“. Doch so richtig einsteigen will Franz nicht. Die pubertierende 14jährige Tochter Julie (Lucie Gartner) gibt sich rebellisch. Und auch eine Schülermama nervt ihn. Also: Ab ins Auto, laute Rockmusik an und los geht’s. An der Ampel will ein älterer Herr vor ihm einfädeln. Es ist Egon (Nikolaus Paryla). Der hat in Wien im Kaffeehaus in einer Zeitung entdeckt, dass seine einstige große Liebe Amalia ihren 85. Geburtstag begeht, er will sie überraschen. So quetscht er sich vor Franz an der Ampel auf die Abbiegespur, fährt in die Kreuzung ein, ein LKW rast heran, Crash. Egon stirbt. Und Franz wird klar, er hätte jetzt tot sein können.

Das Glück ist ein VogerlFoto: ORF / BR / Allegro / Stefanie Leo
Paarseminar „Fahrstuhl zum Glück“. Simon Schwarz, Stipe Erceg, Patricia Aulitzky

Zuhause nimmt er seine Frau Linn in den Arm, geht jetzt mit ihr sogar zu dem Workshop, macht „Lasst es raus“-Spielchen und nervige Sitzkreise unter dem hippen Rollkragen-Coach Sebastian (herrlich gespielt von Stipe Erceg) und sehnt sich nach seinem Traum, Rockstar zu werden. Doch da taucht Herr Egon auf und spricht mit ihm. Als Geist. Denn nur Franz kann ihn sehen. „Hast du was geraucht?“, fragt ihn Linn. Auch sie glaubt ihm nicht. Herr Egon („Davonrennen hilft leider nicht“) weicht nicht mehr von seiner Seite. Franz will ihn loswerden, doch der bittet ihn um einen Gefallen: Franz soll ihm helfen, Mali (Waltraut Haas), seine einstige große Liebe, die er vor vielen Jahrzehnten im Stich gelassen hatte, aus dem Koma aufzuwecken. Im Gegenzug will er Franz unterstützen, seine Ehe mit Linn zu retten. Denn die werte Gattin will die Scheidung. Das ungleiche Duo macht sich also auf den Weg, den beiderseits unliebsamen Bann zu brechen. Franz sucht Mali (stumme Rolle von Waltraut Haas) im Pflegeheim auf und lernt dort eine junge Krankenpflegerin und Musikerin kennen, Linn geht auf das Jobangebot von Sebastian ein, seine persönliche Assistentin zu werden.

Ein Mann in der Midlife-Crisis – auf den ersten Blick eine nette, jedoch nicht sonderlich originelle Konfiguration für einen Film. Aber hier bildet sie nur den Ausgangspunkt für eine Begegnung der unheimlichen Art: Mensch trifft Geist. Diese märchenhaften Ebene hat Ingrid Kaltenegger gewählt, um eine gänzlich geerdete Geschichte über die Liebe zu erzählen. Die in Salzburg (dort spielt auch der Film) geborene Autorin hat ihren Debütroman selbst in ein Drehbuch umgearbeitet. Christiane Kalss hat es überarbeitet. Schon der Titel verheißt einen charmant-sympathischen Tonfall – er bezieht sich auf ein Wiener Volkslied aus dem 19. Jahrhundert, dessen Trivialweisheiten an einen Hans-Moser-Singsang erinnert: „Das Glück is a Vogerl, gar liab, aber scheu, es lasst si schwer fangen, aber fortg’flogn is glei“. Und so rennen alle Beteiligten dieser feinsinnigen Geschichte diesem Vogerl des kleinen Glücks hinterher: der gelangweilte Franz, die enttäuschte Linn, deren Tochter und der alte Egon. Diese Vorweihnachtskomödie erzählt vom Finden, Verlieren und Wiederfinden der Liebe, von der Versöhnung mit der eigenen Vergangenheit und nicht zuletzt davon, sich selbst und seine Liebsten neu kennenzulernen und längst aufgegebene Träume erneut weiter zu träumen.

Das Glück ist ein VogerlFoto: ORF / BR / Allegro / Stefanie Leo
Der Traum vom Musiklehrer lebt wieder auf. Franz (Simon Schwarz) und Tessa (Julia Edtmeier).

Mit viel Charme und fein dosiertem Humor, noch mehr Herz und Gefühl lässt Regisseurin Catalina Molina, die bisher zwei ORF-„Landkrimis“ sowie im vergangenen Jahr den Wiener „Tatort – Glück allein“ inszeniert hat, ihre Protagonisten durch die Untiefen des Lebens waten. Molina gelingen liebevolle, kleine Szenen und manche Dialoge sind wunderbar auf den Punkt. „Wie ist das eigentlich, sterben?“, fragt Franz den sichtbaren Geist Egon beim gemeinsamen Gang über eine Brücke. „Ich habe nicht gemerkt, jetzt komm ich mich vor für Schrödingers Katze, gleichzeitig Tod und lebendig“, antwortet Egon. Darauf Franz: „Diesen Schrödinger, den sollte man kennen?“ Mehr wird nicht erklärt, macht den Zuschauer aber neugierig. „Schrödingers Katze“ ist ein Gedankenexperiment aus der Physik, in dem eine Katze in einen Zustand gebracht wird, in dem sie gleichzeitig „lebendig“ und „tot“ ist (siehe Kasten).

Bei Schrödingers Katze handelt es sich um ein Gedankenexperiment aus der Physik, das 1935 von Erwin Schrödinger vorgeschlagen wurde, um einen wesentlichen Schwachpunkt der Kopenhagener Interpretation der Quanten-Mechanik in Bezug auf die physikalische Realität aufzuzeigen. Es problematisiert die Kopenhagener Deutung der Quantenphysik in Form eines Paradoxons. Das besteht erstens darin, dass in dem Gedankenexperiment eine Katze in einen Zustand gebracht wird, in dem sie nach der Kopenhagener Deutung gleichzeitig „lebendig“ und „tot“ ist. Zweitens würde, ebenfalls nach der Kopenhagener Deutung, dieser unbestimmte Zustand so lange bestehen bleiben, bis er von einem Beobachter untersucht wird. Dann erst würde die Katze auf einen der Zustände „lebendig“ oder „tot“ festgelegt.
Das Gedankenexperiment beruht darauf, dass immer, wenn ein System gemäß der Kopenhagener Deutung zwei verschiedene Zustände einnehmen kann, auch die kohärente Überlagerung der beiden Zustände einen möglichen Zustand darstellt. Erst wenn eine Beobachtung oder Messung durchgeführt wird, mit der man zwischen den beiden ursprünglichen Zuständen unterscheiden kann, nimmt das System einen von beiden an. In Anlehnung an das Gedankenexperiment mit einem makroskopischen System spricht man auch bei einem quantenmechanischen System von einem Katzenzustand, wenn man die beiden Zustände in einer solchen Überlagerung durch eine Messung unterscheiden kann. (Quelle: Wikipedia)

Das Glück ist ein VogerlFoto: ORF / BR / Allegro / Stefanie Leo
Geist Egon (Nikolaus Paryla) besucht seine einstige große Liebe Amalia (stumme Rolle: Waltraut Haas) zu ihrem 85. Geburtstag. Franz (Simon Schwarz) hilft dabei.

„Das Glück ist ein Vogel“ lebt von seinen beiden Hauptfiguren, diesem ungleichen Buddypaar aus Mensch und Geist. Hier der gelangweilte, frustrierte Lehrer, der seinem Traum von einer Rockstar-Karriere nachläuft, die 1996 bei einem Bandcontest zerplatzt ist, weil sich die Gruppe noch vor dem großen Auftritt und Durchbruch zerstritten hat. Als er wieder Musik machen kann wie er sie mag, blüht er auf, erkennt aber am Ende, dass die Liebe wichtiger als der Ruhm ist. Und da ist Egon, der alte Herr, der mit seiner Mali glücklich werden und 1953 mit ihr auswandern wollte, dann aber Kinderlähmung bekommen hat, ein feiger Hund war, ihr das nicht sagen konnte und sie hat stehen lassen. Nur mit der Hilfe des anderen können Franz und Egon ihr Glück finden. Und ihnen dabei – wenn auch vorhersehbar – zuzusehen, ist sehr unterhaltsam. Auch wenn Simon Schwarz sich in den letzten Jahren ein wenig überspielt hat, vor allem in Komödien auf einen Typen reduziert wird, hier zeigt er, welch feiner Schauspieler er ist. Er gibt den Loser, der über Irrwege schließlich zum liebenswerten Lucky Loser wird. Und Nikolaus Paryla, der sich eher rar gemacht hat im Filmbereich (er ist ja auch schon 81!), spielt den verhuschten, knuddeligen Egon zwischen leisem Schmäh und feinem Humor. Das Glück mag ein Vogerl sein, das Glück dieses Films aber ist dieser wunderbare Mime …

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Fernsehfilm

BR, ORF

Mit Simon Schwarz, Nikolaus Paryla, Patricia Aulitzky, Lucy Gartner, Julia Edtmeier, Lino Gaier, Alice Prosser, Maria Hofstätter, Petra Morzé, Stipe Erceg, Law Wallner, Waltraut Haas, Inge Maux, Nikodemus Murnberger

Kamera: Michael Schindegger

Szenenbild: Nina Salak, Katharina Hering

Kostüm: Theresa Kopf

Schnitt: Julia Drack, Christoph Brunner

Musik: Patrik Lerchmüller

Redaktion: Klaus Lintschinger (ORF), Amke Ferlemann (BR)

Produktionsfirma: Allegro Film

Produktion: Helmut Grasser, Gabi Stefansich

Drehbuch: Ingrid Kaltenegger – nach Roman von Ingrid Kaltenegger, überarbeitet von Christiane Kalss

Regie: Catalina Molina

Quote: 3,67 Mio. Zuschauer (11,3% MA)

EA: 16.12.2020 20:15 Uhr | ARD

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