Sommer 1913. Es war die Zeit, als noch Zucht und Ordnung herrschte, in der jede Umarmung wohl bemessen schien und die Damen der besseren Gesellschaft stets um „Contenance“ bemüht waren. Der Erste Weltkrieg stand vor der Tür. Das Militär mokierte sich über die so lendenlahmen Zivilisten. Geküsst wurde hinter Fächern, zügellose Leidenschaft stand allein dem Manne zu. Zeigten Frauen zu viel Gefallen am Liebesspiel, verließen sie gar wegen eines anderen ihren Ehemann, wurden sie von der Gesellschaft verstoßen. Eduard von Keyserlings Roman „Wellen“, 1911 geschrieben, erzählt aus jenen Jahren des beginnenden 20. Jahrhunderts, als der Adel auf dem besten Wege war, seine kulturelle Vorherrschaft zu verlieren. „Ein ganz und gar sinnliches Buch, eine schöne Liebesgeschichte“, pries Marcel Reich-Ranicki im „Literarischen Quartett“.
Foto: ZDF / Zieglerfilm
Bereits der elegant gebaute, mit feiner Ironie gespickte Roman, der in der Sommerfrische an der Ostsee eine Reihe unterschiedlichster Menschen zusammen führt, liest sich äußerst kurzweilig. Der Film von Autor Günter Schütter und Vivian Naefe nimmt nun diese Leichtigkeit auf und transportiert sie vorbildlich in das flüchtigere Medium. Selten sah man eine der Stimmung der Vorlage so gemäße Literaturverfilmung. „Wellen“ macht da weiter, wo Ibsen mit „Nora“ oder Fontane mit „Effi Briest“ begonnen haben. Das Weib im Käfig, ein Vöglein, das zugrunde gehen muss. Was passiert, wenn das Vöglein ausbricht und wie vor allem die Gesellschaft auf diesen Tabubruch reagiert – davon erzählen Roman wie Film. Der Konflikt zwischen der Gräfin, die sich aus der Umklammerung ihres greisen Gatten löst, und dem zumindest nach außen strengen Verhaltenskodex des Adels macht aus „Wellen“ ein Melodram. Doch dieser Grundton wird aufgelockert durch satirische Situationen, durch szenische Accessoires und köstliche Sentenzen. „Vielleicht ist die Ehe heilig, aber die Menschen sind es nicht“, heißt es da. Filmkenner dürften sich besonders amüsieren über „Ziehen Sie Ihre Angel ein, ich bin der falsche Fisch“. Ein Satz aus „Manche mögen’s heiß“.
Schwere Gedanken werden mit leichtfüßigen Aktionen vertrieben, so wie der Ostseewind immer wieder die Wolken am Himmel vertreibt. Einen Sommerurlaub lang begleitet der Film einige Personen durch ihre unterschiedlichen Gefühlslagen. Das ist realistisch, poetisch und augenzwinkernd zugleich. Matthias Habich als preußischer Offizier mit „Champagner im Blut“ und die Hand am Hosenschlitz, Sunnyi Melles als dessen frustrierte Gattin, immer auf Sittlichkeit bedacht („Sollte ich vormittags sterben, wird pünktlich gegessen“), Monica Bleibtreu als resolute Großmutter oder Florian Stetter als lüsterner Soldatenschönling – ein Ensemble vom Feinsten. Die Krönung ist Marie Bäumer, die endlich mal wieder etwas ihrem Talent Gemäßes spielen darf. Als Frau zwischen Geheimnis und Depression macht sie eine zeitgemäß gute Figur. Und immer wieder sprechen Natur und Landschaft, die Kameramann Peter Döttling in berauschend schönen Bildern eingefangen hat. (Text-Stand: 21.1.2005)
Foto: ZDF / Zieglerfilm