Alles muss raus – Eine Familie rechnet ab

Atzorn, Martinek, Preuß, Lukas, Zahavi. Komplex, zeitökonomisch, glaubwürdig

Foto: ZDF / Hans-Joachim Pfeiffer
Foto Klaudia Wick

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„Alles muss raus – Eine Familie rechnet ab“ nimmt sich viel Zeit, um eine komplexe Unternehmensgeschichte zu erzählen, die nicht nur, aber auch an „Schlecker“ erinnert. Der Film ist in seiner Dramaturgie so ökonomisch wie ein Discounter. Das macht vor allem die Exposition zu einem Feuerwerk der Eindrücke und Perspektiven… Die Charaktere ALLER Milieus sind glaubwürdig. Und der Stoff, aus dem dieser ZDF-Zweiteiler gemacht ist, erinnert in seinen besten Momenten an die legendären Wedel-Zweiteiler; die Macher kennen aber auch die neuen amerikanischen Serien und sie treffen zumindest deren lässigen Erzählstil.

Als 2012 die Drogeriemarktkette „Schlecker“ Insolvenz anmeldete, tauchte in den Medien schnell der Begriff der „Schlecker-Frauen“ auf. Wer von „Schlecker-Frauen“ sprach oder schrieb, meinte mehr damit als nur die 25.000 entlassenen Verkäuferinnen und Filialleiterinnen. Mitgemeint war immer auch der unverschuldete Abstieg einer ganzen sozialen Schicht und das schlechte Gewissen einer Gesellschaft, die nach dem Prinzip „Geiz ist geil“ ihren Teil dazu beigetragen hatte, dass bei „Schlecker“ die Arbeitsbedingungen entwürdigend und zum Teil sogar gefährlich waren. Wie zeigt man das in einem Film? Wie visualisiert sich für den Zuschauer die Loyalitität der Verkäuferinnen, die trotz Testkäufer, Überwachungskameras, Unterbezahlung und der allgegenwärtigen Bedrohung durch Raubüberfälle in den ungesicherten Läden – die trotz alledem bis zu ihrer Entlassung gerne und engagiert bei „Schlecker“ gearbeitet hatten? Autor Kai Hafemeister und  Regisseur Dror Zahavi bieten dafür gleich zu Beginn ein einfaches, aber punktgenaues Bild an: „Drogerie Faber – praktisch, billig und ganz nah!“ trällert der Chorus der Discounterwerbung aus der allgegenwärtigen Ladenbeschallung. Von dem schrillen Verkaufs-Display schwenkt die Kamera hinab auf die Warenregale des Discounters und nimmt die Verkäuferin in den Blick: Mit unverdrossener Munterkeit trällert Janine Krause (Josefine Preuß) den nervig-lärmigen Jingle mit.

Es war also nicht allein Max Faber (Robert Atzorn) der aus Deutschland „Faberland“ gemacht hat. Es war nicht nur seine Beharrlichkeit, die aus der einen Drogerie eine Kette mit 8112 Filialen geformt hatte. Sondern auch der Arbeitsethos der 25.000 Verkäuferinnen, die wie Josefine aus dem Werbeslogan „praktisch, billig und ganz nah“ eine persönliche Handreichung gemacht hatten. Der Zweiteiler „Alles muss raus“ nimmt sich viel Zeit, um eine komplexe Unternehmensgeschichte zu erzählen, die nicht nur, aber auch an „Schlecker“ erinnert. Aber der Film verliert kaum Zeit, er ist in seiner Dramaturgie so ökonomisch wie ein Discounter: Ein Bild, eine Wahrheit. Das macht die Exposition zu einem Feuerwerk der Eindrücke und Perspektiven: Hier der Multimillionär, der an einem einzigen Tag 200 Millionen Euro an der Börse verliert, weil er buchstäblich im Wald steht: Ohne Handyempfang hat er die Warnung seines Aktienhändlers verpasst. Dort die „kleine Angestellte“ Janine, die von Unbekannten in ihrem Laden überfallen wird – und deshalb später zur Galionsfigur einer Werbekampagne für ein „besseres“ Faberland gemacht werden soll. Hier die gut ausgebildete höhere Tochter (Lisa Martinek), die nach einschlägigen Auslandserfahrungen nun als „zweite Geschäftsführerin“ bei ihrem Vater noch einmal in die Lehre gehen soll und die Gunst der Stunde nutzt, um den störrischen Alten endgültig abzuservieren. Dort der Knacki (Florian Lukas) auf Bewährung, der mangels besserer Ideen mit Strumpfmaske überm Kopf die eigene Freundin überfällt.

Der Stoff, aus dem „Alles muss raus – Eine Familie rechnet ab“ gemacht ist, erinnert in seiner Textur in seinen besten Momenten an die legendären Zweiteiler von Dieter Wedel, dem es mit „Einmal im Leben“ (über den Bauboom) oder „Der große Bellheim“ (über das Geschäfts-Gebaren von Aktiengesellschaften) gelungen ist, soziale, ökonomische und emotionale Themen zu spannenden Fernsehstoffen zu verweben. Zugleich haben aber Hafemeister und Zahavi auch begriffen, dass gerade in der langen Form des Zweiteilers die Zeitökonomie ein wichtiger Hebel zum Erfolg beim Zuschauer ist. Der Film kommt sogleich auf den Punkt und entblättert seine Komplexität erst Stück für Stück – besser: Figur für Figur. Die Medialisierung der großen Unternehmenspleiten von Quelle bis Schlecker wird mit der Figur des Journalisten Henry Bergmann (Benjamin Sadler) erzählt, der sich von der Unternehmerin Faber für lancierte Nachrichten bezahlen lässt. Der distinguierte Bankier Graf von Langmaack (Rainer Bock), der seine Loyalität wie ein Fähnchen im Wind dreht, steht für die Bankenkrise, der Aussteiger Micha (Stefan Rudolf) für den naiven Traum einer gerechten Welt.

Alles muss raus – Eine Familie rechnet abFoto: ZDF / Hans-Joachim Pfeiffer
Fabers 70. Geburtstag mit kleinem Schönheitsfehler. Robert Atzorn, Rainer Bock, Stefan Konarske

Kamera und Regie geben all diesen Figuren, all diesen Orten, all diesen Haltungen eigenständige, gut einsehbare Erzählräume; so schnell im Drehbuch die Perspektiven gewechselt werden, so leicht kann sich der Zuschauer dennoch orientieren. Selbstbewusst verweisen Produzent Oliver Berben und seine Producerin Sarah Kirkegaard in diesem Zusammenhang auf die ausgefeilten Dramaturgien der US-Serien. Tatsächlich muss sich „Alles muss raus“ hier nicht verstecken, auch wenn in Teil 2 das Familiendrama – samt im Koma liegender Frau Mama – zum Teil in alt(e) deutsche Fahrwasser abzugleiten droht.

Die größte Herausforderung ist aber souverän gelungen: die Charaktere ALLER Milieus sind glaubwürdig, während sich leider die Abläufe der Geldökonomie in recht versimpelter Form darstellen. Vor allem in der Inszenierung von Aktionärsversammlungen bleibt das deutsche Fernsehen auf unerklärliche Weise weit unter seinen darstellerischen Möglichkeiten. Womöglich zeigt sich hier das mangelnde Vertrauen (des Senders?) in das eigene Publikum, Können denn nicht nur komplexe und unausrechenbare Charaktere, sondern auch komplexe und undurchschaubare Abläufe für den Zuschauer interessant sein? Die Finesse von „House of Cards“ oder „Borgen“ hat „Alles muss raus“ also noch nicht erreicht. Aber man würde den Machern des Zweiteilers wünschen, dass sie alsbald eine solche Geschichte in die Hand nehmen würden. Den lässigen Erzählstil haben sie jedenfalls schon.

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Serie & Mehrteiler

ZDF

Mit Robert Atzorn, Lisa Martinek, Josefine Preuß, Florian Lukas, Benjamin Sadler, Stefan Rudolf, Imogen Kogge, Barry Atsma, Anian Zollner, Rainer Bock, Stefan Konarske, Armin Rohde

Kamera: Gero Steffen

Szenenbild: Gabrielle Wolff

Schnitt: Fritz Busse

Musik: Stefan Hansen

Produktionsfirma: Moovie

Produktion: Oliver Berben, Sarah Kirkegaard

Drehbuch: Kai Hafemeister

Regie: Dror Zahavi

Quote: 1. Teil: 4,81 Mio. Zuschauer (14,8% MA); 2. Teil: 4,35 Mio. (14,5% MA)

EA: 13.10.2014 20:15 Uhr | ZDF

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