Sophie (Aglaia Szyszkowitz) weiß, was sie will: raus aus München – und dieses urige, alte Bauernhaus muss es unbedingt sein! Es ist ein bezahlbarer Traum. Da weint sie ihrem Stewardessjob oder dem Luxus des Stadtlebens keine Träne nach, ihrem Ehemann Philippe (Francois Smesny) allerdings schon. Der fühlte sich einmal mehr von ihr übergangen und hat sich nach Paris abgesetzt: Das Restaurant seiner Eltern zu übernehmen, ist sein Traum. Und so muss sich die alles andere als geborene Landbewohnerin allein mit ihrer bockigen Tochter Leonie (Alina Abgarjan) in der oberbayerischen Idylle herumschlagen. Das größte Problem aber heißt Barthl (Friedrich von Thun): Dieser Prototyp eines alten Grantlers hat lebenslange Stallnutzungsrechte bei ihr. Für Tiere, so hatte das Sophie verstanden. Doch der kauzige Pflanzenfreund zieht selber ein. Sophies Antwort: Ziegen und Hühner, die nachts mit Barthl im Stall wohnen und tagsüber in seinem geliebtem Garten wildern. Jeder hofft, der andere würde schon irgendwann das Weite suchen. Ab und an geraten die beiden heftig aneinander, gehen sich sonst aber, so gut es geht, aus dem Weg – bis Sophie ihre Geschäftsidee „Gäste-Zimmer mit Stall“ in die Tat umsetzt. Mit der holden Weiblichkeit hat es der alte Griesgram – anders als Ferdl (Philipp Sonntag), sein einziger Freund – offenbar noch nie gehabt. Und so sind ihm die Eso-Frauen aus dem Achtsamkeitskurs von Sophies Schwester Anne (Doris Schretzmayer) ein rotes Tuch. Und im größten Chaos steht plötzlich Philippe auf der Matte.
Die oberbayerische Landschaft, betrachtet durch die rosarote Brille einer dem Großstadtleben abschwörenden Frau Ende 40, ohne die üblichen Klischees, dafür mit einem subkutanen Landlust-Realismus samt zeitgeistnaher Beziehungsvariante: Das bietet der ARD-Freitagsfilm „Zimmer mit Stall – Ab in die Berge“. Der angenehme Flow des Films wird von jener Sophie bestimmt, einer Frau mit einer spontanen, lebensbejahenden Art. Sie hat keinerlei Erfahrung mit dem Landleben, kann aber die Ärmel hochkrempeln, wenn es drauf ankommt. Zwar ist dieser Neustart eine Ausgangssituation für eine Komödie, den ernsthaften Wunsch nach diesem neuen Leben sollte man aber dieser Figur schon abnehmen können. Nichts einfacher als das mit einer Aglaia Szyszkowitz: Die Österreicherin ist die absolut perfekte Besetzung. Nicht nur, dass die meisten ihrer Degeto-Freitagsfilme bislang Höhepunkte auf diesem Sendeplatz waren (überdurchschnittlich auch die Einschaltquoten), ihre Ausdruckspalette ist einfach enorm. Und gerade, weil ihr Lächeln so offen wirkt, ja so unnachahmlich und ansteckend ist, empfindet man den Kontrast zu den Szenen, in denen ihrer Sophie das Lächeln vergeht, als besonders groß. Da hat diese einst dauerfreundliche Flugbegleiterin plötzlich Haare auf den Zähnen, und sie scheint sehr gut zu wissen, wo der Barthl seinen Most holt.
Die beiden Hauptfiguren mögen zwei Dickköpfe sein, passionierte Streithähne sind sie nicht. Der knurrige Misanthrop will ja eigentlich nur seine Ruhe haben, und die Stadt-Flüchtige braucht ihre Energie für Existentielles. Jeder kümmert sich mehr um sich selbst, als sein Mütchen am anderen zu kühlen. Und so muss Friedrich von Thun den Anti-Kurs zu Aglaia Szyszkowitz’ Heldin nie übertreiben. Ihre streitlustigen Zwischenspiele besitzen eher episodischen Charakter, als dass einer der beiden eine stringente Rausekel-Strategie verfolgen würde. Gleiches gilt für alle Nebenfiguren: augenzwinkernd verkörpert von Philipp Sonntag (leicht skurril), von Bettina Mittendorfer als rettender Engel mit stets guter Laune, von Frederic Linkemann (leicht absurd) oder Klaus Steinbacher als Leonies Freund, der auf den „Reifeprüfungs“-Spuren des jungen Dustin Hoffman wandelt (köstlich dieser verliebte Blick auf die attraktive Mutter, dabei „Mrs. Robinson“ pfeifend). Die Nebenfiguren kommen ins Spiel, um für unaufdringliche, lustvoll offen gelassene Situationskomik zu sorgen. Das ist sehr viel charmanter als diese simple Funktionsdramaturgie, die einem häufig im ZDF-„Herzkino“ begegnet oder zuletzt in der ARD bei Reihen wie „Die Eifelpraxis“ oder „Die Inselärztin“.
Ungewöhnlich ist auch das Beziehungskonzept, das in dem Film von Ingo Rasper, Experte für mehrschichtige Komödien, unangestrengt vermittelt wird. Es gibt viele Wege zur Erkenntnis, heißt es in einer amüsanten Szene mit Sophie und ihrer Schwester, die so lebensecht wirkt, dass man annehmen könnte, in ihr sei einiges improvisiert worden. Und so gibt es auch mehr als nur einen Weg (für das Noch-Ehepaar), um glücklich zu werden. Da macht eine Frau ihr Ding ohne einen Mann und ohne, dass ein anderer Mann schon in den Startlöchern steht. Wie unlängst in „St. Josef am Berg“ ähnelt diese Sophie in ihrer Mentalität mehr dem alten Zausel als ihrem Ehemann. Ebenso zeitgemäß ist das Mutterbild. Statt einer Glucke, ist diese Frau eine liebende Mama, die auch loslassen kann und die sich in ihre Tochter gut hineinversetzen kann. Auch für den nervigen Nachbarn zeigt sie etwas mehr Verständnis, als sie von seinen Schicksalsschlägen erfährt. Stellt er sich aber blöd, lässt sie trotzdem die Ziegen los.
Dem gesellschaftlich eigenwilligen Rollenbild der Heldin entspricht auch die für einen Unterhaltungsfilm ungewöhnliche Dramaturgie von „Zimmer mit Stall“. Neben dem Hang zum episodischen Erzählen ist das Besondere vor allem der Verzicht auf eine übermäßig dramatische oder komödiantisch überspitzte Handlung. Ingo Rasper erzählt am Alltag entlang, situativ und leicht ironisch. Und nur weil man sich auf der Zielgeraden befindet, fallen sich die Kontrahenten noch lange nicht versöhnlich um den Hals. Selbst Barthls schmerzvolle Vita reicht nicht aus als Kitt für die „Beziehung“. Und so wirkt das Ende des Films, die mit einem Lächeln vorgetragenen Drohgebärden, wie der Anfang eines neuen Films. Das muss nicht die Fortsetzung von „Ab in die Berge“ sein (wäre aber durchaus reizvoll). Dieser zweite Film kann sich auch ausschließlich im Kopf des Zuschauers abspielen. (Text-Stand: 20.2.2018)