Für die einen ist es das Paradies, für die anderen die Hölle auf Erden: die Vorstadtsiedlung Wendehammer. Gediegene Doppelhaushälften, gepflegte Vorgärten, Verkehrsberuhigung: Gibt es etwas Schöneres?! Für Meike (Meike Droste), Franziska (Susan Hoecke), Samira (Elmira Rafizadeh) und Nadine (Friederike Linke) hat sich diese Frage zwanzig Jahre nicht gestellt. Ein dunkles Geheimnis verbindet die vier Enddreißiger. Ohne ihren Abiturientinnen-Schwur wäre gewiss die eine oder andere weggezogen. Die „Anhänglichkeit“ resultiert also nicht aus Freundschaft allein. Jetzt ist einmal mehr der Zeitpunkt gekommen, an dem die Vier sich zusammenraufen müssen. Dabei herrscht zwischen den Frauen so gut wie nie Einigkeit. Hintergrund ist der Pegelstand des Wendehammer-Sees: Wegen des Baus eines Golfplatzes sinkt er ständig. Das besagte „dunkle Geheimnis“ soll aber Geheimnis bleiben! Als ob jede nicht schon genug zu stemmen hätte. Meike und ihr Mann Ronny (Aram Tafreshian) suchen händeringend nach einem Kitaplatz. Franziska nimmt ihr Jurastudium wieder auf; ihr reicht es nicht mehr, in der Kanzlei von ihrem Mann (Max von Pufendorf) herumkommandiert zu werden. Samira ist mal wieder solo und hat ein Oberarztstelle im Visier. Und Nadine muss sich mit horrenden Steuernachzahlungen herumschlagen. Und dann ist da auch noch Julia (Alice Dwyer), die aus dem vierblättrigen gern ein fünfblättriges Kleeblatt machen würde.
Foto: ZDF / Hardy Spitz
„Wendehammer“ ist eine Serie, der man beim Faktencheck von Stoff und Produktion erst einmal mit Wohlwollen begegnet: kein Krimi; eine Autorin, Alexandra Maxeiner, die nicht nur TV macht, sondern Theaterstücke, Kinderbücher und einen Roman veröffentlicht hat und der mit „Zwischen zwei Herzen“ ein Top-Beziehungsdrama gelungen ist; zwei Regisseurinnen, die ebenfalls gute Referenzen aufzuweisen haben, Sinan Akkus mit „Evet, ich will“ und „Fischer sucht Frau“ sowie Ester Amrami mit der Ausnahme-Dramaserie „Wir“. Das Sujet sorgt für freudige Assoziationen: „Desperate Housewives“, „Vorstadtweiber“, „Vier Frauen und ein Todesfall“, sogar ein bisschen „Big Little Lies“, wow! Und Vorstadt ist ohnehin ein dankbarer Ort für das ganz alltägliche Grauen – von „Blue Velvet“ oder „American Beauty“ über Horrordramen wie „Get out“ oder „Them“ bis hin zu einer TV-Komödie wie „Zur Hölle mit den anderen“. Gute erste Gefühle auch bei der Besetzung: Meike Droste („Frau Temme sucht das Glück“) immer ein Gewinn, Alice Dwyer („Herr und Frau Bulle“) mal nicht im Krimi-Einsatz und Friederike Linke („Ein Tisch in der Provence“), auf dieses Lächeln kann man bauen. Oder Elmira Rafizadeh („Tatort – Ätzend“), kleine Rollen in guten Filmen, und Susan Hoecke hat es nach „Das vergessene Dorf“ und „Ein Sommer in Salamanca“ verdient, nicht immer nur die zu sein, die die Zuschauer mit Henriette Richter-Röhl verwechseln.
Die Vorfreude jedenfalls war groß. Vielleicht zu groß. Nach Folge eins, „Stille Wasser“, die mit einer cleveren Exposition (wo ist Meikes Handy?) startet, bevor sie etwas unentschlossen zwischen den Genre-Tonlagen hin & her pendelt und man sich ständig fragt, ob diese Figuren noch Typen oder schon Charaktere sind, kristallisiert sich in den Folgen zwei und drei das Thema heraus: Lügen und Geheimnisse. Damit scheint dann auch die sechsteilige Serie ihren Ton gefunden zu haben. Durch die Figurenfülle ergeben sich neue Sub-Plots. Studentin Franziska wird von einem Kommilitonen (Felix Mayr) heftig angeflirtet und Samira von ihrem Konkurrenten in der Klinik (Marc Ben Puch) ebenso offensiv angegiftet. Die falsche Doktorandin Julia steht völlig neben sich, träumt sich in ihre Jugend als Rollschuhkönigin zurück und bekommt von ihrem Freund Felix (Hyun Wanner) den unromantischsten Heirats-Antrag, den man sich vorstellen kann. Fotografin Nadine kriegt es in der Zeitungsredaktion mit einer übereifrigen Praktikantin (Nele Trebs) zu tun, die sich auffallend für ein Ereignis von vor zwanzig Jahren interessiert, und Meike, die Frau, die keinen Satz angst- oder fehlerfrei zu Ende bringt, will als Bürgermeisterin kandidieren, um die Familienpolitik voranzubringen und um dem testosterongesteuerten Gekungel zwischen Bürgermeister (Aykut Kayacik) und Bauunternehmer Steinert (Heikko Deutschmann) etwas entgegenzusetzen. Zunächst erntet sie damit natürlich allerorten nur ein mildes Lächeln. Dann sieht „der Sonnenkönig“ von Wendehammer beim Golfplatzprojekt seine Felle davonschwimmen, und „Meike Nowak“ wird für ihn zum roten Tuch. Und über allem schwebt das dunkle Geheimnis der Vorstadtfrauen, das bereits am Ende von Folge eins mehr als nur angedeutet und am Schluss jeder weiteren Folge – jeweils ein bisschen expliziter – in Erinnerung gerufen wird.
Foto: ZDF / Hardy Spitz
Soundtrack: Perry Como („Papa Loves Mambo“), Keren Ann („Not Going Anywhre“), Hélène Segara („Les Champs Èlysées“), Emmylou Harris („Mister Sandman“), Anni B Sweet („Take On Me“), Nouvelle Vague („Guns Of Brixton“), Laura Branigan („Gloria“), Francoise Hardy („Comment te dire adieu“), Shivaree („Goodnight Moon“), The Chapin Sisters („Toxic“), Adele („You Feel My Love“ / „One And Only“), Brigitte Bardot („Moi je joue“)
Seinen Ton hat „Wendehammer“ tatsächlich spätestens in Folge drei gefunden – allerdings ist es ein Ton, der vor allem dramaturgische Unentschlossenheit und deutsche Primetime-Gepflogenheiten spiegelt. Es zeigt sich einmal mehr, dass eine gute Ausgangsidee noch lange keinen guten Plot ergibt und dass die Erzählweise einer Serie mindestens so wichtig ist, wie das Erzählte selbst. Dabei klingt das, was Autorin Maxeiner im ZDF-Presseheft ausführt, vielversprechend: Sie spricht von der „Suspense-Ebene“, die den Herzschlag der Erzählung erhöhe, von „Geschichten mit Tempo“ und „Dialog mit schnellem Schlagabtausch“. Bei der Konzeption der Figuren setzt sie auf „je unterschiedlicher, desto besser“. Das alles lässt eine Dramedy erwarten, die mit Witz und Pointen für einen flotten Flow sorgt. Nur leider tritt die Geschichte in den letzten drei Folgen auf der Stelle: Außer Julia entwickelt sich keine Figur wirklich weiter – und die B-Plots mit Ausbruchsversuchen und Seitensprüngen sind nicht abendfüllend. Samiras Tauchkurs als Rettungsanker ist eine hübsche Buchidee, dramaturgisch aber verläppert sie. Wo man hinschaut fehlt es dieser Serie an Stringenz, an Tempo, an Struktur. Die Handlung mag anfangs das Chaos in der Gruppe spiegeln. Man kann es aber nicht ständig wiederholen. Jedes konspirative Treffen endet meist ergebnislos. Das ist tödlich für die narrative Dynamik. Jede dieser Szenen betont einmal mehr die Unterschiedlichkeit der Frauen. Wenn bei dieser Redundanz wenigstens öfter solche Dialogwechsel herausspringen würden: „Kai hat Angst, dass sein Schwanz schrumpft, wenn Franzi Anwältin wird“, lästert Nadine. Franzi kontert vorwurfsvoll: „Nadine, das ist vulgär.“ Darauf diese: „Aber lustig.“
Foto: ZDF / Hardy Spitz
Comedy-Witz mit Crime-Mystery-Elementen und Selbstfindungs-Drama-Momenten (Julia, die Fünfte im Bunde, wagt einen Neuanfang) stimmig zu verbinden, ist nicht leicht. Wie sich der Kritiker bei „Desparate Housewives“ und „Vorstadtweiber“ noch mal vergewissert hat: Es kann gelingen – und wie! Vielleicht sollten deutsche Serienmacher, anstatt Stoffe und Plot-Ideen abzukupfern, lieber die Machart ausländischer Ausnahmeproduktionen studieren. Dann würden sie vielleicht erkennen, woran es bei „Wendehammer“ hapert… Obwohl der Suspense-Faktor längst ausgereizt ist, gibt es im Finale noch eine explizite Auflösung des Geheimnisses mit Hilfe einer aufgedonnerten Parallelmontage einer Bootsfahrt, damals und heute, die aber wie alles, was die Frauen anpacken, ins Leere läuft. Der Serie gelingt die Kombination aus Geheimnis, Situationskomik und überzogenen Figurenbildern auch filmisch nie wirklich. Die schleichenden Kamerabewegungen durch Wendehammer und auf die Eingangstüren der Doppelhaushälften zu, verweisen auf die mysteriöse Vergangenheit. Der komisch-knackige Gegenpol allerdings fehlt weitgehend. Auch wird kaum mit (heimlichen) Blicken gearbeitet. Beim Thema „Vorstadtleben, Lügen & Geheimnisse“ wäre das ein naheliegendes filmisches Prinzip, um den Plot zu verdichten und den Zuschauer als Mitwisser stärker zu beteiligen. „Wendehammer“ sieht aus wie ein auf viereinhalb Stunden gedehntes Dramödien-Einzelstück. Dass es sich um eine Serie handelt, zeigt sich in der Schlussfolge, in der penetrant auf eine zweite Staffel hin spekuliert wird. Hätte man doch zunächst einmal die erste konsequent und dicht erzählt, dann hätte man vielleicht auch Lust auf eine Fortsetzung!