Ausgerechnet Sylt

Fabian Busch, Katja Studt, Martin Brambach, Susanna Salonen. Schön anzuschauen

Foto: ZDF / Christine Schroeder
Foto Tilmann P. Gangloff

Rückkehr in die alte Heimat, Jugendliebe, ein Bauprojekt in einem Naturschutzgebiet, gebrochene Herzen zu Beginn des letzten Akts: „Ausgerechnet Sylt“ (ZDF / Nordfilm) erfüllt praktisch alle nur denkbaren Fernsehfilmklischees von Liebesgeschichten in der Provinz. Dass die Dramedy trotzdem Spaß macht, hat sie vor allem Fabian Busch und Katja Studt zu verdanken, die als Paar ausgezeichnet miteinander harmonieren. Aus dem Genrerahmen fallen auch die herbstlichen Inselbilder von (Dokumentarfilm-)Kameramann Thomas Plenert. Die Einfallslosigkeit bei den Rahmenbedingungen der Story ist indes fast schon ärgerlich.

Diese Ideenarmut ist ein Ärgernis. Immer und immer wieder erzählen ARD und ZDF auf ihren filmischen Zeitvertreibsendeplätzen Geschichten, die nach dem gleichen Schema konstruiert sind: Die Hauptfigur, meist eine Frau, kehrt in jene Gefilde zurück, in denen sie aufgewachsen ist. Die erste Person, die ihr dort über den Weg läuft, ist die Jugendliebe. Die Auswahl der Schauplätze beschränkt sich auf die Berge oder das Meer: Die eine Hälfte der Filme spielt in Oberbayern oder in Tirol, die andere auf einer der vielen (Halb-)Inseln vor den Küsten Frieslands oder Vorpommerns, wo mittlerweile auch jeder zweite Krimi gedreht wird. Und die Handlungskonflikte sind in Heimatfilm und Provinzkrimi oft identisch: Den Bösewichten ist jedes Mittel recht, um die unberührte Natur durch Protzbauten zu verschandeln.

All’ diese Versatzstücke kommen auch in „Ausgerechnet Sylt“ vor. Der Film wirkt, als habe ein Autor den Auftrag bekommen, eine Geschichte „mit den üblichen Zutaten“ zu erzählen, aber ihr einen originellen Dreh zu geben. Das funktioniert sogar, obwohl die Konstellation bloß in einem einzigen Punkt vom Schema F abweicht: Die Hauptfigur ist Heimkehrer und Antagonist in einer Person. Die Besetzung mit Fabian Busch lässt aber keinen Zweifel daran, dass der knuffige Kevin zu den Guten gehört. Der Architekt arbeitet für ein Investment-Unternehmen, das auf der ganzen Welt Luxusdomizile errichtet; nun ist Sylt an der Reihe. Das Projekt ist Kevins letzte Chance, seinen Job zu behalten. Zum Vollzug fehlt nur noch die Unterschrift der widerspenstigen Bente (Katja Studt), die zu allem Überfluss Wortführerin einer Bürgerinitiative gegen den Ausverkauf der Insel ist. Den Rest kann man sich selbst dann denken, wenn man noch nie einen Freitagsfilm im „Ersten“ oder einen „Herzkino“-Beitrag sonntags im ZDF gesehen hat: Rettungsschwimmerin Bente holt Kevin aus dem kalten Wasser, die beiden verlieben sich ineinander, er zieht sein Ding dennoch durch und überredet sie zum Verkauf, weil ihr Eigenheim angeblich vom Hausschwamm befallen ist; der letzte Akt kreist erwartungsgemäß um die Frage, wie die gebrochenen Herzen wieder zueinander finden.

Ausgerechnet SyltFoto: ZDF / Christine Schroeder
Kevins (Fabian Busch) Tochter Lilly (Paula Hartmann) ist überhaupt nicht begeistert vom gemeinsamen Urlaub auf Sylt.

Eine ergänzende (positive) Meinung:
„Mit charmanter Wahrhaftigkeit  trägt die gebürtige Hamburgerin Katja Studt diese Mischung aus Drama und Romanze fast allein. Regisseurin Susanna Salonen beweist allerdings auch gutes Gespür für das angespannte Vater-Tochter-Verhältnis und bringt die Kritik am (symptomatischen) Ausverkauf Sylts ohne Wenn und Aber rüber… Frisch, herzlich, nicht kühl wie ’ne steife Meeresbrise“ (TV-Spielfilm)

Und noch weitere (positive) Anmerkungen & Ergänzungen:
Mag auf dem Papier der Plot tatsächlich alles andere als originell sein, so ist die Sylter Gentrifizierung für einen Unterhaltungsfilm glaubwürdig dargestellt und geschickt mit der stereotypen Liebesgeschichte verquickt. Das Entscheidende aber ist: Die Figuren haben das Sagen, sie emanzipieren sich vom typischen Handlungsmuster einer solchen Liebesanbahnung in touristisch attraktiver Gegend. Auch wenn die Konflikte ausgedacht wirken, so vermitteln Studt & Busch doch eine ganze Menge von den Gewissensbissen, inneren Zwängen und moralischen Bedenken ihrer Protagonisten. Auch das Vorspiegeln falscher Tatsachen, ein beliebtes Muster in Unterhaltungsfilmen, wirkt in „Ausgerechnet Sylt“ charmanter, eben weil die Menschen hinter diesem Muster nicht verloren gehen. Und wie Thomas Plenert Landschaft und Leute ins Bild rückt, davon können sich andere Kameramänner im Einsatz fürs leichte bis seichte Fach eine Menge abgucken. Ein bisschen Glück war auch dabei: Nebel, Wind, Wolken & nicht zu viel Sonnenschein – so unterstützen Wetter und Bildgestaltung den Alltagstouch der Geschichte. Fazit: Wenn man sich den Film anschaut (im wahrsten Sinne des Wortes!) und ihn vergleicht mit ähnlichen Produktionen, kann man nur wenig Einwände haben. Insofern hat Gangloff recht: Die Kritik am „stereotypen Aufbau der Handlung“ ist akademisch. Trotzdem dürfen die Macher, was die Plots solcher Filme angeht, durchaus kreativer werden! R. Tittelbach

Überraschenderweise ist „Ausgerechnet Sylt“ der Vorhersehbarkeit zum Trotz durchaus kurzweilig, obwohl das von Regisseurin Susanna Salonen und Florian Gärtner bearbeitete Drehbuch (erste Version: Sebastian Andrae) auch innerhalb des schematischen Rahmens nicht an Klischees spart. So bringt Kevin zum Beispiel seine 15jährige Tochter Lilly (Paula Hartmann) mit auf die Insel. Der Nachwuchs ist in solchen Filmen vorzugsweise halbwüchsig und weiblich, weil Mädchen in diesem Alter in der Regel die besseren Schauspielerinnen sind. Die Pubertät sorgt zudem für zusätzliche Konflikte und amüsante Dialogduelle. Auch Lilly findet ihren Vater „voll peinlich“, fordert ihn auf, endlich „ein politisches Bewusstsein“ zu entwickeln und erkennt mit dem typischen Scharfsinn einer Fernsehfilmtochter, dass Kevin einst in Bente „verknallt“ war. Einwände gegen die Schablonenhaftigkeit der erzählerischen Rahmenbedingungen sind ohnehin allesamt akademischer Natur. Liebhaber und Liebhaberinnen solcher Geschichten könnten dagegenhalten, dass es im „Tatort“ auch bloß jedes Mal darum gehe, einen Mord aufzuklären. Tatsächlich hat die Kritik am stereotypen Aufbau der Handlung keine Chance mehr, wenn es den Schauspielern gelingt, die holzschnittartigen Figuren mit Leben zu füllen. Entscheidend ist dabei vor allem die Chemie zwischen den beiden Hauptrollen, und die funktioniert in „Ausgerechnet Sylt“ prächtig. Katja Studt musste in ihren letzten Rollen oft eher spröde Typen verkörpern, die meist Spielball der Handlung waren. Hier jedoch darf sie eine Menge pausbäckig-jugendlichen Charme versprühen und eine schöne Mischung aus starken und schwachen Momenten ausleben.

Ausgerechnet SyltFoto: ZDF / Christine Schroeder
Bente ist mit Kevin auf den Leuchtturm der Insel gestiegen. Fabian Busch und Katja Studt in „Ausgerechnet Sylt“ (ZDF, 2018)

Soundtrack:
Burning Spear („Social Living“), Haddaway („What Is Love“), Scott McKenzie („San Francisco“), Bob Dylan („Lay Lady Lay“), José Feliciano („Light My Fire“)

Außerdem ist eine Single-Frau, die Zufallsbekanntschaften mit nach Hause nimmt und später wieder hinauskomplimentiert („Übernachten is’ nich’“), im Fernsehfilm von ARD und ZDF immer noch nicht selbstverständlich. Zumindest laut Arbeitstitel – „Die letzte Sylterin“ – ist Bente ohnehin die zentrale Figur. Sie wird auch als erste eingeführt; erst dann kommt Kevin, der in seiner Jugend als sächsischer Zugereister von seinen Mitschülern gemobbt worden ist.
Weitere Klischeefiguren sind Bentes fidele Mutter (Petra Kelling), die mit ihren Heimfreundinnen Shisha raucht und Karten spielt, sowie der örtliche Immobilienmakler. Martin Brambach sorgt allerdings dafür, dass diese Rolle kein bloßes Abziehbild bleibt. Er versieht den geschmacklos bunt gekleideten Eddi zwar mit einigen der für ihn typischen Attitüden, tut das aber wie stets mit so viel Hingabe, dass das Zuschauen einfach Spaß macht. Unnachahmlich ist unter anderem seine Verkörperung kognitiver Dissonanzen: Als Kevin den Makler zu Beginn des Films wegen des letzten noch nicht gekauften Grundstücks zur Rede stellt, kämpft und arbeitet es in Eddi, eigentlich müsste sein Kopf qualmen, aber irgendwie schafft er es, so tun, als habe er alles im Griff. Marc Ben Puch dagegen gelingt es nicht, aus seiner Rolle als Kevins überheblicher Chef auszubrechen, dafür ist die Figur auch zu schlicht. Bester Beleg: Das Drehbuch schickt ihn auf den Golfplatz. Golfspieler sind im schlichten Weltbild solcher Filme grundsätzlich böse Menschen. Zum Ausgleich erfreut das Autorentrio durch Kleinigkeiten wie den Einsiedlerkrebs, den Kevin versehentlich mitgenommen hat und dem er zum Abendessen ein Fischstäbchen serviert.

„Ausgerechnet Sylt“ ist nach der Kinoproduktion „Patong Girl“ (für den es 2016 den Grimme-Preis gab) erst der zweite Spielfilm der langjährigen Dokumentarfilmerin und Kamerafrau Salonen, aber davon ist bei der Arbeit mit den Schauspielern nichts zu merken. Sehr schön anzuschauen sind auch die herbstlichen Syltbilder (Kamera: Thomas Plenert), erst recht, wenn sich die Sonne durch den Nebel kämpft oder Nebelschwaden Bentes Reetdachhaus wie ein verwunschenes Märchenbauwerk wirken lassen. Das passt zum Sinneswandel Kevins, der wie einst der Eindringling in „Local Hero“ (1983) schließlich die Seiten wechselt und gemeinsam mit Bente nächtliche Parolen gegen die Invasoren sprüht. (Text-Stand: 7.4.2018)

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Fernsehfilm

ZDF

Mit Fabian Busch, Katja Studt, Martin Brambach, Paula Hartmann, Marc Ben Puch, Petra Kelling, Linus Düwer, Katrin Ingendoh, Katrin Wichmann, Robert Schupp

Kamera: Thomas Plenert

Szenenbild: Bärbel Menzel

Kostüm: Stefanie Jauß

Schnitt: Stefan Oliveira-Pita

Musik: Stefan Wulff, Hinrich Dageför

Redaktion: Thorsten Ritsch

Produktionsfirma: Nordfilm

Produktion: Johannes Pollmann

Drehbuch: Sebastian Andrae, Florian Gärtner, Susanna Salonen

Regie: Susanna Salonen

Quote: 5,23 Mio. Zuschauer (17,5% MA); Wh. (2020): 4,47 Mio. (13,4% MA)

EA: 03.05.2018 20:15 Uhr | ZDF

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