Arctic Circle – Der unsichtbare Tod

Iina Kuustonen, Maximilian Brückner, Joona Tena, Salonen. Siebeneinhalb Stunden

Foto: ZDF / Hannele Majaniemi
Foto Tilmann P. Gangloff

In den endlosen weißen Weiten Lapplands treibt der potenziell schlimmste Serienmörder der Fernsehgeschichte sein Unwesen: das Jemen-Virus. In der finnisch-deutschen Koproduktion „Arctic Circle“ (ZDF) suchen ein deutscher Virologe und eine mutige einheimische Polizistin gemeinsam nach dem Ursprung der Seuche, die sich im Nu über den ganzen Erdball ausbreiten könnte. Nach reizvollem Auftakt mit faszinierenden Landschaftsaufnahmen fällt die Spannung in den weiteren Episoden zunächst jedoch ab, weil Autor Joona Tena einige überflüssige Umwege nimmt; das letzte Viertel ist dafür umso packender. Regie führte Hannu Salonen. Der gebürtige Finne hat sein Metier an der DFFB in Berlin gelernt und konnte somit das Beste zweier Welten in die Reihe einbringen: finnische Seele, deutsches Handwerk.

Obwohl Krimiserien aus Skandinavien auch hierzulande hoch im Kurs stehen, hat sich der Genrebegriff „Nordic noir“ als Qualitätsmerkmal vor allem im englischen Sprachraum durchgesetzt. „Noir“ (schwarz) bezieht sich selbstverständlich auf die Düsternis der Geschichten, die regelmäßig die finstersten Abgründe der menschlichen Seele beleuchten. „Arctic Circle“ (die englische Bezeichnung für den nördlichen Polarkreis) wäre demnach „Nordic noir et blanc“, denn die erste finnisch-deutsche Krimireihe im ZDF spielt in den scheinbar endlosen winterlich weißen Weiten Lapplands. Vor dem Hintergrund dieser faszinierenden Landschaft erzählt Drehbuchautor Joona Tena eine Geschichte, die zwei gänzlich unterschiedliche Sujets und somit auch zwei völlig verschiedene Figuren kombiniert: Eine mutige einheimische Polizistin (Iina Kuustonen) sucht einen Serienmörder, ein deutscher Virologe (Maximilian Brückner) den Ursprungswirt, der im nördlichsten Norden Europas ein tödliches Virus verbreitet; die beiden treffen aufeinander, weil sie dasselbe Ziel verfolgen.

Es gibt noch weitere deutsche Mitwirkende, darunter Clemens Schick und Aleksandar Jovanovic, doch für den wichtigsten deutschen Einfluss sorgte der Mann auf dem Regiestuhl: Hannu Salonen ist gebürtiger Finne, hat sein Metier aber in den frühen Neunzigerjahren an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin gelernt, lebt seither in Deutschland und hat sich seine Meriten durch diverse Beiträge für die beiden ARD-Sonntagskrimireihen „Tatort“ und „Polizeiruf 110“ erworben; fürs ZDF hat er unter anderem „Schuld“ nach Ferdinand von Schirach und mehrere Beiträge für „Die Toten vom Bodensee“ gedreht. Salonen repräsentiert also gewissermaßen das Beste zweier Welten: finnische Seele und deutsches Handwerk. Skandinavische Serien leben oft von ihrer ganz speziellen Atmosphäre, was nicht jedermanns Sache ist: Action zum Beispiel gehört eher nicht zu den typischen Merkmalen. Salonen gleicht das aus, indem er seine Heldin regelmäßig mit dem Schneemobil durch die Landschaft brausen lässt. Das bringt tolle Bilder (Kamera: Mikael Gustafsson), hat der Hauptdarstellerin (falls sie selbst gefahren ist) garantiert großen Spaß gemacht und zur Folge, dass „Arctic Circle“ zumindest in dieser Hinsicht Ähnlichkeit zu Taylor Sheridans modernem Western „Windy River“ (2017) aufweist; auch dort geht es um die Jagd nach einem Frauenmörder.

Arctic Circle – Der unsichtbare TodFoto: ZDF / Hannele Majaniemi
Dr. Thomas Lorenz (Maximilian Brückner), der deutsche Viren-Experte, bei seiner Ankunft in Lappland.

Außerdem weiß Salonen, wie man für Thriller-Spannung sorgt. Die Handlung beginnt mit einem vermeintlichen Routineeinsatz: Nina Kautsalo (Kuustonen) soll gemeinsam mit einem Kollegen einen angeblichen Wilderer in dessen Hütte irgendwo im Nirgendwo festnehmen. Die beiden entdecken einen versteckten Zugang zum Keller, wo sie eine halb erfrorene Frau finden. Die als Streifenpolizistin unterforderte Nina ahnt, dass es noch mehr Opfer geben muss. Tatsächlich stoßen Spürhunde auf weitere Leichen. Es sind russische Prostituierte, die mit fahrbaren Bordellen durch Lappland touren. Weil das erste Opfer das tückische Jemen-Virus in sich trägt, alarmieren die Behörden Thomas Lorenz (Brückner), Spezialist für gefährliche Viren beim Europäischen Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) in Helsinki. Der tödliche Erreger hat sich an einen harmlosen Herpes-Virus angedockt und wird beim Sex übertragen. Im Jemen hat er ganze Dörfer ausgelöscht, konnte aber isoliert werden. In der westlichen Welt wäre das unmöglich; eine Pandämie droht. Die ehrgeizige Nina muss die Ermittlungen zwar einem arroganten Kommissar überlassen, bleibt dem Fall aber erhalten, denn fortan soll sie als Kontaktbeamtin des Virologen dienen: Lorenz kommt nach Lappland, um den Ursprungswirt des Erregers zu suchen; er braucht unbedingt eine Blutprobe von Patient Null, um das Virus bekämpfen zu können. Unter den Befallenen ist auch Ninas Schwester: Marita (Pihla Viitala) arbeitet im größten Hotel der Gegend und führt ein aktives Sexualleben, ist allerdings auch eine widerspenstige Patientin.

Während die ersten 90 Minuten durchgehend fesseln, stellt sich bei den weiteren Episoden erst eine gewisse Ermüdung und dann die Frage ein, ob der Stoff (im Original 10 mal 45 Minuten) tatsächlich über siebeneinhalb Stunden trägt. Einige Seitenstränge hätten sich in der Tat zur Kürzung angeboten. Die Auseinandersetzungen Ninas mit dem nichtsnutzigen Erzeuger ihrer Tochter führen ebenso vom Kern der Geschichte weg wie die Eifersucht von Gunilla Lorenz (Maria Ylipää). Deren überflüssige Zickigkeit mündet in einen hässlichen Sorgerechtsstreit und soll wohl Verständnis dafür wecken, dass sich Ehemann Thomas in Nina verliebt. Auf Dauer büßen selbst die Schneemobiltrips an Faszination ein, selbst wenn die fast schwarzweiß wirkenden Landschaftsaufnahmen exquisit bleiben. Einen an sich schönen Sonnenuntergang im ersten Film lässt Gustafsson so aussehen, als würde sich der Schlund der Hölle öffnen.

Für einen gewissen Reiz sorgen neben der Frage, wo sich die Prostituierten und Marita den Virus eingefangen haben, auch die rätselhaften Rollen, die Clemens Schick und Aleksandar Jovanovic in dem Mehrteiler spielen. Richtig spannend wird „Arctic Circle“ tatsächlich erst wieder, als die beiden zu Hauptdarstellern werden und die furchtbare Wahrheit über das Virus ans Licht kommt; nun stellt sich auch heraus, auf welch’ tragische Weise die Schicksale des schwerreichen Unternehmers Eiben (Schick) und des russischen Mafiabosses (Jovanovic) miteinander verwoben sind. Zunächst reduziert sich der Anteil des charismatischen Russen jedoch auf eindrucksvoll athletische Turnübungen und düstere Anweisungen, die unter anderem zur grausigsten Szene der Serie führen: Die Folter des vermeintlichen Wilderers wird zwar nur angedeutet, aber ein Teelöffel sowie ein herrenloses Auge genügen, um ein finsteres Kopfkino in Gang zu setzen. Ähnlich unschön sind die Fotos von den Folgen, die das Virus bei Schwangeren auslöst. Ein von Eiben organisiertes Himmelfahrtkommando nach Russland beschert der Serie schließlich zum Finale klassische Action-Spannung.

Sprache(n) & Schauplätze. „Arctic Circle“ ist in der Original-Fassung mehrsprachig: Die Deutschen sprechen Englisch, alle anderen je nach Herkunft Finnisch und Englisch oder Russisch und Englisch. Wie immer in solchen Fällen hat sich das ZDF nicht getraut, eine untertitelte Version auszustrahlen, weshalb sämtliche Beteiligten Deutsch reden. Immerhin ist die Synchronisierung gelungen, und der Vorspann ist ebenfalls ein kleines Kunstwerk. Auch die Schauplätze sind interessant: Eibens Operationszentrum ist eine vergessene Mine, deren Zugang wie ein überdimensionierter Maulwurfshügel aussieht, und der Russe residiert in einem überm See in den Fels integrierten Betonbau.

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Serie & Mehrteiler

ZDF

Mit Iina Kuustonen, Maximilian Brückner, Pihla Viitala, Janne Kataja, Clemens Schick, Aleksandar Jovanovic, Susanna Haavisto, Maria Ylipää

Kamera: Mikael Gustafsson

Szenenbild: Antti Nikkinen

Kostüm: Susse Roos, Emmi Leeve

Schnitt: Iikka Hesse

Musik: Vladislav Delay

Redaktion: Silvia Lambri, Wolfgang Feindt

Produktionsfirma: Yellow Film & TV, Bavaria Film, Elisa Viihde

Produktion: Olli Haikka, Jarkko Hentula, Moritz Polter, Milla Bruneau

Headautor*in: Joona Tena

Drehbuch: Joona Tena, Jón Atli Jónasson, Petja Peltomaa

Regie: Hannu Salonen

Quote: (1): 2,24 Mio. Zuschauer (11,4% MA); (2): 1,84 Mio. (9,2% MA); (3): 1,91 Mio. (8,9% MA); (4): 2,09 Mio. (10,5% MA); (5): 1,94 Mio. (9,1% MA)

EA: 16.02.2020 22:15 Uhr | ZDF

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