Die 17-jährige Malu ist gerade noch einmal um den Jugendarrest herumgekommen. Dafür muss sie im Altersheim Sozialdienst ableisten und bei ihrer Tante wohnen. Diese hat sich bereit erklärt, das widerspenstige Mädchen für die nächsten Wochen in ihrem Häuschen am See aufzunehmen. Was als Machtkampf beginnt, läuft bald auf einen Nichtangriffspakt hinaus, für den sich die beiden demokratisch ein Regelwerk zusammenbasteln. Nach und nach merken sie, dass Reden noch besser ist als Regeln aufzustellen. Doch das ist nicht leicht. Malu ist Halbwaise, ihr Vater konnte sich nie so kümmern, wie sie es gebraucht hätte. Immer wieder wurde das Mädchen beim Klauen erwischt und landete vor dem Jugendrichter. Aber auch ihre Tante Johanna hat schwere Zeiten hinter sich. Sie war einige Jahre in der Psychiatrie. Darüber hat sie das Reden und die offene Kommunikation verlernt. Ganz anders als Franz, ihr Untermieter, ein frühpensionierter Germanistikprofessor mit Redezwang, den Tantchen in der Therapie kennenlernte. Er spielt den Vermittler. Bald klappt das so gut, dass Johanna ihre Pension wieder eröffnet und noch mehr Leben in ihr Haus am See kommt.
Foto: Degeto
„Zimmer mit Tante“ ist eine angenehme Überraschung am Samstagabend. Ein Film, der aus der Reihe tanzt – nicht nur was den Sendeplatz angeht. Zwei Generationen im Nahkampf. Zwei Menschen in der Findungsphase, die sich aneinander abarbeiten. Zwei Eigenbrötler auf der Suche nach Nähe, Bestätigung, Liebe. Bei Tante Johanna und Malu geht es zu wie in vielen Familien: da werden Grenzen gesetzt, eigene Werte verteidigt, man verletzt sich, man entschuldigt sich. Das ist realistisch, das ist lebensklug, das ist leicht und charmant erzählt. Auch wenn der grobe Verlauf der Beziehung einigermaßen absehbar ist – Autor Walter Metzger bedient keine Genre-Regeln, vielmehr lotst er Handlung und Verhalten seiner Figuren in die „gesunde“ Richtung, die man auch im Leben anstreben würde. Es gibt keine künstlichen Konflikte oder dramatisierten Rückfälle des einst rebellischen Teenagers. Dass Malu ein einziges Mal kurz einknickt, als sie ihren Freund nach Wochen wieder sieht und ihr die Tante blöde kommt – das ist natürlich Dramaturgie, aber psychologisch durchaus plausibel.
Und es gibt weitere Pluspunkte: eine unbeschwert frische Filmsprache, drei für Degeto-Verhältnisse ungemein vielschichtige Hauptfiguren, drei sperrige Sympathieträger, dazu drei bestens aufgelegte Schauspieler, die jeden Zwischenton treffen. Das ist umso schwerer, als bei diesem Stoff viel Zuschauer – zumindest die mit Kindern – mitreden können, also Vergleiche mit der Realität anstellen. Jutta Speidel glaubt man die Vita ihrer Johanna von der ersten bis zur letzten Minute, nie, selbst zum glücklichen Ende hin, verlässt sie dieser kleine Schatten auf der Seele. Ingo Naujoks, beim NDR-„Tatort“ oft mit einer Drehung zu viel, findet für seinen Franz den richtigen Ton zwischen Leisetreter und Dauerredner, zwischen Schizo und Weisem. Die große Entdeckung aber ist Nadia Hilker. Ihre Malu, keine leichte Rolle, ist extremen Stimmungsschwankungen unterworfen. Mit locker cooler Girlie-Pose, die deutsche Komödien Teenagern gern aufzwingen, kann sie hier nicht kommen. „Zimmer mit Tante“ ist ein Film, der zeigt, wie es mit der Degeto weitergehen könnte.