Sie toben ausgelassen miteinander herum, sie necken sich wie frisch Verliebte zu Beginn der Pubertät. Ihre Berührungen bleiben flüchtig, unerotisch und haben doch etwas sehr Intimes. Toni (Lana Cooper) und Bruno (Julius Nitschkoff) jobben als Reinigungskräfte auf Ibiza. Noch ist Vorsaison. Und so können die beiden trotz ihrer prekären Lebenssituation zusammen viel Spaß haben. Sie wirken wie ein eingespieltes Team. Sie ist 36, er 21. Sie sind kein Liebespaar, sondern Mutter und Sohn. Toni scheint mit Brunos Hilfe bis heute, ihre Jugend nachzuholen und das Jungsein zu feiern. Nachdem sie ihn großgezogen hat, scheint nun sie an der Reihe zu sein. Oder war es vielleicht schon immer so, dass er auf sie aufpassen musste? „Ich kümmere mich wirklich gern um dich“, sagt er – und will sie mit seinem Zusatzlohn groß zum Essen ausführen. „Dass alles so bleibt, wie es ist“ wünscht sie sich zu seinem Geburtstag. Bruno indes treibt immer mehr die Frage um: Wie krieg ich diese Mutter groß?
Foto: BR / Kolleczek Kalekone / ifs
„Bulldog“, der Titel von André Szardenings Debütfilm, spielt augenscheinlich auf Bruno an, aus dessen Perspektive der Film erzählt ist: Mit traurigem Hundeblick und kurzzeitig rüdem Trotz reagiert er auf eine Liaison seiner Mutter mit Hannah (Karin Hanczewski). „Wie lange bleibt die Alte?“, fragt er verächtlich, drängt sich wenig später ins Bett zwischen die Frauen und holt sich seine Mutter zurück, bevor er derb männlich sein Revier markiert, indem er Hannahs Auto bepinkelt. Doch bald merkt er, dass sie gar nicht so übel ist. Jedenfalls klaut, lügt und manipuliert sie nicht wie seine Mutter. Sie ist feinfühlig, patent und ergreift schon mal Partei für Bruno, wenn sich Toni gewohnt egozentrisch gehen lässt. Trotzdem: Wie jedes Kind liebt dieser nicht abgenabelte Junge seine Mutter. Der verantwortungsvolle Kümmerer, dessen umsorgende Art auch ein kleines Mädchen (Zoe Trommler) aus der Ferienanlage zu schätzen weiß, würde alles für Toni tun. Als sie sich mal wieder selbst in die Bredouille bringt, muss er bei ihrem Chef (Moritz Führmann) mehr als ein gutes Wort einlegen.
Trotz narrativer Zuspitzung verzichtet André Szardenings auf eine ausgespielte Spannungs-Dramaturgie. „Bulldog“ besitzt wenig Dialog und keine erklärende Psychologie. Der Abschlussfilm der ifs Köln orientiert sich erkennbar an der sogenannten Berliner Schule: Im ausschnitthaften Her-Zeigen von Situationen und feinen Verschiebungen im Beziehungs-Dreieck, in kleinen Gesten und Berührungen manifestiert sich die Ko-Abhängigkeit von Mutter und Sohn. Dieser Film variiert zwar das Phänomen „Parentifizierung“ auf ästhetisch & filmisch radikale und mitunter befremdliche Art und Weise, ohne dabei auf einen Tabubruch abzuzielen, thematisiert das „merkwürdige“ Verhalten aber nicht wie in einem Fernsehfilm, sondern dringt phänomenologisch ein in diese toxische Symbiose. Von Ibiza sieht man nicht viel. Die Charaktere sind sich selbst genug. Reden, Brüllen, Chillen, Tanzen, Saufen, Kuscheln, Katerpflege. Dass Mutter und Sohn in ihrer Beziehung gefangen sind, nehmen sie nicht wahr. Szardenings Kamera bannt die Beziehung entsprechend in engen, realistisch cadrierten Bildern. Klaustrophobische Atmosphäre, schmerzliche Dysfunktionalität, wenig Dramaturgie, wenig Handlung – und doch versetzte dieses unspektakuläre Drama den Kritiker in einen guten Flow aus Schauen und Neugier, was besonders dem großartigen Trio Julius Nitschkoff, Lana Cooper & Karin Hanczewski zu verdanken ist. (Text-Stand: 15.6.2023)