Walpurgisnacht – Die Mädchen und der Tod

Bodenbender, Zehrfeld, Schüttauf, Hans Steinbichler. Der Mörder ist unter uns

Foto: ZDF / Julie Vrabelova
Foto Rainer Tittelbach

Walpurgisnacht – Die Mädchen und der Tod“ (Wiedemann & Berg) erzählt eine typische ZDF-Mörderdorf-Geschichte. Doch in dem Film von Hans Steinbichler werden nicht die üblichen Familientragödien aus der Vergangenheit ans Tageslicht gezerrt. Es ist ein Krimi, der seine Wurzeln nicht im Drama sucht, sondern sie treffsicher im Thriller findet. Von Anfang an entwickelt dieser Zweiteiler einen enormen Sog, obwohl – oder gerade weil – die Szenerie karg ist, Erzählrahmen wie Personal überschaubar bleiben und auch der filmische Reizpegel bewusst heruntergefahren wird. Das konzentrierte, unaufgeregte, aber nicht emotionslose Spiel der Schauspieler – allen voran Bodenbender, Zehrfeld, Schüttauf – ist von Anfang an das Herzstück des Films, in dem 1988 deutsch-deutsch ermittelt wird. Wenn man schon politisch an die Grenze geht, kann man ja auch, das Genre betreffend, etwas wagen, haben sich die Macher offenbar gedacht. Das hochspannende Finale ist harter Tobak, aber im Rahmen eines Psychothrillers stimmig. „Walpurgisnacht“ wird für Diskussionen sorgen!

In einem Dorf im DDR-Teil des Harzes geht 1988 plötzlich gar nichts mehr seinen sozialistischen Gang. Im herbstlichen Nebel scheint ein Frauenmörder sein Unwesen zu treiben. Weil die erste Tote eine junge Frau aus dem Westen ist, reist die LKA-Profilerin Nadja Paulitz (Silke Bodenbender) zur Amtshilfe in das ostdeutsche Dorf und schreibt mit dieser ersten deutsch-deutschen Morduntersuchung Geschichte. Das wurde möglich, weil der Polizist Karl Albers (Ronald Zehrfeld) die politisch gewollte Unfall-These bezweifelt und er deshalb im Protokoll „ungeklärte Todesursache“ angekreuzt hatte. Kreisleiter Egon Pölzl (Godehard Giese) sieht das völlig anders, und der konfliktscheue Hauptmann Lothar Wieditz (Jörg Schüttauf) pflichtet ihm des lieben DDR-Friedens willen bei. Der Grund: Pölzls Sohn Ronny (Theo Trebs) hat die Tote gekannt, geliebt und er hatte offensichtlich vor, mit deren Hilfe Republikflucht zu begehen. Pölzl lässt ein Beweismittel verschwinden und besorgt seinem Jungen ein falsches Alibi. Wenig später, in der Nacht der Feier zur Miss-Wahl Harz, gibt es eine zweite junge Frauenleiche. Pölzl Junior, der sich an diesem Abend sinnlos betrunken hat, dürfte wohl kaum als Täter infrage kommen. Jetzt steht der geistig zurückgebliebene Jörg Spengler (Adam Venhaus) unter dringendem Tatverdacht. Der junge Mann entspricht dem von Nadja Paulitz‘ erstellten Täterprofil, und er schnitzt leidenschaftlich gern Hexenfiguren, vor allem auch jene kleinen Hexenbesen, die bei den beiden Leichen gefunden wurden. Aber es wird weitere Tatverdächtige geben, so wie es weitere Tote geben wird.

Walpurgisnacht – Die Mädchen und der TodFoto: ZDF / Julie Vrabelova
Kreisleiter Egon Pölzl (Godehard Giese) nimmt seinen Sohn Ronny (Theo Trebs) aus der Schusslinie, könnte allerdings auch selbst etwas mit den Morden zu tun haben.

„Walpurgisnacht – Die Mädchen und der Tod“ handelt von einer Mörderdorf-Geschichte, wie sie im ZDF am Montag schon häufig erzählt wurde. Doch bereits der erste Blick verrät, dass hier wohl nicht stereotype Familientragödien aus der Vergangenheit ans Tageslicht gezerrt werden. Es ist ein Krimi, der seine Wurzeln nicht im Drama sucht, sondern sie treffsicher im Thriller findet. Von Anfang an entwickelt dieser ZDF-Zweiteiler unter der Regie von Hans Steinbichler einen enormen Sog, obwohl – oder gerade weil – die Szenerie karg ist, Erzählrahmen wie Personal überschaubar bleiben und auch der filmische Reizpegel bewusst heruntergefahren wird. Das konzentrierte, unaufgeregte, aber nicht emotionslose Spiel der Schauspieler – allen voran Silke Bodenbender, Ronald Zehrfeld, Jörg Schüttauf – ist von Anfang an das Herzstück des Films: Blicke, Pausen, klare Ansagen, dagegen kleine Unsicherheiten in der nonverbalen Interaktion – mit diesem Trio könnte man einem alles erzählen. Aber „Walpurgisnacht“ macht rasch deutlich, dass sich auch die Geschichte etwas traut. Zwar gab es vor allem in den 1980er Jahren eine gewisse Form der Zusammenarbeit, eine Koexistenz zwischen DDR und Bundesrepublik, aber in der kriminalistischen Praxis ist eine mit dem Film vergleichbare Kooperation nicht bekannt: Die Geschichte ist reine Fiktion. Wenn man schon politisch an die Grenze geht, kann man ja auch, das Genre betreffend, etwas wagen, haben sich die Macher offenbar gedacht. Denn so reduziert, so klug kontrolliert und zugleich wirkungsvoll Narration und Bildsprache den Zuschauer einladen, den Fährten der Ermittlungen zu folgen, die offensichtlich üblichen falschen inklusive, so psychologisch abgedreht geben Silber, Wettcke & Steinbichler im zweiten Teil ihre finalen Antworten.

Walpurgisnacht – Die Mädchen und der TodFoto: ZDF / Julie Vrabelova
Zusätzlich zu den Ermittlungen muss Polizist Karl Albers (Ronald Zehrfeld) auch noch als Jurymitglied bei der Misswahl einspringen. Anfangs hatte er wenig Lust.

Man muss sich nach den knapp 180 Minuten erst einmal wieder sammeln. Nach diesen Paukenschlägen. Den abgeschnittenen Zehen, dem Blut, den vielen Toten. Man fragt sich: Wo fängt in dieser Geschichte der Wahnsinn an, wo hört die Einbildungskraft auf? Nach dem Ende, das einem den Atem raubt, schießen einem die Gedanken nur so durch den Kopf, und dieser Film kann den Betrachter durchaus auch physisch mitnehmen. Retrospektiv betrachtet, ist das Ende gar nicht so hanebüchen und unlogisch, wie vielleicht viele Zuschauer zunächst denken werden. Auch den Ermittelnden geht diese Mordserie sichtlich nahe. Das Besondere dabei: Die Biographie der beiden Ermittler wird nicht psychologisiert und bis ins Detail erklärt. Wie in einem guten Genrefilm ist das Trauma der Kommissarin aus dem Westen einfach vorhanden, es ist, was es ist; immer wieder nachts sucht es sie heim, und auch der zurückhaltende Polizist aus der so solidarischen Volksgemeinschaft hat wohl schon einiges abbekommen in seinem Leben. „Walpurgisnacht“ ist ein Film, der sicherlich vielfältig diskutiert werden wird. Für Regisseur Steinbichler ist es „ein Trip, ein Psychothriller, eine zutiefst verstörende innere Reise der beiden Protagonisten in ein ‚heart of darkness‘, in die Dunkelheit der eigenen Identität.“ Und ein bisschen Hitchcock darf auch nicht fehlen. Die blutige Referenzspur führt allerdings nicht – wie man annehmen könnte – zu „Der zerrissene Vorhang“ (1966), jenem Spionagethriller des Meisters, der teilweise in der DDR spielt.

Walpurgisnacht – Die Mädchen und der TodFoto: ZDF / Julie Vrabelova
Die Profilerin aus dem Westen hat recht. Von wegen: „So was gibt’s bei uns nicht.“ Jörg Schüttauf, Ronald Zehrfeld und Farina Flebbe

„Nadja Paulitz ist keine eindeutige Sympathieträgerin und auch keine strahlende Heldin … Sie ist schwer zu durchschauen, weil sie kaum Emotionen zeigt und wenn, dann platzt es richtig aus ihr heraus. Ihr Trauma hat diesen Charakterzug sicher befördert. Aber auch wenn sie nach außen hin verschlossen ist, schafft sie innerlich kaum Distanz zwischen sich und ihrem Fall.“ (Silke Bodenbender)

Ein Aspekt, der in dem mehrfach preisgekrönten Fernsehfilm „Mord in Eberswalde“ um den mehrfachen Sexualstraftäter Erwin Hagedorn im Mittelpunkt stand, wird auch in „Walpurgisnacht – Die Mädchen und der Tod“ angeschnitten. Während die LKA-Profilerin aus Wiesbaden von einem psychopathischen Serienmörder ausgeht, einem Einzelgänger, einem Einsiedler, winkt der Volkspolizeihauptmann sofort ab: „So was gibt’s bei uns nicht.“ Und weil es so etwas nicht geben durfte in der DDR, ist ja bekanntlich auch der „Polizeiruf 110“, der den Fall des Kindermörders Hagedorn behandelt, „Im Alter von…“, nie im DDR-Fernsehen gesendet worden. Der Hagedorn-Fall war im Übrigen „der erste Fall, bei dem der Osten und Westen ein wenig zusammenarbeiteten – auch auf der Profiler-Ebene“, so Hauptdarsteller Ronald Zehrfeld. Der für seine Rollen stets gut recherchierende Schauspieler muss es wissen: Der 42-Jährige spielte auch in „Mord in Eberswalde“ die Hauptrolle. Der zweiteilige Thriller verzettelt sich aber nicht in dieser politischen Geschichte. Denn das Ost-Argument verliert mit den weiteren Morden nach demselben Muster rasch an Überzeugungs-Kraft. Außerdem wehte 1988 im Zeichen von Glasnost und Perestroika ja auch in der DDR schon ein etwas anderer Wind als Anfang der 1970er Jahre.

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Mit Silke Bodenbender, Ronald Zehrfeld, Jörg Schüttauf, Godehard Giese, David Schütter, Zsá Zsá Inci Bürkle, Lisa Tomaschewsky, Jördis Triebel, Llewellyn Reichmann, Adam Venhaus, Uwe Preuss, Thomas Bading, Stefan Merki

Kamera: Christian Marohl

Szenenbild: Adéla Háková

Kostüm: Simona Rybáková

Schnitt: Wolgang Weigl

Musik: Mathias Rehfeldt

Soundtrack: Nena („99 Luftballons“), Black Sabbath („Paranoid“)

Redaktion: Günther van Endert

Produktionsfirma: Wiedemann & Berg

Produktion: Max Wiedemann, Quirin Berg

Drehbuch: Christoph Silber, Thorsten Wettcke

Regie: Hans Steinbichler

Quote: Teil 1: 6,19 Mio. Zuschauer (19,6% MA); Teil 2: 5,51 Mio. (17,7% MA)

EA: 18.02.2019 20:15 Uhr | ZDF

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