Clara Immerwahr

Katharina Schüttler, Maximilian Brückner, Harald Sicheritz. Vergessene Heldin

Foto: SWR / ORF / Domenigg
Foto Thomas Gehringer

Der Fernsehfilm „Clara Immerwahr“ erzählt die weitgehend unbekannte Geschichte einer Chemikerin und Pazifistin, die sich 1915 selbst tötete. Ihr Ehemann Fritz Haber war verantwortlich für die Entwicklung von Giftgas-Granaten, die im Ersten Weltkrieg zum Einsatz kamen. Kein kostümiertes Lehrstück, sondern ein differenziertes, intensives Porträt und Ehe-Drama mit einer großartigen Katharina Schüttler in der Titelrolle und einem wunderbaren Szenenbild. Großes, aus einem Einzelschicksal entwickeltes Historien-TV.

Berlin, April 1915: Clara Haber sitzt am Steuer des Autos und fährt ihren Mann Fritz zur Arbeit, zum von Soldaten bewachten Kaiser-Wilhelm-Institut. Es herrscht eine angespannte Stimmung zwischen den Eheleuten. Als Clara gerade die Rückfahrt angetreten hat, fliegt nach einer Explosion im Institut die Scheibe aus einem Fenster. Was drinnen geschehen ist, erfährt das Publikum erst am Ende des historischen Spielfilm-Porträts Films „Clara Immerwahr“, der nun in Rückblenden das Leben der Titel gebenden Hauptfigur erzählt. Beginnend 1887 in Breslau, wo die junge, wissbegierige Frau vom Abitur und einem Studium an der Universität träumt, bis zum Ersten Weltkrieg und einer in die Krise geratenen Forscher-Ehe.

Immerwahr – dieser schöne Name scheint lebhafter Phantasie entsprungen zu sein. Aber das historische TV-Biopic erzählt die Geschichte realer Personen. Clara Immerwahr, die aus einer wohlhabenden jüdischen Familie stammte, war Chemikerin. Und die erste Frau, die an der Universität Breslau das Doktorexamen ablegte. Sie heiratete Fritz Haber, den späteren Nobelpreisträger für Chemie (1918). Den Preis erhielt der ebenfalls aus einem jüdischen Elternhaus stammende Wissenschaftler für seine Forschung zur synthetischen Herstellung von Ammoniak, was der Düngung in der Landwirtschaft zugute kam. Doch Haber war auch derjenige, der die Forschung mit Giftgas vorantrieb und deren Einsatz im Ersten Weltkrieg überwachte. Seine Frau Clara, eine überzeugte Pazifistin, erschoss sich am 2. Mai 1915 in Berlin, kurz nach dem ersten Gas-Angriff des deutschen Militärs in der Schlacht bei Ypern.

Clara ImmerwahrFoto: SWR / ORF / Domenigg
Noch stimmt die Chemie zwischen den beiden: Clara Immerwahr (Katharina Schüttler) & Fritz Haber (Maximilian Brückner)

Clara Immerwahr ist heute weitgehend vergessen, die Filmemacher verweisen im Abspann auf eine Biographie von Gerit von Leitner (1993), die aber auch schon 1993 erschienen ist. Die Quellenlage ist dünn, aber dieses Schicksal bietet nicht nur hoch-dramatischen Stoff, sondern steht auch exemplarisch für bedeutsame Themen: die Stellung der Frauen in der Kaiserzeit und deren emanzipatorischer Aufbruch, der Wunsch nach Anpassung und Anerkennung bei den Juden sowie der Fortschrittsglaube und die Begeisterung für die Wissenschaft – und deren Missbrauch für kriegerische Zwecke. Zugleich sind Themen wie Emanzipation und Ethik in den Wissenschaften bis heute aktuell. Wie schwer es zum Beispiel ist, Karriere und Kinderkriegen zu vereinbaren, das beschäftigt Frauen (und Männer) auch 100 Jahre später noch. Ein klug ausgewählter, „reicher“ Stoff also, der im Rahmen des ARD-Schwerpunkts zum Ersten Weltkrieg ausgestrahlt wird.

Dennoch wirkt die Inszenierung des Österreichers Harald Sicheritz nur selten wie ein Lehrstück mit ins Schaufenster gestellten Thesen. Bis auf wenige Szenen wird hier alles aus der Perspektive der um ihre Chancen, um ihren Traum kämpfenden Clara Immerwahr erzählt. Mühselig ihr Vordringen in die Männerwelt der Universität und der Labors, wo ihr patriarchalische Rektoren und pöbelnde Burschenschaftler den Weg versperren wollen. Oder wo männliche Kommilitonen ihre chemischen Versuche sabotieren; heute würde man das Mobbing nennen. Um so klarer wird die Hoffnung, die Clara Immerwahr mit der Ehe mit Fritz Haber verbindet, dessen erstem Antrag sie im übrigen nicht zustimmt: Gemeinsam wollen sie die Welt aus dem Labor heraus verändern, verbessern.

Sehr schön wird die Begeisterung für die Chemie mit kleinen Kunststücken inszeniert, mit Claras „Sternchenfeuer“ auf der Geburtstagstorte für den Bruder oder mit dem „Gewitter im Glas“, einer Art Mini-Feuerwerk im Reagenzglas, das der verliebte Fritz für Clara entfacht. Neben den Kostümen, neben bestaunten Neuerungen wie Fahrrad, Auto oder Heißluftballon bietet die Szenerie der Labors einen ganz eigenen historischen Schauwert. Statt auf überwältigende Opulenz setzen Ausstattung, Szenenbild und Licht auf Ausdruckskraft. Da ist der eher verträumt wirkende Raum in Claras Elternhaus, wo sie ihre Lust aufs Experimentieren ungehindert ausleben kann. Da sind die schweren, ordentlich aufgereihten Lehrtische in einem mit Holz ausgelegten, nach Tradition förmlich riechenden Raum an der Uni Breslau. Da sind die klinisch-kühlen Labors an der TU Karlsruhe, wo Fritz Haber seine Mitarbeiter am Ende stramm stehen lässt. Und schließlich das düstere Labor in Berlin, wo die Hölle des Giftgas-Krieges entfacht wird. So verliert die Chemie schon in der Abfolge der Ausstattung symbolisch ihre Unschuld.

Clara ImmerwahrFoto: SWR / ORF / Domenigg
Über die Giftgas-Erfindung ihres Mannes gerät Clara Immerwahrs Ehe in die Krise. Preiswürdig: Katharina Schüttler

Bis auf ganz wenige Dokumentarszenen vom Krieg und vom Berlin der Kaiserzeit, bis auf die Inszenierung des Gas-Angriffs in Ypern bleiben Drehbuch und Regie bei Clara Immerwahrs persönlicher Geschichte. Aus ihrem kämpferischen, erfrischenden Eroberungsfeldzug in der Männer-Domäne Wissenschaft wird immer mehr ein bedrückendes Ehe-Drama. Und aus dem Film ein Kammerspiel als Bühne für die Schauspielkunst. Ein Ereignis ist allein schon Katharina Schüttler in der Titelrolle. Die Konventionen der damaligen Zeit erfordern ein vergleichsweise zurückhaltendes Spiel, umso wichtiger sind Blicke, Gesten, Haltung, mit denen Schüttler Kraft, Wut, Verzweiflung ihrer Figur zum Ausdruck bringt. Beeindruckend, wie raum- und bildfüllend diese zierliche Frau agieren kann. Und in Maximilian Brückner als Fritz Haber hat Schüttler durchaus einen würdigen Mitspieler. Beide haben knapp drei Jahrzehnte Lebensspanne schauspielerisch zu bewältigen, was überzeugend gelingt, auch wenn der wilhelminische Stil aus heutiger Perspektive befremdlich wirkt. Außerdem gibt es noch eine Reihe gut besetzter Nebenrollen (Neuhauser, Schwarz, Zirner, Simonischek).

Einige Szenen von „Clara Immerwahr“ wirken – zeitbedingt – etwas steif und theatralisch, und das Finale ist übertrieben melodramatisch inszeniert, dennoch ist insgesamt die Mischung aus Porträt und historischem Drama auf herausragende Weise gelungen. In manchen „Event“-Filmen scheint ein besonderes Datum oder Ereignis nur der Anlass zu sein, um austauschbare Liebes-Dramen zu konstruieren. Hier ist es umgekehrt: Das reale, konzentriert und differenziert erzählte Einzelschicksal und Ehe-Drama ist Ausgangs- und bleibt Mittelpunkt. Und vermittelt dennoch „große“ Geschichte. (Text-Stand: 2.5.2014)

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Fernsehfilm

ARD Degeto, MDR, ORF, SWR

Mit Katharina Schüttler, Maximilian Brückner, Peter Simonischek, Simon Schwarz, August Zirner, Elisabeth Orth, Stefanie Dvorak, Philip Hochmair, Lucas Gregorowicz, Uwe Bohm, Adele Neuhauser, Bernd Stegemann

Kamera: Helmut Pirnat

Schnitt: Paul Michael Sedlacek

Szenenbild: Bertram Reiter

Kostümbild: Caterina Czepek

Produktionsfirma: MR-Film

Drehbuch: Susanne Freund, Burt Weinshanker

Regie: Harald Sicheritz

Quote: 3,98 Mio. Zuschauer (14,1% MA)

EA: 28.05.2014 20:15 Uhr | ARD

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